Max Nagl © Johannes Novohradsky
Max Nagl © Johannes Novohradsky

Wunderkammer Rude Noises

Allein in Max Nagls Solo-Miniaturen ist so viel los, dass das Ohr ständig herausgefordert wird. Ein kleiner Überblick über das vor Ideenreichtum sprühende Schaffen des in Wien lebenden Komponisten/Saxophonisten/Multiinstrumentalisten, der seine Tonträger auf dem Eigenlabel Rude Noises veröffentlicht.

Aus dem oberösterreichischen Ohlsdorf zum Wiener Universalmusiker. Pfiffikus Max Nagl verpackt speziell in seine Solo-Werke so viele Überraschungen, dass Kurzweil die Hörer*innen freudig stimmt. Sein Oeuvre reicht allerdings viel weiter, vom Trio bis zum üppig instrumentierten Ensemble. Höchste Zeit für ein neuerliches Porträt, lange nach dem Artikel in skug Vol. 36, abgerundet mit drei Reviews zuletzt erschienener Compact Discs, die delikaten Hörgenuss verheißen.

36 Jahre umfasst der Veröffentlichungszeitraum des gebürtigen Ohlsdorfers Max Nagl. Begonnen hat dieser Reigen an eindringlicher Musik mit »La Belle Est La Black«, der Split-LP von Manhattan Love Suicide/Max Nagl (1988). Die A-Seite umfasst Solo-Pièces, wobei allerdings bei zwei Nummern Langzeitkompagnon Josef Novotny das Computer-Programming besorgte und Susanne Casten zwei weitere Tracks, die Grundlage für eine Tanzperformance waren, ihre Stimme lieh. Die B-Seite ist eine Trio-Aufnahme, ebenfalls aus 1988 datierend, mit Willi Freigner (drums, objects) und dem bereits verstorbenen Jonny Griebler (guitar, vocals) sowie Max Nagl (altosax, tapes, mouthpieces). Naheliegend wäre, dass Manhattan Love Suicide vom New Yorker No Wave Sound beeinflusst wurde, was Max Nagl aber verneint. Das Vorbild waren »Game Pieces«, »Cobra«, »Lacrosse« etc. von John Zorn. James Chance, eine weitere, im Juni 2024 verstorbene Ikone aus dieser Ära, war somit auch kein Idol? Max Nagl: »Nein, ich habe ihn erst sehr viele Jahre später live in der Szene Wien gesehen und fand sein Auftreten sehr witzig.«

Max Nagl Trio © Johannes Novohradsky

The art of trio

Max Nagl ist weiterhin ein Meister darin, Trios in vielerlei Facetten erklingen zu lassen. Epochal war u. a. die Einspielung »Market Rasen« (Handsemmel Records, 2005) die sich der Musik Robert Wyatts widmete. Herbert Pirker und Clemens Wenger waren dabei bereits seine versierten Kompagnons. Heuer beglückte dieses formidable Trio unter wolkendräuendem Himmel mit einem Live-Gig beim Kultursommer Wien im Meidlinger Wilhelmsdorfer Park mehr als 200 Besucher. Unvergesslich auch das Max Nagl Trio mit Vinzenz Wizlsperger und Paul Skrepek vom Kollegium Kalkburg (Live Recording aus 1999 in der Jazzgalerie Nickelsdorf und im Blue Tomato Wien, Rude Noises). Für Max Nagl sind die unterschiedlichen Trio-Ausgaben eigentlich nicht vergleichbar. Und die wundersame epische Breite seiner Ensemble-Formationen, an denen Pirker und Wenger ebenso mitwirken, würde ein klein wenig den Rahmen dieses Artikels sprengen. Es sei aber hervorgehoben, dass der Nagl’sche Kompositionsesprit im meist zehnköpfigen Ensemble in epischer Breite ausgewalzt wird. »Live at Porgy & Bess/Vienna Vol. 5« (Rude Noises 36/2023) featured u. a. Pamelia Stickney (Theremin) und die beiden Violinistinnen Anne Harvey-Nagl und Joanna Lewis.

skug: Voran eine politische Frage. Wie sehr erzürnt dich, dass Korruption in deinem Heimatort Ohlsdorf zur Zerstörung von 19 Hektar Wald für Mogul Asamers Schottergrube führte, mit einem vagen Arbeitsplätze-Versprechen, das nicht eingehalten wurde?

Max Nagl: Ich verfolge schon, was darüber berichtet wird, aber ich hab’ schon sehr lange keinen Bezug mehr zu Ohlsdorf, außer einen familiären.

Die eigentliche Grundlage für dein grandioses Solo-Schaffen bildete der Tonträger »Ohlsdorf 18« aus 1995, der meiner Erinnerung nach mit einer Kreuzung aus Avant-Sounds aus New York mit unter anderem Blasmusik-Traditionals aus Oberösterreich eine Offenbarung war. Siehst du das auch so oder ist da noch Weiteres zu berücksichtigen?

»Ohlsdorf 18« entstand, weil ich mir einen Vierspur-Kassettenrekorder von Jonny Griebler zum Aufnehmen ausgeborgt hatte und wurde ursprünglich als Kassette veröffentlicht. Es hatte eigentlich mehr mit Lol Coxhills »Ear of the Beholder«-Platte zu tun, die ich zu der Zeit sehr oft gehört habe. Weniger mit New York.

Legendär für deine Solo-Einspielungen sind für mich »Super 8« und die Mini-CD »Bärenoper«. Inwiefern schließen deine aktuellen drei Compact Discs »Moos«, »Étui« und »Tokyo 1-Day Ticket« daran an?

Eines geht ins andere. »Super 8« ist 1997 erschienen. Mittlerweile sind es ja an die 16 Solo-CDs.

Dein brillanter Score zu »Drinnen, bei mir, bin ich sehr traurig. Joseph Roth«, einem Hörspiel von Helmut Peschina, der darin die Lebensgeschichte des hochgeschätzten österreichischen Journalisten und Schriftstellers schildert (Ö1-Hörspiel am 31. August 2024), hat mich sehr beeindruckt. Vermutlich tragen Auftragsarbeiten für Theater, Tanzperformance oder Rundfunk mehr zu deinem Lebensunterhalt bei als deine für Konzerte und Tonträger konzipierte Musik? Bitte schildere einige Arbeiten, die deiner Meinung nach die essenziellsten waren.

Es gibt leider schon länger keine Anfragen mehr für Hörspielmusik und die Sendungen wurden auch schon vor Jahren gekürzt. Die Essenziellsten waren sicher die Hörspiele nach Romanen von Joseph Roth, »Die Wolfshaut« (Hans Lebert) und »Die Blendung« (Elias Canetti), die alle Helmut Peschina für das Hörspiel adaptiert hat, in der Regie von Robert Matejka oder Harald Krewer. Aber auch andere spannende Projekte, wie ein Hörspiel mit Live-Musik der Big Band des HR. Im Theater oder für Tanzperformances habe ich schon lange nicht mehr gearbeitet, obwohl es für mich immer sehr spannend war und ich gerne wieder etwas machen täte, wenn sich eine Gelegenheit ergeben würde. Mein nächstes größeres Ensemble-Konzert ist am 31. Jänner 2025 im Porgy & Bess.

Max Nagl © Johannes Novohradsky

Das finde ich sehr schade, dass es so wenige Engagements gibt, weil dein Sound einzigartig brillant ist. Wie kannst du dann deinen Lebensunterhalt bestreiten? Warum so selten Live-Gigs?

Das hat sich so ergeben. Es ist ein Auf und Ab, manchmal mehr, manchmal weniger. Ich unterrichte schon lange in der Musikschule Gumpoldskirchen.

Liege ich richtig, dass konzeptueller Ausgangpunkt der zuletzt erschienen Solo-CDs jeweils Samples und Field Recordings waren? Bei »Moos« rurale Klänge aus Schönbach, bei »Étui« Vokal- und Soundschnipsel aus welchen Filmen? Und bei »Tokyo 1-Day Ticket« Geräusche des Gewusels in der Metro der japanischen Hauptstadt?

»Moos« und »Labofan« sind zwei Stücke aus »One plus One«, Musik, die ich für das Christine Gaigg Tanzensemble 1999 fürs ImPulsTanz Festival komponiert habe, uraufgeführt in den Sofiensälen. Ich hab’ die zwei Stücke für ein 15-köpfiges Saxophon-Ensemble für das Jazzseminar in Schönbach arrangiert. Nach dem Seminar hab’ ich das Stück alleine mit meinen Saxophonen aufgenommen. Die Geräusche auf der CD kommen von Außenaufnahmen in diversen ländlichen Gegenden. »Étui« hat mit Robert Frank zu tun. Die Geräusche von »Tokyo 1-Day Ticket« habe ich klarerweise in Tokyo aufgenommen, hauptsächlich in U-Bahnen.

Das Jazzseminar Schönbach ist ein Ort der Inspiration, wo du dein Können und Wissen weitergibst. Was passierte in diesem Waldviertler Dorf 2024? Gibt es jährlich ein Leitmotiv? Welche Teilnehmer*innen sind dir besonders in Erinnerung, in welchen Konstellationen, mit welchen Instrumenten? Und worauf bezieht sich die Dankesliste auf deiner Solo-CD »Moos«?

Das Jazzseminar Schönbach ist etwas ganz Besonderes, das heuer zum 17. Mal stattfand und bei dem einige Teilnehmer*innen ebenso oft dabei waren. Jedes Jahr kommen neue dazu und die Dozent*innen sind alle befreundet und das Dozent*innenkonzert am Beginn der Woche und das Abschlusskonzert der Teilnehmer*innen sind ein musikalisches Ereignis der besonderen Art! Es gibt kein Leitmotiv, jeder gibt seine Ensemble-Themen im Vorhinein bekannt und die Teilnehmer*innen suchen sich aus, was für sie passt. Das »Thank you« bezieht sich auf das Bläser-Ensemble mit dem ich »Moos« aufgeführt habe, weniger auf die naturbelassene Atmosphäre.

Max Nagl © Johannes Novohradsky

Den Ausschlag für diesen Text gab das medial unterschätzte solistische Oeuvre Max Nagls, weshalb abschließend die drei aktuellen Solo-CDs rezensiert werden. Max Nagl kompakt zu seinem Solo-Werk: »Ich nehme einfach gerne Geräusche auf und manchmal ergibt sich daraus ein Musikstück«. Final sei noch auf die Nonchalance Max Nagls verwiesen, die sich oft in prägnant-kurzen Statements findet, aber vor allem auch in der Benennung der einzelnen Tracks. Wie etwa »infla« und gleich darauf »granti« auf »Étui«. Was von Humor und begnadeter Intuition zeugt.

Max Nagl: »Moos« (Rude Noises 37/2023)

Auf »Moos« geht es durchaus minimalistisch zu, die Hörer*in umkreisen ländlich anmutende Themen, wo aus der Wundertüte so manches dazugezaubert wird, wie auf »Labofan« eine Maultrommel. Das Ländliche, die rurale Natur des Waldviertels hinterlässt auf »Moos« tiefe Spuren. Zum einen dringt die Sozialisation Max Nagls in einer Blasmusikkapelle durch. Mit örtlichen Gegebenheiten wie Kuhglockengeläut wird eine lässige Klang-Liaison eingegangen. Vogelgezwitscher belebt das melancholietrunkene »Hohmer«. Hühnergegacker könnte das perkussive »Limba«, wo klarerweise das Instrument Kalimba drinsteckt, inspiriert haben. Auch »Turtel« spiegelt wie fast alle Tracks mit Taubengurren aus der näheren Ferne das Landleben. »Speg« mit verzerrtem Saxophon, kreischender E-Gitarre und undergroundigem Hammondorgelsound ist ein Ausreißer, der Großstadtluft importiert. Unglaublich fröhlich und fantastico erklingt »weesl drinks deesl«, schön verquer, mit tänzelnd eiernder Schunkelmelodie, umflort von etwas schrägem Sax. Tja, das finale »Moos« beherbergt mehrere Saxophonstimmen, die auf verwunderliche Weise beseelt ineinanderharmonieren. Akkurat vollmundig. Sozusagen der bemooste Gipfel, naturbelassen »Moos« getauft.

Max Nagl: »Étui« (Rude Noises 38/2024)

»Étui«, gewidmet dem Filmemacher, Kameramann und Fotograf Robert Frank, erinnert mit famosen Stimm-Loopings, die aus Kinofilmen herrühren, an gewisse Werke des Minimal-Music-Komponisten Steve Reich. Etwa auftaktend »seulens« und »amorosli«, doch ohne lyrische Komponente geht’s bei Max Nagl nicht. Auf »balal« bürgt dafür eine langatmige, lauschige Sax-Line, auf »frognose« wirken im Hintergrund Gitarrenflächen bestimmend. Überhaupt sind neben dem Saxophon häufig E-Gitarren-Sounds zugegen. Auf Cut 5, »beulens«, mit Harmonium als Begleitinstrument, folgt »öha«, worauf ein aufgeregtes Hendl reinfunkt. »rehptil« erweist sich als ein bissl orgiastischer Gitarren-Sax-Noise-Berserker und nach einigen kurzweiligen Intermezzi ertönt »jovan« ein klein wenig volksmusikalisch, wo auch eine singende Säge und Glockengeklingel Akzente setzten. Aus den vielen (ultra-)kurzen Stücken, die vor spritzigem Einfallsreichtum strotzen, ragt sogar noch »omara« heraus. Arge majestätische Marschmusik mit Drumcomputer krönt scheinbar ein Akkordeonsample, das aber keines ist. Max Nagl: »Da hab’ ich türkische Hochzeitstrommler im 10. Bezirk aufgenommen und was wie ein Akkordeon klingt, ist eine dazugestimmte, rhythmisierte Autohupe.« Und fast hätt’ ich das in der Albummitte platzierte Stück »auslaufrille« unterschlagen. Darin überlagern sich feinmotorische Sounds und E-Gitarren-Noise mit Endlosschleifen-Sounds. Pure Magie, die 5:17 Minuten lang das Herz erfreut.

Max Nagl: »Tokyo 1-Day Ticket« (Rude Noises 39/2024)

Ungewöhnlich groovy ist zunächst »Tokyo 1-Day Ticket«, das mit dem vierten Track »rappongi« Japan Noise nahekommt, allerdings auch aufgeräumte Minitaturen wie »shimbashi« mit Sehnsucht heischendem Saxophon aufbietet. Auch »otemachi« verkörpert Beschaulichkeit inmitten des Großstadttrubels. Großartig wie immer die Klangschleifen, auf diesem Track scheint eine von einem präparierten Piano zu stammen. Nahtlos daran schließt das verträumte »ueno« an, mit halligem, den Raum durchmessendem Saxophon, dem perkussive Geräusche beigesellt werden. »harajuko« ist dann noch sparsamer, mit geradezu lyrischem Saxophonklang, »ebiso« offeriert darauf verschlafene Dreamscape-Romantik pur, gefolgt vom geradezu fröhlicher Sax-Looping-Würze auf »shibuya« und Max Nagl kann diese kontemplative Stimmung auch auf drei Minuten ausdehnen. »mejiro«« wird von langanhaltenden Pianoklängen untermalt. Wunderschön ist das und auf dem schwungvolleren »akasaka« wird der Soundtrack von Tokios Metro-Mood mit fröhlichem Gepfeife aufgewertet. Mit den wiederum geheimnisvoll leise Großstadtatmosphäre evozierenden Tracks »yoyogi« und »iidabashi« gleitet der Sound über in den finalen Track »kamakara, wo eine Toypiano-melodische Repetition von einer Maultrommel konterkariert wird.

Link: https://www.maxnagl.at/; https://www.youtube.com/@rudenoises

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