skug traf den Sounddesigner Christian Ogrinz in seinem Berliner Studio und sprach mit ihm über sonische Windräder als Massenvernichtungswaffen, alleingelassene Maschinen und Sounddesign als Gefühlskunst. Dabei stellte er klar: »Ich bin kein Sound-Utopist, aber das Menschenmögliche versuche ich.«
skug: Dein Hörspiel »Frontfoto« ist im November 2012 im deutschen Hörfunk gelaufen. Worum geht es dabei und was macht den Stoff so spannend?
Christian Ogrinz: »Frontfoto« ist eigentlich die moderne Form des »Don Quijote«-Stoffes. Das Motiv des fortlaufenden Scheiterns eines vermeintlich Verrückten ist da ganz zentral. Wir alle kennen den »Ritter von der traurigen Gestalt«, der gegen Windmühlen kämpft. In »Frontfoto« verhält es sich ganz ähnlich, nur dass nicht die Neuzeit ins Mittelalter des Don Quijote einbricht, sondern das 21. ins 20. Jahrhundert des Alfons Ritter. Der versucht gegen die Windkrafträder seiner Region vorzugehen, weil er sie in seiner Raserei für sonische Massenvernichtungswaffen hält und meint, dass sich ihre Subbassfrequenzen auf das Unterbewusstsein der Bevölkerung auswirken. Die Umsetzung des Themas in Sound ist in der Tat spannend. Wie klingt das Mittelalter? Wie das 20. Jahrhundert? Welchen Sound kann das 21. Jahrhundert haben? Mein Part als Sounddesigner war, die emotionale Welt, in der sich der moderne Don Quijote alias Alfons Ritter bewegt, klanglich zu reflektieren.
Wie drückst du das klanglich aus?
Es ist eine Zeitreise, die auch eine Reise durch das Innere der Hauptfigur geworden ist: Die Titelmusik setzt mit archaischen metallischen Schlägen ein, denen Trommelschläge auf Holz und Tierhaut antworten. Dann kommt das Hauptmotiv, intoniert von Celli, spätromantisch gefärbt, typisch für das 20. Jahrhundert à la Hollywood. Doch bereits hier sickert der Sound des 21. Jahrhunderts durch, der medial gebrochen, Dub-reduziert und Kompressor- verdichtet ist. Die Zeitreise geht weiter über serielle, minimale und psychedelische Musik, verlässt die klassische Instrumentierung im handgreiflichen Sound urbaner Beats und mündet in den spirituellen Kontrapunkt von Subbassfrequenzen und Ultradub-Halluzinationen, zwischen denen die ganze Welt Platz hat. Es ging mir darum, einen materiellen Sound zu gestalten. Das Gefühl zum Anfassen.
Was verstehst du konkret unter »Sound«, und welchen Stellenwert hat er deiner Meinung nach in der Musik?
Sound ist ein Mysterium. Niemand kann sagen, was genau beim Hören von Musik passiert. Vielleicht weil das menschliche Gehirn über mehr Synapsen verfügt, als es Sterne im Universum gibt. Hirnstrommessungen jedenfalls liefern erstaunliche Ergebnisse, aus denen man zum großen Teil nicht schlau wird. Wir alle wissen außerdem, dass man nicht nur mit den Ohren hört, sondern mit dem ganzen Körper! Der Clubbesuch ist nicht nur ein Hörerlebnis: Der Bass verflüssigt die Luft. So kann Reggae erst funktionieren, genauso wie House oder Dubstep. Der Körper wird vom Bass getragen und – tanzt! Wer sich der Ûbung unterzieht und ein klassisches Konzert besucht, wird Ähnliches feststellen. Auch die mittleren und hohen Frequenzen werden mit dem ganzen Körper, also nicht allein mit den Ohren, gehört. Das macht Spaß.
Wie bist du zu deinem Beruf als Sounddesigner gekommen?
Das Zusammengehen von Melodik, Harmonik, Rhythmus und Sound ist mein Ding. Als Kind der 1970er Jahre bin ich »Pop Native«. Schlager, Disco, Kirchen- und Volksmusik, Rock’n’Roll, das ging alles miteinander. Mein musikalisches »Erwachen« war an einem Sommertag 1982: »Da Da Da« von Trio. Das Lied hat damals durch seinen Sound geschockt. Super minimalistisch, ultramodern. Der Text auf Deutsch mit englischen Sprengseln – ein Killer! Der punkige Umgang mit Synthesizern und Tontechnik hat mich nachhaltig geprägt. Zwar haben später auch Kraftwerk auf meine Musik eine große Wirkung gehabt, aber ich bin nie so »kraftwerkisch« an Sound herangegangen. Mein Soundideal lässt sich nicht nur mit tontechnischen Parametern messen, es ist die direkte, unmittelbare Wirkung, die mich fasziniert.
Ein weiterer Einfluss ist die geistliche Musik von Johann Sebastian Bach. Die Tiefe von Miles Davis. Und um Gottes Willen: der Funk von James Brown!
Du produzierst ja für den Medienbereich und auch für industrielle Auftraggeber. Was tust du eigentlich als Sounddesigner?
Zuallererst: zuhören, das ist das Wichtigste. Meine Auftraggeber sind ja nicht alle von morgens bis abends in der Materie Musik und Sounddesign. Ich versuche herauszufinden, was sie sich wünschen. Das kann ein Sound sein, ein Stil, meistens ist es eher ein Gefühl. Sounddesign ist Gefühlskunst. Klingt ein bisschen gruselig, nicht wahr? Aber das ist meine Profession. Und die birgt eine hohe Verantwortung, denn: mit Gefühlen spielt man nicht. Wenn ich für Medien wie ARTE Creative oder den Westdeutschen Rundfunk als Sounddesigner arbeite, muss ich mir vor Augen führen, dass mir einerseits die Wünsche meiner Auftraggeber am Herzen liegen, andererseits die Hörer und Zuschauer diejenigen sind, um die es gehen soll. Das ist natürlich eine Gratwanderung. Aber das macht es auch interessant.
Was tust du als »Corporate Sounddesigner« und wie unterscheiden sich die Aufträge zu denen aus dem Medienbereich?
Wenn ich Corporate Sounddesign, also Markenklang erstelle, wie zum Beispiel jüngst für eine Medieninitiative, geht es um »strategische Emotionalisierung«. Ich sage meinen Kunden immer, dass es nicht um Manipulation geht. Corporate Sounddesign kann einen Einfluss ausüben. Nur eben einen tiefergehenden als Grafikdesign, Bewegtbild und Text. Durch konsequenten Einsatz von Corporate Sound mit dem Audiologo als Kern der auditiven Markenidentität kann eine Marke ihr »Standing« erwiesenermaßen verbessern. Als Corporate Sounddesigner helfe also ich einer Marke, Wurzeln zu schlagen. Im Falle der Medien ist man im Laufe der Jahre langsam draufgekommen, diesen Umstand zu berücksichtigen und einzuplanen. Die Unternehmen finden Geschmack an Sound, und selbst die Agenturen riechen den Braten. Meiner Beobachtung nach ist die Hemmschwelle, dass die Entscheidung über einen Sound letzten Endes im Unterbewusstsein stattfindet. Das ist für Menschen, die sich in rationalen Prozessen wähnen, ein schwieriger Fall. Für am wenigsten riskant hält man das Klischee. Aber deshalb wimmelt es in der Werbung von »Good-Mood-Songs«. Selbst ein kurzfristiger Effekt ist da anzuzweifeln. Im besten Falle stört es nicht. Ist aber schon blöd, wenn sich eine Autoversicherung anhört wie Waschmittel oder Schokolade.
Wie hängt deine Leidenschaft für den richtigen, »perfekten« Sound mit deiner Arbeit als Produzent zusammen?
Mein Ziel kann nicht Perfektion sein. Denn Sound bleibt ein Schatten, der ungleiche Zwilling, wenn man so will. Wer das anders angeht, verfolgt vielleicht eine Marketingstrategie, ich würde aber sagen, er lügt sich in die eigene Tasche. Bei vielem, was ich so an Musik höre, merke ich einfach, dass da bloß ein Gerät gelaufen ist, und das war’s dann, da wurde nicht mehr weiter am Klang gearbeitet. Und genau das mag ich nicht, diese alleingelassenen Maschinen finde ich furchtbar! Mir geht es mehr um ein handwerkliches Schaffen direkt am Klang. Ein Kniff ist zum Beispiel, dass der Hall den richtigen Anteil bekommt und nicht nur so spröde vor sich hinwabert; oder dass ein Klang mal abreißt, zusammenschrumpft und anschließend wieder wachsen kann. Oder ich mache einen Cut an der richtigen Stelle, so dass man ihn nicht hört. Diese kleinen Eingriffe auf der Mikroebene des Klangs, die man als Hörer eigentlich nicht mitbekommt, ohne die es sich aber trotzdem erheblich schlechter anhören würde, sind sehr wichtig, sowohl in der Rhythmik als auch bei Loops. Für meine Arbeit in Clubmusik gilt das gleiche. Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, szenekonform zu sein. Mir geht es eher darum, die Dinge zu ändern, den Sound zu entwickeln. Die neue Wasserstoff-Kooperation mit Dyer MC aus Los Angeles und Ciafrica aus Abidjan von der Elfenbeinküste geht genau in diese Richtung. Wir arbeiten an einem neuen Sound, wir wollen etwas verändern. Und das ist kein Kampf gegen Windmühlen – Musik kann die Welt verändern.
Musik kann die Welt verändern?
Die Diktaturen Osteuropas sind 1989/90 zusammengebrochen, weil die Menschen die Unfreiheit nicht mehr ertragen haben. Johannes Paul II. als polnischer Papst hat dazu seinen Beitrag geleistet, immerhin ist er auch deswegen selig gesprochen worden. Mit Sicherheit hat aber auch der Sound des Pop gewaltig an der Mauer gerüttelt. Der Sound der Freiheit hat über das Internet den arabischen Frühling beflügelt, der Sound der Einheit, Kwaito, hilft Südafrika, sich zu versöhnen. HipHop hat, wie Funk und Soul, die Kraft gegeben, Rock’n’Roll die Welt geöffnet. Ich bin kein Sound- Utopist, aber das Menschenmögliche versuche ich.
Christian Ogrinz aka Wasserstoff: »Lumen« (Metrofon und Subbass – Releasedatum 15. 3. 2013)