Von einem, der auszog, um das DIY zu leben: Thomas Voburka, geboren 1956 in Wien, floh mit 21 ins Berliner Exil (Gaststätte in Berlin-Kreuzberg, gegründet vom Aktionisten Oswald Wiener), und zauberte hinter dessen Bartresen schon bald sein eigenes Musiklabel Exil-System hervor. Hier, so will’s die Geschichte, befruchteten sich Aktion und Punk, Wieners Exil trug mit 1000 Mark Startkapital zur Entstehung der ersten Single »Romance Adieu/Fast Lust« von Mono 45/UPM bei – und Voburka zum geschichtsmächtigen New Wave made in Berlin.
skug: Wie funktionierte ein Independent-Label wie deines damals?
Thomas Voburka: Das Label war so geplant, dass jeden Monat eine Single erscheinen sollte, von verschiedenen Künstlern oder Bands, in denen ich involviert war. Nach zehn oder zwölf Erscheinungen sollte dann eine LP-Compilation daraus werden. Anfangs liefen diese Independent-Produktionen mit einer Auflage zwischen 500 und 1000 Stück recht gut, aber im Zuge der Kommerzialisierung der Neuen Deutschen Welle schwand das Interesse. Der Vertrieb funktionierte schon, nur abrechnungstechnisch war das immer ein bisschen problematisch. Das lief alles über Burkhardt Seiler aka »Zensor«, der einen Laden hatte, und der mit den Läden zu kämpfen hatte, an die er geliefert hatte. Die bezahlten ihn meist nicht, weshalb er wiederum die Künstler nicht auszahlen konnte. Es war also ein ständiges Hick-Hack. Nach drei Singleveröffentlichungen war mir die Sache mit dem Label und den finanziellen Hindernissen zu frustrierend, und vor allem ging um ’80/’81 NDW so richtig los. Heißt, die Plattenfirmen, also die Majors, sind dort eingestiegen. Plötzlich kamen Typen, die man vorher nie gesehen hatte, wie zum Beispiel Trio, und haben mehr oder weniger das abgesahnt, was wir so aufgebaut hatten. Die waren in den Charts, und wir hingen immer noch mit unseren 1.000 verkauften, aber nicht bezahlten Platten herum. Dann ist auch eine Art Ausverkauf entstanden, und kurze Zeit später hat sich wirklich kein Schwein mehr für die Independent-Sachen interessiert. Was jetzt ein bisschen unglaublich erscheint: Vormals waren bei Konzerten von mir oder ähnlichen Bands 500 bis 1.000 Leute im SO 36. ’81 war noch ganz ok, ’82 gab es dann bereits Ermüdungserscheinungen. Viele Musiker haben Berlin verlassen und sind nach New York gezogen, zum Beispiel die Band Malaria. Auch das Interesse an etwas kommerzieller Musik wurde größer. HipHop war natürlich ein ganz großes Thema, aber in Berlin HipHop zu machen, daran hat damals niemand gedacht. Wie gesagt, das alles hat sich so ein bisschen aufgelöst, und mein Interesse, weiter Musik zu machen, war auch eher gering.
Was wolltest du stattdessen machen?
Für mich gab’s dann noch einen schönen Abschluss. Ich habe eines Tages einen Anruf von einer Werbeagentur bekommen. Das war die GGK aus Düsseldorf, der vom künstlerischen Standpunkt – wenn man das über Werbeagenturen sagen darf – damals angesagtesten Agentur. Die haben mich gefragt, für ein neues Biererfrischungsgetränk namens »MacTwo«, eine Mischung aus Bier und Bitter Lemon – ein eher scheusliches Getränk, muss ich sagen – den Werbesong einzuspielen. Das fand ich recht interessant, weil das noch eine andere Zeit war und mich Werbung interessiert hat. Ich habe die Radioversion eingespielt, und Andreas Dorau die Kinoversion. Das Getränk war ein totaler Flop, und ist nach wenigen Monaten trotz unseres »großen Einsatzes« vom Markt verschwunden. Seltsamerweise sind 15 Jahre später oder so Biermischgetränke irrsinnig populär geworden, damals war das anscheindend zu früh. Die Nachfolger waren auch nicht wesentlich wohlschmeckender als dieses »MacTwo«. Ich fand es ganz lustig, als im Radio lief: »… und jetzt singt euch Thomas Voburka das Lied von MacTwo, dem frischen Muntermacher«, oder wie das hieß. Das war der schöne Abschluss einer Musikerkarriere für mich. In der Punkbewegung wollten viele nur eine Platte machen oder auch nur ihre 15 Minuten Aufmerksamkeit, und an eine Musikkarriere habe ich auch nie gedacht.
Gibt es noch irgendwo Aufnahmen von diesem »MacTwo«-Song?
Ja, ich habe das Tonband zu Hause herumliegen, habe aber nie jemanden mit noch funktionierendem Tonbandgerät gefunden, auf dem man das abspielen könnte. Das ist eine Studio-Tonbandspule namens »Dolly« oder so … Ich würd’s ehrlich gesagt selbst ganz gerne hören.
Vielleicht wird’s ja der nächste Untergrund-Hit. Wenn wir schon von Hits sprechen, lass uns über »VEB Heimat« reden. Verfolgt dich der Song, oder hörst du ihn heute noch gerne?
Das seltsame dran ist, dass von den vier Platten, die ich damals gemacht habe – drei auf Exil-System, eine auf Monogam – »VEB Heimat« diejenige war, die am wenigsten Beachtung gefunden hat. Mir sind von der 500er-Auflage ungefähr 100 Stück übrig geblieben, die ich teilweise wegen der Finanzierung damals auch nicht mehr ausliefern wollte. Insgesamt war das alles relativ aufwändig, die Covers waren alle handgefertigt. Deshalb habe ich immer nur so viele Covers geklebt bzw. gefaltet, wie bestellt waren. Die übrigen 100 hab ich noch mit mir herumgeschleppt, als ich von Berlin nach Köln gezogen bin. Dann ist das alles ein bisschen in Vergessenheit geraten, bis ungefähr 1994 oder so. Da bekam ich einen Telefonanruf aus Bayern, ein sehr aufgeregter junger Mann war dran und fragte: »Hallo, Thomas Voburka? Bist du der von Exil-System?«. Er habe vor 15 Jahren mal eine Platte gekauft, und das ist seine absolute Lieblingsplatte – »VEB Heimat« – und ob ich die noch hätte. Seine wäre total abgespielt, und er hätte sie so gerne noch einmal. Ich meinte, ich hätte wohl noch welche im Keller, und wollte ihm dann zwei zu je fünf Mark schicken, er fand das zu billig und hat mir 20 Mark für zwei Stück gezahlt. Zwei Tage später rief wieder einer an, diesmal aus Solingen. Er habe gehört, die kosten 10 Mark, und ob er zehn Stück haben könnte. Ich fragte dann, warum 10, und er meinte, die seien auf Flohmärkten sehr gefragt und er könnte sie dort tauschen. Ich fragte, was die am Flohmarkt kosten. Er bekäme 50 Mark dafür. Ich schlug ihm daraufhin vor, wir machen Halbe-Halbe. Drei Tage später rief der nächste an. Ich bin dann darauf gekommen, dass damals ein Sampler namens »Call Of The Banshee« erschienen war …
… der Material von dir wieder in Umlauf gebracht hat?
Ja. Ich bin zu Saturn gegangen und habe den Sampler gekauft, auf dem auch »VEB Heimat« drauf war. Dann habe ich bei der Plattenfirma aus dem Ruhrgebiet angerufen, und mal gefragt, wie das mit den Rechten sei. Die meinten, sie hätten beim Zensor nachgefragt, und er hätte nichts dagegen gehabt. Die hatten schon 10.000 Stück verkauft, der war recht erfolgreich, mit Bands wie Absolute Body Control und Die Form darauf. P1/E war auch drauf, damals gab’s aber noch kein Internet und ich wusste auch nicht, wie ich Schäumer (Michael, gemeinsam mit Voburka und anderen Mitglied bei P1/E, Anm. d. Red.) erreichen sollte. Dann hab ich das mit den Rechten sein lassen. Die Firma hat später mit mir abgerechnet, und mich wunschgemäß nicht auf die zweite Pressung gegeben. Da waren dann die Geilen Tiere statt mir, und neben mir auch vier andere Bands nicht mehr drauf. Es hat damals in Wirklichkeit keiner was bezahlt gekriegt, wie später über das Internet zu erfahren war. Die haben gutes Geschäft gemacht bei einem Großhandelspreis von 25 Mark, bei 10.000 Stück sind das 250.000 Mark. Danach war klar, dass das ganze noch nicht in Vergessenheit geraten war, und mit Verbreitung des Internets haben mich dann immer mehr Leute auch über E-Mail angeschrieben. Als eBay aufkam, habe ich »VEB Heimat« dort angeboten. Die ging rauf auf 159 Mark. Ich habe dann die meisten Platten aus dem Keller sukzessive versteigert. Zu guter Letzt habe ich also auch noch ein paar Mark mit der Platte verdient. Später hat das Label Vinyl-On-Demand bei mir angefragt und die Compilation »Exil-System 1979-2004« veröffentlicht, kurz darauf kam dann auch DJ Hell, der meinte, »VEB Heimat« wäre schon immer eins seiner Lieblingsstücke gewesen, wofür er eigentlich viel zu jung ist, und wogegen auch die Verbreitung der Platte spricht.
Für euren Samplerbeitrag zur CD-Compilation »New Deutsch« auf Gigolo Records wurdest du von DJ Hell persönlich kontaktiert?
Ja, eines Tages kam eine E-Mail, in der stand: »Ihr seid natürlich dabei!«. Das war das Statement. Darauf habe ich geantwortet, dass freut mich, aber ich wüsste gern, wo. Er hat dann so bruchstückartig preisgegeben: »Ja, wird ein großes Ding!«. Nach und nach kam dann heraus, was das werden sollte.
Du hast angeblich mit der fingierten Entstehungsgeschichte des Songs damals auch den Medien, allen voran Alfred Hilsberg, dem »Vater« der Bezeichnung »Neue Deutsche Welle«, ein Ei gelegt …?
Naja, so groß war das Ei nicht. Die Idee war: Weil es keine Platten von DDR-Punkbands gab, eine fiktive DDR-Punkband, wie sie eventuell klingen könnte, zu machen. Ich habe an das Magazin »Sounds« geschrieben, dass ich zwei Technologiestudenten aus Schwerin aufgenommen hätte, die den Titel »VEB Heimat« als Weltklang auf Exil-System eingespielt hätten. Die haben es ohne zu überprüfen abgedruckt – und damit war’s halt eine DDR-Band. Das war eben so eine Idee beim abendlichen Bier, die gleich am nächsten Morgen durchgesetzt wurde. Die Covergestaltung und all das orientierte sich am DDR-Stil.
»spex« war für dich in dieser Sache nicht relevant?
Doch. Der Typ, der die Rezension im »spex« geschrieben hatte, war ein Bekannter von Michael Schäumer von P1/E und wusste natürlich, dass die Platte nicht von einer DDR-Band, sondern von mir kam. Diese wohlwollende Kritik hat mir später im Zuge der Verhandlungen zu »Call Of The Banshee« sehr geholfen, weil ja nirgends auf der Platte meine Urheberrechte vermerkt waren. Die meinten zuerst, Weltklang zu sein, könne jeder behaupten, und ich habe ihnen das »spex« gezeigt und sagen können: »Da steht’s!«
Du bist nach gut 30 Jahren »Kulturexil« wieder nach Wien zurückgekommen. Was hat dich dazu bewogen?
Um es ganz einfach auszudrücken, diese sehr günstige Wohnung, die ich hier habe. Zudem war ich auch ein bisschen »Deutschland-müde«. Die ganzen Tendenzen in Deutschland mit Lohndumping und allem, was dazu gehört, haben es relativ schwer gemacht, dort Geld zu verdienen. Gerade bei dem, was mit Medien zu tun hat. Mir hat es in den letzten zwei, drei Jahren in Deutschland nicht mehr so gut gefallen. In Köln sowieso nicht, und nach Berlin wollte ich auch nicht – und da hat sich Wien angeboten.
Auch deine aktuelle Veröffentlichung in Buchform beschäftigt sich mit Orten. Der Fotoband »Gute Geschäfte!« zeigt Auslagen und Fassaden von Einzelhandelsgeschäften in Wien und kann mehr oder weniger als Manifest gegen Monopolisierungstendenzen gelesen werden.
Ja, alles ist ein bisschen langweilig geworden in Deutschland. Die Innenstädte ähneln sich sehr, es gibt eigentlich nur noch Handelsketten, und kaum noch individuelle Läden. In Berlin ist das natürlich noch ein bisschen anders als in den westdeutschen Großstädten. Ich erlebte auch einen Kulturschock, als ich in Wien so vieles gesehen habe, von dem ich mir dachte, es steht seit 30 Jahren unverändert. In Deutschland wird alles immer rasend schnell erneuert. Es weiß zum Beispiel kaum noch jemand dort, wer Fassbinder war. Es ist erstaunlich, wie das Alte ausgemerzt wird. In Wien war lustig zu sehen, dass Geschäfte seit Jahrzehnten mit unveränderten Schaufenstern existieren. Das war faszinierend und machmal auch gruselig, weil überall unsichtbare und sichtbare Spinnweben herumhängen. Als Kontrapunkt zu dem schnellen deutschen Veränderungswillen ensteht der Eindruck, dass sich hier noch etwas bewahren lässt. Auch von der Ästhetik her sind diese Schaufenster sehr interessant. Ich habe begonnen, das gemeinsam mit einem Freund zu fotografieren, und aus der Sammlung ist das Buch entstanden.
Diese Auseinandersetzung erinnert an Marc Augé’s Theorie von den Nicht-Orten, die den weltweiten Zuwachs der »identitätslosen« Orte thematisiert …
Man darf nicht vergessen, dass auch in Wien Etliches stirbt. Es sind in dem Jahr der Buchentstehung schon unheimlich viele Geschäfte verschwunden. Allerdings bleiben hier oft relativ lange die leeren Fassaden stehen, die im Gegensatz zu neueren Portalen aus Glasflächen beziehungsweise ziemlich ebenen Flächen sehr haptisch sind. Die stehen auf die Straße heraus vor, und man sieht auch noch, was drinnen war – auch wenn nichts mehr drinnen ist. Bei den modernen Geschäften bleibt nur noch die Glasscheibe, und man sieht nicht mehr, was vorher drin war. Die Spuren des Verfalls bleiben bei den alten Geschäften noch hängen, manchmal ergeben sich da sehr nette optische Variationen. Das sieht aus wie ein abstraktes Gemälde, wenn nur noch ein paar Farbflächen da sind.
Hast du während deiner Berlin-Zeit die Möglichkeit genutzt, in den »Osten« rüberzugehen?
Ja, für Österreicher war das relativ einfach. Man musste nur zu einer Grenzübergangsstelle, Checkpoint Charlie oder Friedrichsstraße zum Beispiel, hat seinen Pass hergezeigt und konnte mit ich glaube 20 Mark Pflichtwechsel und einem Tagesvisum rübergehen. Für Westberliner war das relativ schwierig, es war ein größerer administrativer Aufwand. Ich bin öfter rüber, und nach so einem DDR-Spaziergang ist die Idee von Weltklang und »VEB Heimat« entstanden.
Weltklang und das Jetzt. Wie kam es zur »Reunion«?
Dass es Weltklang jetzt wieder gibt, ist irgendwann im Jahr 2006 nach den Veröffentlichungen auf VoD und Gigolo aufgekommen. Der Franzose Hervé Hue, der in Belgien und Frankreich das Festival »Remember Of The Past« veranstaltet, hat bei mir angefragt, ob Weltklang Ambitionen hätte, zu spielen. Mir gefiel die Idee zum sozusagen 25-jährigen Jubiläum, und ich habe dann einen Freund aus Köln, der als Producer und Tontechniker aktiv ist, gefragt, ob er Lust hätte, ein Elektronikduo namens Weltklang mitzugestalten. Die Band gab es ja vorher nicht, und etwas, das es nicht gab, nach 25 Jahren in die Realität zu beamen, fand ich ganz interessant. So waren wir zwei eben die beiden DDR-Jungs aus Schwerin, die auf dem »Remember Of The Past« Festival in Waregem in Belgien aufgetreten sind. Das war eine sehr schöne Location im Gebäude der Pferederennbahn von Waregem. Da kamen wegen Weltklang überraschenderweise so fünf Mann aus Amerika, und das fand ich doch sehr erstaunlich. Dort bat uns auch der Veranstalter einer Party im Zwischenfall Bochum um einen Auftritt, und später spielten wir auch in Amsterdam und Berlin, wo Bettina Köster von Malaria veranstaltete. In dem Jahr ergaben sich 15 Gigs, ohne dass wir das vorher geplant oder größere Ambitionen in Richtung einer Booking-Agentur gehegt hatten. Das lief alles über Internet, und vor allem MySpace.
… dessen Tod heute immer wieder kolportiert wird.
Halb Brooklyn hat sich plötzlich bei mir gemeldet, und die Welt ist auf einmal sehr klein geworden. Nach einem Jahr war aber diese erste Freude auch wieder dahin und es gab nur noch Bands, die bei anderen Bands für ihre Produkte geworben haben. Das war ein »Pop will eat itself«-Phänomen, und ist, so wie ich das gesehen habe, dadurch implodiert. Ich habe mich davor noch durch Zufall mit der Band Aeronautica aus Odessa in der Ukraine befreundet, und daraufhin ist eine Connection mit anderen Bands vom Schwarzen Meer entstanden, mit denen ich dann den CD-Sampler »A Dark Wave From The Black Sea« mit Bands aus Bulgarien, Georgien, Ukraine und der Türkei gemacht habe. Der hat sich relativ schlecht verkauft, aber wir hatten im ersten Monat lustigerweise über 1.000 bezahlte Downloads. Über die Digitalabrechnung sieht man, man hatte drei Downloads in Vietnam, in Saudi-Arabien zwei und in Dubai einen oder so.
In Zeiten dieser digitalen Globalisierung – braucht es da noch lokale Kategorien wie »Ost« und »West«?
Bei diesen Schwarzmeer-Geschichten ist mir aufgefallen, dass das verbindende Element »süßliche« Sounds waren, die für mich eine Sonnenstrand-Akustik produzieren. Im Unterschied zu vielem, was man so hört, hatten die eine gewisse Eigenart, und das ist eigentlich auch so wie Italo-Disco etwas sehr Spezielles. Wir wollten auch eine Releaseparty veranstalten, aber das ist dann daran gescheitert, dass es keine billigen Flüge nach Odessa gibt. Es hätte mehr oder weniger 20.000 Dollar gekostet, alle Leute dort hinzuschaffen, was bei einem Durchschnittseinkommen unter 200 Dollar zu viel war. Dafür haben wir ein paar alte Exil-System-Tracks zu einer Produktion für den russischen, moldawischen und georgischen Markt beigesteuert und als Weltklang in Odessa und Kiew gespielt, was wirklich ein ganz großartiges Erlebnis war. Wie gesagt hat sich über MySpace, später auch Soundcloud und all die neuen Plattformen gezeigt, dass die Welt oft doch relativ klein ist. Es kamen recht plötzlich lokal gebündelte Anfragen, aus Kolumbien zum Beispiel, was ganz seltsam ist. Ich hätte mir nie gedacht, dass sich in Kolumbien jemand für Weltklang interessiert. Da gab’s mit einem Mal dreißig, vierzig Weltklang-Fans in Kolumbien, und auch in Mexiko waren wir eine Zeit lang ganz aktuell. Ein Plattenladen in Mexiko City wollte sogar zwei LPs und fünf CDs bestellen, das Porto dahin kostet allerdings bedauerliche 40 Euro, und bei einem Gesamtwert einer Bestellung von 30 Euro war das schon problematisch. Ich mache sowas dann trotzdem und zahle die Hälfte vom Porto selbst, aber so toll ist das auch wieder nicht …
Du hast seit einigen Jahren wieder Kontakt zu deiner ehemaligen Kollegin Bettina Köster …
Ich habe Bettina in der Zwischenzeit 25 Jahre nicht gesehen, und der Kontakt hat sich erst dadurch erneuert, dass wir beide wieder begonnen haben, Musik zu machen. Es hat sich ja so entwickelt, ich weiß auch nicht warum, dass sehr viele Leute wieder aktiv geworden sind. Vielleicht ist das ein Altersphänomen, dass man wieder Lust bekommt, das zu machen, was man 25 Jahre nicht gemacht hat. Es war ja nicht so, dass diese ganze Punkbewegung irgendwie strategisch entstanden ist, sondern es haben zur gleichen Zeit viele etwas ähnliches oder etwas, das in irgendeiner Form zusammengepasst hat, gemacht. Das lief nicht nach dem Prinzip Nachahmung, das war so etwas wie eine Atomreaktion – war plötzlich da. Dass viele Leute dann wieder begonnen haben, Musik zu machen, war auch so ein seltsames Phänomen.
Wie geht es mit Weltklang weiter?
Über Zukunft zu sprechen, bringt nichts, ich will die Strategie des Zufalls nicht ändern. Es war von Anfang an alles Zufall und nicht geplant. Was auch immer, vielleicht fragt mich wieder mal jemand nach einem Werbesong, das würde mich freuen – aber diesmal für ein erfolgreiches Getränk!
Weltklang live am 20.5.2011 im Fluc @ Future Echo.
Attila Corbaci & Thomas Voburka: »Gute Geschäfte!«, Metroverlag 2011, 160 Seiten, EUR 16,90