Dass William Basinski weitaus mehr als sein ikonisches 9/11-Werk ist, hat er immer wieder gezeigt. Nicht nur ist es das handwerkliche Können, sondern vor allem die Art und Weise, wie er es schafft, den Zeitgeist einzufangen bzw. ihm immer einen Schritt voraus zu sein, ihn (zumindest was den Bereich der musikalischen Avantgarde betrifft) wesentlich zu beeinflussen, wie ein Dirigent es bei seinem Orchester tut. Die neue Komposition wurde ursprünglich für eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau für die Installationen »ER=EPR« und »Orbihedron« von Evelina Domnitch und Dmitry Gelfand als Teil der von Isabel de Sena kuratierten Ausstellung »Limits Of Knowing« geschaffen. Basinski nutzte als Ausgangsmaterial unter anderem Daten, deren Ursprung auf etwa 1,3 Milliarden Jahre zurückgeht. Mithilfe der im Nord-Westen und im Süd-Osten der USA gelegenen Arme des LIGO, des Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatoriums, wurden Sounds eingefangen, die das Verhalten zweier ziemlich weit voneinander entfernter, sich verschmelzender Schwarzer Löcher darstellt. Doch was tun diese Schwarzen Löcher? Was genau tut das LIGO eigentlich? Kaum vorstellbar ohne längere Beschäftigung mit dem Thema, zumal sich beim Nachvollziehen der physikalischen Vorgänge hier noch immer die Frage stellt, ob man tatsächlich davon sprechen kann, das Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher tatsächlich zu begreifen. Wie auch in vielen anderen physikalischen Grundproblemen und Entdeckungen hält sich die Euphorie von Laien dabei doch oft in Grenzen. Immerhin, das Observatorium hat 2017 den Nobelpreis für die Bestätigung der von Einstein vorhergesagten Gravitationswellen erhalten. Aber man muss schon wissen, was Einstein mit seiner Relativitätstheorie meint und was dann die Gravitationswellen im Zusammenhang damit bedeuten, um die Relevanz der Entdeckung überhaupt ansatzweise nachvollziehen zu können. Vielleicht liegt es auch an Künstlern wie William Basinski, der durch seine Beschäftigung mit der Thematik aus den rohen Daten Bilder in Form von Musik schafft, Licht ins Dunkel zu bringt und in gewisser Weise neue Bedeutung und eine andere Form von Verständnis für so gänzlich unmenschliche, weltfremden Themen. Metallisches Dröhnen, eine wuchtige Trommel in Abständen, die von den Tiefen und Weiten der Abgründe des Universums zeugen. Der zweite Track der CD-Version, »4(E+D)4(ER=EPR)«, ist eine Live-Aufnahme von der Ausstellung, auf der B-Seite der Vinyl-Version findet sich der Spezial-Mix »A Time Out Of Time (The Lovers)«. Alles pur, roh und in seiner Elektronik und Kälte doch so natürlich, so »universisch«. Bei all der Unmenschlichkeit des Universums kommt es hier auch nicht mehr darauf an, ob es Instrumente mit oder ohne Strom sind, die den Sound generieren. Umso besser bebildern die von Basinski geschaffenen Klangstrukturen die Vorstellung des Weltraums, der Weite, der Kälte, der Tödlichkeit für den Menschen, aber auch der abstrakten Schönheit, die ihm innewohnt. Seine Musik kann man bewusst hören, man kann sie nebenbei laufen lassen, aber am besten funktioniert sie, wenn man sich ihr willenlos ausliefert und in der ganzen Leere hilflos aufgeht. Das neue Album »On Time Out of Time« ist inspiriert von Schwarzen Löchern und entwickelt auch durchaus eine Atmosphäre, die einen diesem Phänomen entsprechenden Eindruck hinterlässt.
William Basinski
»On Time Out of Time«
Temporary Residence
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