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When the music’s over – verraten und verkauft 1989

Der Zerfall Jugoslawiens, revisited. Man denkt eigentlich diesbezüglich nicht so sehr an 1989, eher an 1991. Aber gerade dieses Jahr ist wichtig. Der Eurovision Song Contest trifft die Schlacht am Amselfeld.

Jugoslawien war nicht hinter dem Eisernen Vorhang. Während die UdSSR zusammenbrach und die kommunistischen Regimes europaweit langsam aber sicher aufhörten, zu existieren, blieb Jugoslawien erstmal verschont und der Sozialismus intakt: Man wurde immer noch als Kamerad*in angesprochen, die Hymne war noch da, die Fahne, Brüderlichkeit und Einheit. Und doch: keiner wollte das. Keiner, außer anscheinend ein gewisser Kamerad Slobodan Milošević mit Gattin Mira. War das denn so schlecht?

Im selben Jahr passierte etwas, was sich ALLE Jugoslawen wünschten: Ein Sieg beim Song Contest. Man versuchte es ja so lange. Dabei war Jugoslawien (YU) das einzige kommunistische Land, das an dieser Veranstaltung je teilnahm. In den Jahren 1962 und 1983 erreichte man die größten Erfolge: Lola Novaković bzw. Daniel Petrović erreichten jeweils den vierten Platz. Daniel hatte sogar einen soliden Hit mit seinem Song »Julie«. Über die Jahre schafften es einige Musiker als Kandidaten, die tatsächlich als Musiker tätig waren und nicht eigens dafür produziert wurden.

Und gerade so eine kurzfristig gebildete Combo aus Kroatien (Zadar), gewinnt dann letztendlich 1989 mit dem Song »Rock Me Baby« den Songcontest (in YU auch bekannt als: »Evrovizija«), diese fragwürdige und seit Langem überflüssig gewordene Veranstaltung. Man glaubte, die Anerkennung, ja, den Ruhm gefunden zu haben, den einst nur der große Josip Broz Tito vorweisen konnte, nach ihm aber keiner. Und Zusammenhalt sollte dargestellt werden – Jugoslawien gibt es noch, der Sozialismus funktioniert, wir folgen Titos Pfad.

Aufteilung von Titos Erbe

Danach überschlugen sich praktisch die Ereignisse. Nach dem Song Contest kommt der große Gig des Möchtegern-Tito-Nachfolgers im Kosovo. Der Anti-Rockstar Milošević organisiert eine Menschenmenge am Amselfeld. Eine Million. Er, der es eigentlich hasste, wie diverse Quellen berichten, vor den Menschen zu stehen und zu ihnen zu sprechen, wurde gerade dafür berühmt-berüchtigt. »Wir sind bereit für die zukünftigen Schlachten«, rief er damals den jubelnden Massen zu.

In der Politik ist es längst entschieden: Titos Erbe soll geteilt werden. Und während die anderen Republiken immer offener das ausüben, was sie predigen, passiert in Serbien (oberflächlich) etwas anderes. Milošević , seine Frau und deren Mitläufer setzen auf soz-realistische Phrasendrescherei, leiten damit die endgültige Vernichtung des Sozialismus ein und töten alles, was an diesem System noch zu retten war, ab. Alles, was irgendwie mit dem Präfix »sozial-« versehen werden konnte, wurde schlecht. Selbst die Opposition war zu fast einhundert Prozent (national-)konservativ oder strebte einen nationalistischen Konsensus an, vor allem was Kirche bzw. Religion und die »nationalen Ziele« anging.

Während seine Partei und die Partei seiner Frau alles verrieten und das Land und die Republik Serbien in den Ruin führten, erreichten die Bands aus den 1980ern schon längst ihren Zenit. Sie sind reifer geworden. Es wurde veröffentlicht. Neue Bands entstanden. Partibrejkers, Laibach, Električni Orgazam, Disciplina Kičme, EKV, Obojeni program … Es war die Dekade, in welcher die Rockmusikszene des Landes reifte – und langsam zerfiel: Hochblüte und Dekadenz in zehn Jahren. Musiker, die ihre Alben in London produzieren ließen. Sogar MTV wurde auf einige Musiker aufmerksam. Rock’n’Roll, der es nicht so leicht hatte in Südslawien, fing an, sich zu behaupten. Aber nicht für lange.

Todesstoß durch Turbofolk

Mit der Erfindung des Turbofolks tötete man die Rockszene endgültig. Gewisse »Rockmusiker« waren jedoch maßgeblich daran beteiligt. Sie verrieten (Verrat, ein Schlüsselwort des Jahres 1989) alles, sich selbst und ihre Musik (falls es ihre war) und spielten Turbofolk (der Begriff wurde vom Musikgenie Rambo Amadeus (unbedingt googlen!) eingeführt. Der »Frank Zappa des Balkans«, wie manche ihn nennen, erfand diesen Begriff, um die vom Regime (direkt oder indirekt) geförderte Musik zu unterstützen. Eine Mischung aus Volksmusik und Pop bzw. Dance oder was auch immer. Die Musiker dachten, dass E-Gitarre, Harmonika, Balkan-Beats, Rakija, Ćevapčići und eine gute Portion Patriotismus Platten verkaufen können. Und ja, sie hatten Recht.

Der Kosovo-Mythos basiert auf dem »großen Verrat« eines gewissen Branković (der Name ist ein Synonym für Verräter in Serbien) am Fürsten (manche nennen ihn sogar Kaiser) Lazar, der anno 1389 gegen die Türken kämpfen wollte. Branković verriet ihn und angeblich deswegen verlor Fürst Lazar, der ohnehin dem Untergang geweiht war. Okay. Aber Milošević & Co., die größtenProfiteure des Kosovo-Mythos, lernten nichts daraus. Milošević ließ seinen Gönner Petar Stambolić fallen, nachdem ihm dieser bei seinem steilen Aufstieg half. 1999 ließ er ihn ermorden.
»When the music’s over, turn out the lights«, sang Jim Morrison. Was bleibt denn sonst anderes übrig? Die Musik starb natürlich nicht ganz. Die Bands, die in den 1990er-Jahren anfingen, hatten es jedoch extrem schwer. Nicht zu vergleichen mit der Freiheit und Diversität, die Anfang der 1980er herrschte. Die Zensur in den 1990er-Jahren, zumindest in Serbien, war die der absoluten Ignoranz: Man investierte einfach nur in die Turbofolk-Mutanten und ließ alles andere verdorren. Nur die ganz groß Bands, die eine starke Unterstützung im Volk hatten (und oft nationalkonservative Ansichten vertraten), konnten sich erhalten. Alles andere Kritische hörte einfach auf zu existieren. Nicht einmal die Popband Riva, die zuvor als Europas Sieger gefeiert wurde, konnte überleben. Sie zerfielen im selben Jahr, in dem der Krieg ausbrach: 1991.
»The Sound of 1989«
Salon skug spezial, Koproduktion mit Round Midnight im Ost.
Darko Rundek & Cargo Trio live! Freitag, 9. Oktober, Schwarzenbergplatz/Ost-Klub!

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