Mona Matbou Riahi © Nahwand Jaff
Mona Matbou Riahi © Nahwand Jaff

Widerstand gegen das Knödelfest

Artacts, das Festival für Jazz und improvisierte Musik in St. Johann in Tirol, feiert heuer sein 25-jähriges Bestehen. Noch länger allerdings – nämlich bereits seit 43 Jahren – gibt es das Knödelfest in derselben kleinen Tiroler Gemeinde.

Die Erinnerung ist noch recht lebendig: Hans Oberlechner, künstlerischer Leiter von Artacts, hat vor Jahren einmal zu mir gesagt, dass es in St. Johann noch etwas Anderes brauche. Etwas, das eben nicht Knödelfest oder Skifahren oder Wandern oder was auch immer sei, das mensch in Tirol zu tun geneigt ist. In seiner Stimme klang grundsätzlich Toleranz mit. Toleranz für folkloristisch-kulinarisch angehauchte Feste, die nun einmal Teil der Tiroler Identität sind – was auch immer das genau sein mag. Doch da war auch etwas Trotziges, Widerständiges, ein Sich-behaupten-Wollen und ein Sich-behaupten-Müssen. 

Während auf der einen Seite die vermeintlich fidele Volkskultur in ihrer Reinkarnation des Knödelfestes seit Jahrzehnten fröhliche Urstände feiert, müsse doch auch noch ein kleines, feines Jazz-Festival machbar sein. Mehr als nur ein Hauch Internationalität und Jazz-Weltniveau solle in St. Johann Platz haben. Weil eben – und das kann Hans Oberlechner wohl in den Mund gelegt werden – auch das Teil der regionalen Identität ist. Weil St. Johann zwar nicht die große, weite Welt ist, aber letzten Endes, vor allem im Jazz, alles mit allem verbunden und somit St. Johann Teil der großen Jazz-Welt ist und folglich die große Jazz-Welt auch in der kleinen Tiroler Gemeinde Platz einfordern muss.

Soizic Lebrat © Jeanyves Molinari

Und siehe da, die gedanklich-intellektuelle Übung, diese theoretische Hybris, gelang und trägt nun seit bereits 25 Jahren reiche Früchte. Künstler*innen wie der US-amerikanische Saxophonist und Klarinettist Ken Vandermark kamen nach St. Johann und wurden über die Jahre Dauergäste. Sein Landsmann, der Schlagzeuger Timothy Daisy fühlte sich beim Artacts ebenfalls pudelwohl und tat es ihm gleich. Aber auch europäische Größen der improvisierten Musik wie beispielweise Elisabeth Harnik gaben sich des Öfteren ihr Musik-Stelldichein.

Ein Festival jenseits der Volkskultur

Die Jahre vergingen, das Personal blieb zu einem guten Teil ähnlich. Das mag so mancher als Wiederholung bezeichnen. Vielleicht sogar als einen konservativen Ansatz, der in den avantgardistischen Ecken des Jazz, die in St. Johann gerne beansprucht werden, eigentlich wenig Platz haben sollte. Der Fairness halber: Natürlich gab es Variationen. Es kamen neue Personen dazu und es bildeten sich stets neue Kollaborationen. Deshalb wurde es musikalisch trotz Stammpersonal durch die musikalische Wendigkeit selten bis nie langweilig. Was aber wichtiger ist: Hans Oberlechner würde es vermutlich exakt der hier bereits beschriebenen Widerständigkeit zuschreiben. Denn der Widerstand ist besser, wenn er konstant ist und wenn die Mitstreiter*innen dieselben bleiben.

Eroso Percussion Trio © Carina Khorkhordina

Bei allem Anspruch auf Musik-Neuland bleibt Artacts verortbar – insofern, als dass der*die geneigte Jazz-Avantgardist*in stets weiß, was ihn*sie erwartet: nämlich das Unerwartbare, das Widerständige, das sich nicht den Mainstream-Einheitsbrei fügt. Das bleibt euch heuer so, zum 25-Jahre-Jubiläum. Susanna Gartmayer ist von 14. bis 16. März 2025 ebenso mit dabei wie Elisabeth Harnik oder Franz Hautzinger oder Craig Taborn oder Isabelle Duthoit oder Ken Vandermerk. Ein solches Line-up tut gut, auch wenn es in der Programmierung etwas konservativ anmutet. Aber es ist die Konstanz, die so charmant ist. Das Familiäre, das damit einhergeht. Die Menschen, die kommen, sind erwartbar, sei es auf Künstler*innenseite, sei es auf der Seite des Publikums.

Über die Jahre haben Hans Oberlechner und seinen Mitstreiter*innen jedenfalls eine eigene kleine Familie gegründet. Es mögen nur einige wenige hundert Personen sein. Denn mehr passen gar nicht in die Alte Gerberei, in der das Festival Jahr für Jahr größtenteils über die Bühne geht. Diese wenigen Hundert stehen den Abertausenden des Knödelfestes entgegen. Und doch ist der Kampf bereits gewonnen, und zwar von Seiten Artacts. Denn dieses Festival hat gezeigt, was alles geht, wenn man dranbleibt, widerständig ist. Mittlerweile ist das Festival – das darf mit Fug und Recht behauptet werden – Teil der St. Johanner und Teil der Tiroler Identität. Und das ist eine ganz schöne Leistung. 

Link: https://www.artacts.at/ 

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