Eine Woche lang besuchte Ron Mann täglich »Carmine Street Guitars«, einen kleinen, urigen Laden in einer ebenso kleinen Straße in Manhattan, Überbleibsel einer Zeit vor Gentrifizierung und Internet – wie auch sein Inhaber. Den Shop führen drei Personen: der Gitarrenbauer Rick Kelly, die Auszubildenden Cindy Hulej und Kellys circa 200 Jahre alte Mutter, die noch mit dem Abakus die Rechnungen ihres Sohnes führt und die nötige Telefonarbeit verrichtet. In seinem Shop stellt der Sohnemann Gitarren her, die aus Holz bestehen, das aus alten, zum Beispiel ausgebrannten oder abgerissenen Gebäuden, oft aus dem 19. Jahrhundert, gerettet wurde, und das mit fast ebenso altem Handwerkzeug. Die wesentlich jüngere Hulej dagegen ist Teil einer neuen Generation: Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Gitarren künstlerisch zu gestalten, und nebenbei lädt sie Bilder der Schmuckstücke auf Instagram hoch. Welten treffen aufeinander, denn Herr Mann besitzt noch nicht einmal ein Handsprechtelefon.
Was in »Carmine Street Guitars« passiert, scheint sich längst herumgesprochen zu haben. Allerlei Künstler*innenvolk geht hier ein und aus, seit eh und je. Unter den Kund*innen sind viele bekannte Namen. Als Erste zu Besuch sind zwei Mitglieder der Band The Sadies, die auch für den Soundtrack der Dokumentation zuständig waren. Ebenfalls dabei: der Filmemacher Jim Jarmusch, der seine Gitarre zur Reparatur vorbeibringt, Kirk Douglas von den Roots, Eleanor Friedberger, Eszter Bailint, Bill Frisell, Jamie Hince von The Kills, Lenny Kaye und, und, und. Alle kommen sie vorbei und geben Kostproben ihres Könnens vor der Kamera oder kaufen mitunter eines der schicken Instrumente. So auch Nels Cline, der für seinen Freund Jeff Tweedy von Wilco eine Gitarre als Geschenk aussucht. Es hat etwas von einer Reihe Wohnzimmerkonzerten, was hier passiert, und das ist der Grund, wieso der Film auch für Nicht-Gitarrist*innen äußerst unterhaltsam ist. Was auch immer die Dokumentation erreichen wollte, sie macht es gut. Man erfährt zwar in den etwa 80 Minuten wenig über das Handwerk, vielmehr scheint der Fokus aber auf dem Austausch zwischen dem Handwerk und den Künstler*innen zu liegen und dem Vibe der hingebungsvollen Handarbeit selbst.
Einer der Gäste, Marc Ribot, beständiger Teil des New Yorker Lokalkolorits und äußerst aufgeweckter, redegewandter Musiker, bringt es auf den Punkt, wenn er von dem Teil der Musik spricht, der unsichtbar ist und nicht auf Platte erscheint: Instrumentenbauer*innen, Organisator*innen und so weiter. Die Brücke ist geschlagen, der Film setzt ihnen ein Denkmal.
Link: https://www.viennale.at/de/film/carmine-street-guitars