Mario Wurmitzer © Flora Hübl
Mario Wurmitzer © Flora Hübl

Worte wiegen im Absurden

»Courage« ist das heurige Motto von Wortwiege – Festival für Theaterformen in Wiener Neustadt. Am 14. und 15. März hievte Mario Wurmitzers »Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt« Daniil Charms, den russischen Poeten des Absurden und Nonsens, in eine geschichtsrevisionistische Gegenwart.

Theatermacherin Anna Luca Krassnigg hat in Wiener Neustadt das eher dem Experimentellen verschriebene Festival Wortwiege etabliert. Die an den März-Wochenenden platzierten Aufführungen in den Kasematten in der Bahngasse 27 werden dem Motto »Courage« mehr als gerecht, wissenschaftlich und diskursiv unterstützt von Kulturphilosoph Wolfgang Müller-Funk gibt es in den anschließenden Salons einen diskursiven Austausch über die Spielarten, Bedingungen und Kollateralschäden der »Courage«, die auch deren größte Feinde Subalternität und Verdrängung thematisiert. 

Ganz besonders eignet sich dafür das Werk des endlich wiederentdeckten russischen Avantgarde-Dichters Daniil Charms (1905–1942), das sich aufgrund von dessen bedrohlichen Lebensumständen auf besondere Weise in die Polykrisis der Gegenwart mit ihren politischen und sozialen Verwerfungen transferieren lässt. Am 14. und 15. März inszenierte Ira Süssenbach Mario Wurmitzers Text »Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt«, als theatrale Lesung, die Daniil Charms absurde Wortabwägungen ins österreichische Hier und Jetzt beamte. Darüber diskutierten nach den beiden Aufführungen im jeweiligen Salon die Regisseurin Ira Süssenbach mit Theatermacher Hubsi Kramar bzw. Kulturphilosoph und Autor Ernst Strouhal ergiebig. Anlass für ein E-Mail-Interview mit Mario Wurmitzer, dessen genialer Roman »Tiny House«, der mit sich performativ monetarisierenden Ich-AGs ein sarkastisch-humoreskes Sittenbild unserer Gesellschaft entwirft, ebenso schwer zu empfehlen ist. Gegenstand des Interviews ist aber die Subversivität des Dichters Daniil Charms, die anno 2025 aktueller denn je ist. 

Vorab sei noch auf das kommende »Courage«-Weekend des Festivals für Theaterformen hingewiesen. Azelia Opak führt Regie in der theatralen Lesung »Quais de Seine«. Das Stück ist der mittlere Teil von Alexandra Badeas erfolgreicher Theatertrilogie über die Traumata des europäischen Kolonialismus am Beispiel von Frankreich, denn »was sich nicht vergessen lässt, findet in ihren Stücken unaufhaltsam seinen Weg ins erinnerungsscheue Bewusstsein«. Beginn ist am 21. März 2025 um 19:30 Uhr sowie am 22. März 2025 um 15:30 Uhr. Danach erörtert die Wahlfranzösin Alexandra Badea das Thema jenseits moralisierender Theorien mit Gäst*innen. Am Freitag mit Azelia Opak und am Samstag mit der Philosophin Lisz Hirn.

© Julia Kampichler

skug: Herr Wurmitzer, aus mehrfachen Gründen schicke ich dieses Poem von Daniiel Charms aus dem Oktober 1929 voraus und möchte zunächst wissen, was es Ihnen bedeutet? 

Bäume alle alle alle piff
Steine alle alle alle paff
Natur ganz ganz ganz puff
Mädchen alle alle alle piff
Männer alle alle alle paff
Ehe ganz ganz ganz puff
Slaven alle alle alle piff
Juden alle alle alle paff
Rußland gang ganz ganz puff

Mario Wurmitzer: Für mich ist das eine wundervolle Auflösung von allem Möglichen. Nicht nur die Bäume, die Steine, ja die gesamte Natur, sondern auch die Ehe und die Männer verpuffen. Piff, paff, puff. Alles löst sich auf, wir stapfen durch den Nebel, hinein ins Reich des Absurden, der Fantasie. 

Dieses Poem ohne Titel ist ein gutes Beispiel für die »Nonsens«-Literatur von Daniil Charms. Es steht für die Zerrüttung im einstigen Alltag, in dem »nichts« gesagt wird, aber bereits das Absurde des stalinistischen Regimes konterkariert wird. Die Formgebung Kinderreim deutet auf sein Schicksal, dass ihm aufgrund von Publikationsverboten die Laufbahn als Schriftsteller für Erwachsene versagt bleiben sollte, doch lässt Charms Gedicht enorm spüren, dass es mit der »liberalen« Politik des Sowjetregimes vorbei war. In den ersten Jahren der UdSSR wurden nationale Minderheiten und das kulturelle Leben gefördert, womit eine bessere Integration in die kommunistische Gesellschaft erreicht werden konnte. Diese sogenannte Neue Ökonomische Politik ging mit dem ersten Fünfjahresplan 19281933 zu Ende und für die zentrale Despotie gefährliche nationale Blüten wurden mit der Industrialisierung und brutalen millionenfachen Ermordung von Bauern durch Aushungern zerstört. Ist es auch für Sie eine Paraphase auf den gegenwärtigen Terror-Mafiastaat Russland, wo die staatliche Propaganda (am abscheulichsten im TV) mit Opfer-Täter-Umkehr und im Lauf der drei Kriegsjahre absurdesten Verrenkungen die Gründe für den Überfall auf die Ukraine der opportunistischen Bevölkerung reinhämmert? 

Ich finde es tatsächlich erschreckend, wie aktuell die Texte von Charms immer noch sind, wie gut sie zu unserer Gegenwart zu passen scheinen. Zugleich denke ich, dass man sich nicht vorstellen kann, was es heißt, in einer Diktatur zu leben, wenn man das nicht erlebt hat. Dennoch kann man von Charms viel über Widerstandsgeist lernen. Und darüber, wie man den Humor in düsteren Zeiten nicht verliert. Der Witz ist bei Charms immer auch eine Möglichkeit, um mit den Gräueln umzugehen. 

© Julia Kampichler

Charms wurde wegen »Gründung einer antisowjetischen monarchistischen Organisation im Bereich der Kinderliteratur« 1931 erstmals inhaftiert und überstand die abstrusen Angriffe gegen seine Schriften während des großen stalinistischen Terrors insbesondere im Jahr 1937. Zwei Monate nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die UdSSR wurde Charms im August 1941 der »Verbreitung defätistischer Propaganda« beschuldigt und in die psychiatrische Anstalt des Kresty-Gefängnisses eingewiesen, wo er während der Leningrad-Belagerung am 2. Februar 1942 an Unterernährung verstarb. Charms Schwester erreichte 1960 die Aufhebung des Urteils von 1941, doch kam es nie zur juristischen Rehabilitation. Die Presseabteilung des KGB dazu: Charms habe »als Geisteskrankem die inkriminierte Tat nicht zur Last gelegt werden dürfen«. Da keine Straftat vorläge, gäbe es auch keinen Anlass zur Rehabilitation. Was sagt Ihnen diese Macht des Absurden seitens einer Behörde, der Lug und Trug eine Diensteigenschaft ist? 

Was man nicht versteht, will man vernichten. Das Feinsinnige, Schöne, Seltsame wird für geisteskrank erklärt. So gehen diktatorische Regime mit absurder Kunst um. Das Absurde ist Despoten auch deshalb nicht geheuer, weil es so viel subversiven Witz in sich birgt. Sie spüren die Macht des Absurden also durchaus. Das zeigt sich auch im Bemühen, solche Kunst möglichst zu verbieten und zu vernichten. Am Ende gewinnt die Kunst (die Künstler allerdings leider nicht unbedingt).

Da die Aufarbeitung der Verbrechen des Stalinismus u. a. nur die NGO Memorial vorantrieb, ist dagegen leider das Schreckensregime von Stalin rehabilitiert. Als Geheimdienstler und Herr über alle Oligarchen lässt Putin das geschichtsrevisionistische national-chauvinistische Gift nicht nur via Medien, sondern auch im Schulunterricht verbreiten. Während Stalin seinen Terror monströs ausübte, genügen der aktuellen Gewaltherrschaft in Russland eher wenig Morde und drastisch absurde Gerichtsurteile mit Gulag-Internierung, um im digitalen Zeitalter Angst zu verbreiten. Und doch werden auch unliebsame Schriftsteller ermordet, z. B. als Autounfall getarnt, wie bei Lew Rubinstein. Stalin hatte solche Zynik nicht nötig: Das Regime lenkt ab, dass es letztlich doch eine staatliche Ermordung war. Was zur Frage führt: Dieses Säen von Zweifel, das letztlich dem Verwischen des Realen dient, hätte Daniiel Charms zu wohl noch absurderer Dichtkunst angeregt?

Ob die aktuelle Gegenwart zu »noch absurderer« Dichtkunst angeregt hätte, ist eine spannende Frage. Zumal Charms wirklich die unterschiedlichsten Grade der Absurdität erprobt hat. Er hat zwischen Kunst und Leben kaum unterschieden, davon zeugen auch seine Tagebuchaufzeichnungen, die zugleich großartige Prosa sind. Spontan fällt mir dazu noch ein Zitat aus »Der Prozess« von Franz Kafka ein: »Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.« Wenn ich Berichte über das russische Regime – oder z. B. auch über die Aussagen des aktuellen US-Präsidenten – lese, kommt mir das zuweilen in den Sinn. 

© Julia Kampichler

Was würde wohl Daniil Charms, dieser großartige Pionier des Absurden, Dichter und Dissident im stalinistischen Russland, zu unserer Gegenwart des digitalen Kapitalismus schreiben? 

Das wüsste ich nur zu gerne. Leider kann man es nicht wissen. Es wäre aber bestimmt sehr amüsant. 

Wäre er, ein Wiederauferstandener mit dem damaligen Wissen der allmächtigen Terrorgewalt Stalins, lieber ins Exil gegangen oder hätte er den Weg Lew Rubinsteins gewählt? 

Bedauerlicherweise glaube ich nicht, dass Charms es ins Exil geschafft hätte. Er hat sich nie arrangiert, nie zurückgesteckt, immer weitergeschrieben, Warnungen seiner Freunde in den Wind geschlagen. Für solche Leute gehen viele Geschichten oft nicht gut aus. 

Zur Aufführung von »Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt«: Wie verhält sich Daniil Charms als Partner von Maxim im Internet-Start-up Die absurde GmbH? Gibt es auch bei ihm den Rückzug ins Private? Das Gewalt-Regime würde ihn bei Widerstand wohl eliminieren wollen?

Charms ist ein Stoiker geworden. Er ruht in sich, beobachtet zwar aufmerksam, wie sich die Gegenwart verändert hat, nimmt die Start-up-Ambitionen von Maxim aber nicht so ganz ernst. Er durchschaut durchaus die Lächerlichkeit von Männern, die schnell reich werden wollen. Ins Private zieht er sich nicht unbedingt zurück. Ihm ist schon bewusst, dass man seine Kreativität als unique selling point verwerten will. Aber er lässt sich nicht unter Druck setzen. 

Die widerständige Kraft des Absurden in unterschiedlichen politischen Systemen ist Untersuchungsgegenstand. Allerdings ist das Ausmaß des Absurden in der Russischen Föderation und leider auch in den USA, wo auf andere Weise eine Clique von Milliardären den Staat an sich gerissen hat, so hoch, dass man sich fragt, wie der humorvolle Konter angesichts der Ohnmacht gegenüber den politischen Verhältnissen aussehen könnte? Es fehlen ja die nötigen öffentlich-rechtlichen Gegenmedien!?

Man darf trotzdem nicht aufgeben und ich empfehle durchaus, sich über faschistoide Typen lustig zu machen. Charlie Chaplin hat dies bereits 1940 in »Der große Diktator« eindrucksvoll vorgeführt. Ironie und Humor demaskieren die Despoten, sie sind plötzlich kleine, lächerliche Gestalten. 

Link: https://www.wortwiege.at/ 

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