Du hast eine Meinung zu Kunstwerken, in welcher Form auch immer. Vielleicht mochtest du »Barbie«, »Oppenheimer« hat dich aber kalt gelassen. Du liebst das neue Album von The Smile, aber kannst Kanye (aus Gründen) nicht mehr hören. Du erzählst jedem*jeder deiner Freund*innen von dem Roman, den du gerade liest, dem Konzert, bei dem du letztens warst, oder der Ausstellung, die du kürzlich besucht hast. Hast du daran gedacht, deine Gedanken in Form einer Rezension zu veröffentlichen? Möglicherweise. Hast du’s getan? Vermutlich nicht.
Meinungen zu haben gilt als Fähigkeit der Massen. Niemand hat zu wenig. Schreiben steht demgegenüber im Ruf, das Privileg der Wenigen zu sein. Wer veröffentlicht, muss besonders schlau sein (oder zumindest eine Journalismus-Schule besucht haben), oder? Das finden wir nicht! Die Fähigkeiten, die es für eine gute Rezension braucht, sind größtenteils Fähigkeiten, die du im Gespräch mit deinen Freund*innen anwendest. Beobachten, beschreiben, begründen. Die Frage ist, wie du sie nutzt. Wir haben deshalb zehn Tipps zusammengestellt, wie du aus deinen Steckenpferden eine Rezension basteln kannst.
Achtung: Das ist kein Kriterienkatalog. Du findest hier keine Auflistung, wie du deinen Text gliedern musst. Es sind Hinweise, um dir die Arbeit zu erleichtern. Vielleicht wirst du nicht alle anwenden wollen oder können. Sie sollen aber vor allem eines: neugierig machen.
1. Schreibe zu den Medien, für die du dich begeistern kannst
Die meisten Menschen fühlen sich zu bestimmten Kunstgattungen eher hingezogen als zu anderen. Das ist eine Ressource. Wenn du jede Woche ins Kino gehst, wirst du einen differenzierteren Blick auf Filme entwickeln – auch wenn du es nur als Hobby machst. Nutze das! Umgekehrt gilt: Du schaust nur Filme, wenn dich deine Freund*innen mitschleppen? Fühle dich nicht verpflichtet, Filmrezensionen zu schreiben.
2. Nimm deine persönlichen Erfahrungen als Ausgangspunkt
Hat dich ein Buch, Film oder Album berührt, schockiert oder zum Nachdenken angeregt? Notiere, was es in dir auslöst! Bei deinen ersten Reviews ist es hilfreich, wenn du zu einem Werk schreibst, zu dem du einen Bezug hast. Das heißt nicht, dass du es mögen musst. Oftmals ist es sogar schwieriger, zu Favoriten zu schreiben. Aber wenn deine Gedanken ohnehin schon am Rattern sind, ist es leichter, sie auch zu Papier zu bringen. Ein Beispiel: Du magst den fiktiven Musiker Bad Punny. Auf seinem neuen Album vollzieht er einen Stilwechsel. Du wolltest es dir ohnehin geben. Mach doch eine Rezension daraus!
3. Mache deine Meinung nachvollziehbar
Du hast dir eine Meinung über ein Werk gebildet? Super! Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Rezensionen sind weder rein objektiv, noch rein subjektiv. Sie haben die Aufgabe, ästhetische Erfahrungen nachvollziehbar zu machen. Dabei wohnt ihnen immer etwas Willkür inne. Es gibt keinen Kriterienkatalog, der ein für alle Mal klären könnte, wie lange ein Song sein darf. Eine Rezension sollte deinen Leser*innen ermöglichen, zu verstehen, warum du etwas so oder so beurteilst. Das heißt aber nicht, dass sie zum selben Schluss kommen müssen wie du.
4. Versuche, deinen Leser*innen Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln
Gute Rezensionen laden zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit Kunst ein. Dazu vermitteln sie einerseits Wissen. Was ist der Bezugsrahmen des Werks, wer steht dahinter, wann wurde es veröffentlicht? Stelle solche Informationen bereit, wenn du ein Werk besprichst. Andererseits bemüht sich eine Rezension darum, bestimmte Fähigkeiten zu vermitteln. Nehmen wir Songwriting: Wenn du gute Gründe nennen kannst, warum das neue Album von Green Day hinter »American Idiot« zurückfällt, gibst du deinen Leser*innen nicht nur interessante Infos. Du stellst ihnen Kriterien bereit, nach denen sie ihr nächstes Punk-Album eigenständig beurteilen können. Das unterscheidet Kulturkritik von bloßen Bewertungen: Eine »Amazon-Rezension« sagt: Ja. Nein. Vielleicht. Ein journalistischer Text reichert die Erfahrung seiner Leser*innen an.
5. Übe dich in der Kunst des Weglassens
Versuche, deinen Text auf eine einzige These zu konzentrieren und diese sorgfältig zu begründen. Bei der Recherche wirst du auf viele interessante Infos stoßen. Nicht alle tragen zu einem besseren Text bei. Klar, es ist witzig, dass die Tochter von Kurt Cobain den Sohn von Tony Hawk geheiratet hat. Aber wird das wirklich dein nächstes Review eines 1990er-Revival-Albums bereichern? Frage dich immer: Worauf will ich hinaus? Was brauche ich dafür, was nicht? Streiche unnötige Passagen.
6. Gib dem Texteinstieg besondere Aufmerksamkeit
Was ist interessant, besonders, merkwürdig, anregend, witzig, unerwartet? Was regt zum Weiterlesen an? Du kennst das vielleicht: Du fängst einen Artikel an, liest die ersten paar Zeilen … und ertappst dich ein paar Sekunden später dabei, dass du die Website gewechselt hast. Aufmerksamkeit ist limitiert. Versuche deshalb, deine Leser*innen von Beginn an in den Text zu ziehen. Worum geht es? Was betrifft auch Leser*innen, die solche Musik nicht regelmäßig hören? Was steht auf dem Spiel? Merke: Der erste Satz in deinem Text muss nicht der erste Satz sein, den du zu Papier bringst. Oft ist es leichter, den Einstieg am Ende zu formulieren.
7. Versuche, Bilder in den Köpfen deiner Leser*innen zu erzeugen
1973 begab sich Leonard Cohen in die Wüste Sinai. Der Yom-Kippur-Krieg tobte seit einigen Tagen. Der Musiker schlief in Feldbetten, musste vor Bomben in Deckung gehen und schrieb den Song »Lover, Lover, Lover«. Du wirst das Lied vielleicht noch nie gehört haben. Aber du wirst bereits ein vages Bild im Kopf haben, was darin auf dem Spiel steht. Der Kontext ruft Assoziationen hervor. Manche werden den thematischen Kontrast von Liebe und Zerstörung bemerken. Andere werden sich fragen, ob es Cohen um erotische Liebe oder um Kameraderie geht. Bilder machen deine Texte nicht nur lebendiger. Sie erlauben deinen Leser*innen auch, eigene Bezüge zu rezensierten Werken zu entwickeln. Wege, Bilder hervorzurufen, gibt es wie Flussarme im Mississippi-Delta. Unüberschaubar viele. Manche Autor*innen bevorzugen Metaphern. Manche Geschichten. Andere charakterisieren Künstler*innen mit der spitzen Feder eines Charles Dickens. Probier’ dich aus!
8. Scheue dich nicht, technische Aspekte aufzugreifen
Du liest ein Buch. Die Autorin verwendet ausschließlich kurze Sätze. In ihrem Debütroman gefiel sie sich noch darin, bei jeder Gelegenheit lange Schachtelsätze, sorgfältig mit poetischen Ausschmückungen verziert, einzubauen und Tischtücher so umwunden zu beschreiben, als ginge es darum, eine Metaphysik der Innenarchitektur zu entwickeln. Jetzt ist die Autorin knapp. Angebunden. Als müsste sie jede Silbe in ein Morsegerät tippen. Hier ist etwas passiert. Was, musst du nicht unbedingt wissen. Aber indem du deine Leser*innen darauf hinweist, kannst du ihnen neue Perspektiven eröffnen. Ergänze inhaltliche Ausführungen mit formalen Beobachtungen, etwa zu Schreibstil, Sound Design oder Schnitttechniken! Deine Rezensionen werden so plastischer.
9. Freunde dich damit an, falsch zu liegen
Rob Sheffield ist einer der bestetablierten Musikjournalist*innen der Welt. 1995 sollte Sheffield das zweite Album einer Band rezensieren, die bisher nur durch einen einzigen Song, »Creep«, Aufmerksamkeit erregt hatte. Sein Urteil? Netter Versuch, leider war die Band wohl ein One-Hit-Wonder. Das Problem? Es ging um Radiohead. Besagte LP sollte sich zu einem von Sheffields Lieblingsalben mausern. Im Sammelband »How to Write About Music« berichtet der Autor deshalb: »Falsch zu liegen, ist Teil des Lebens von Journalist*innen. Das ist wahrscheinlich der wichtigste Rat, den ich jungen Kritiker*innen geben kann: Stellt euch darauf ein, oft danebenzugreifen.« Wenn du mehrere Rezensionen schreibst, werden manche weniger gut sein. Manchmal wirst du Künstler*innen unrecht tun. Das ist okay. Deine Arbeit leitet andere an, sich eine eigene Meinung zu bilden.
10. Versuche deine Leser*innen anzuregen, sich genauer mit Werken auseinanderzusetzen
Du musst kein abschließendes Urteil bilden. Bewertungssysteme wie ein 10-Punkte-Format gaukeln vor, dass Rezensionen ein Fazit geben müssen. Das tut allen Beteiligten Unrecht. Den Künstler*innen, weil es ihre Werke reduziert. (Ein schlechtes Album kann gute Songs enthalten.) Den Leser*innen, weil es nahelegt, dass abweichende Erfahrungen falsch wären. Dir, weil deine Beschreibungen hinter der Bewertung verschwinden. Reviews haben die Aufgabe, für die Auseinandersetzung mit Kunst zu begeistern. Das heißt nicht, dass du deinen Leser*innen jeden x-beliebigen Film verkaufen musst. Aber wenn du mal »Sharknado 9« rezensieren solltest, versuche die Frage im Hinterkopf zu haben: Wie kann ich meine Leser*innen dafür gewinnen, ihren nächsten Film mit anderen Augen zu sehen?
Hast du eine Idee für deine erste Rezension?
Schreib’ eine E-Mail an mitarbeit@skug.at. Du kannst fertige Reviews schicken. Besser ist: Du klärst vorher die Details mit der Redaktion ab. Sie unterstützt dich und gibt dir Feedback. Grundsätzlich sind die meisten Neuerscheinungen fair game. (Ausnahmen wären etwa: rechtsextreme Gruppen, verurteilte Straftäter*innen oder die Band deiner besten Freundin.) Interessiert dich ein Werk, das noch nicht erschienen ist, probieren wir, eine Promo-Kopie oder Pressetickets zu erhalten. Weitere Infos und ein hilfreiches Stylesheet findest du auch auf dieser Website im Bereich Mitarbeit.
Ein Bonustipp: Versuche nicht, beim ersten Mal alles richtig zu machen. Du kannst dir eine Handvoll Hinweise aus unserer Liste herausgreifen. Aber arbeite dich nicht daran ab. Schreiben lernt man im Ausprobieren.
Noch ein Bonustipp: Die nächste Schreibwerkstatt findet am Mittwoch, dem 28. Februar 2023 ab 18:00 Uhr im T/abor, 1020 Wien statt, diesmal zum nicht minder spannenden Thema: Wie führe ich ein Interview? Der Eintritt ist frei.
Zwecks Planung freuen wir uns über unverbindliche Anmeldungen unter schreibwerkstatt@skug.at. Du hast noch Fragen? Melde dich jederzeit.
Link: https://skug.at/untergruendlich-diverse-schreibwerkstatt/
Anmerkung: Das Europäische Solidaritätsprojekt »Untergründlich divers – Schreibwerkstatt für mehr Diversität im Musik- und Kulturjournalismus« wird aus den Mitteln der Europäischen Union finanziert. Es handelt sich um eine Kooperation mit skug.at.