© Michael Franz Woels
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Welten ohne Autos

»Ja, dürfen die denn das?«, könnte die Reaktion von Passant*innen auf die Verbrennungsaktion von Sabrina Bühn und Kilian Jörg im Rahmen des skug Straßenfestes im Juni 2023 (mit klimasauberem Wetter-Finish) gewesen sein. skug bat die Künstler*innen im Nachhinein zu einem erklärenden Interview.

skug zeigt, dass Auto-Referentialität im Sinne geistiger Ressourcenschonung erlaubt ist und zitiert sich selbst (gr: auto): »Die Künstlerin Sabrina Bühn und der dem skug-Publikum wohlbekannte Autor und Aktivist Kilian Jörg luden als Toxic Mess zur ›Letzten Waschung‹ der sterbenden Mobilitätsform Auto. Zeremoniös wurde ein kleines Plastikauto im feuerfesten Tiegel verbrannt und per gemeinsamem Gebet (…) mit der Gemeinde der zivilisatorischen Bedeutung des Autos gedacht, dass dieses nun nicht mehr wird wahrnehmen können, wenn wir nicht alle ersticken und in der Gluthitze der Klimakatastrophe verbrennen wollen.« Beim skug Straßenfest unter dem Motto »Wir sind der Verkehr« am 10. Juni 2023 im 2. Wiener Gemeindebezirk machten die Künstler*innen den utopischen Abschiedsschmerz vom Automobil vorausschauend »erfahrbar«. skug bat die beiden zu einem Interview, das sich gewaschen hat.

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Aus dem Alltagsleben gegenwärtiger Gesellschaften gilt es, das Automobil wegzudenken. Die Entwicklung von einer Gesellschaft, in der Mensch vorrangig zu Fuß unterwegs war, hin zu hoher, beschleunigter Mobilität ging in einem relativ kurzen Zeitraum vor sich. Wird das Verschwinden des Automobilismus auch so schnell vonstattengehen?

Sabrina Bühn: Schwere erste Frage! Der gefragte Wandel hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, einschließlich technologischer Fortschritte, politischer Entscheidungen, wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und gesellschaftlicher Veränderungen. Allem voran jedoch braucht es für ein Verschwinden des Automobilismus einige grundlegende Änderungen der Denkweisen und Gewohnheiten der Menschen – ich prophezeie daher, dass das leider nicht so schnell gehen wird wie der Aufstieg des Automobilismus. Dazu braucht es Anpassungen in den städtischen Infrastrukturen und Verkehrsplanung, um eine nachhaltige und zugängliche Mobilität als Alternative zu ermöglichen. Und dann wäre da natürlich noch die Landschaft an Lobbyismus, welche mit ihren Interessen die Politik so lange wie möglich Verbrenner-freundlich gestalten will. Letztendlich wird der Übergang zur Post-Auto-Gesellschaft ein schrittweiser Prozess sein, der von einer Kombination aus technologischen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen vorangetrieben wird. Es wird immer so schön gepredigt, man müsse diese Übergänge aktiv gestalten. Ich möchte an dieser Stelle ein paar Aktivitäten vorschlagen, die auch Individuen dazu beitragen können: Autos zerkratzen, aus Autoreifen die Luft auslassen, Autos anzünden … Alles rein hypothetisch natürlich, aber alles für die lebenswerte Zukunft.

Kilian Jörg: Unsere Mainstream-Erzählungen in Hollywood können sich die Katastrophe ja meistens nur als kataklysmisches Moment vorstellen, einem Meteoreinschlag oder Vulkanausbruch gleich. In diesen »post-apokalyptischen« Szenarien gibt es dann nicht mehr das System des Automobilismus als normale Alltagsprothese, aber es hat oftmals – wie bei Mad Max am paradigmatischen –einen fast noch erhöhten Wert als Symbol der Macht. In Octavia Butlers post-apokalyptischer Welt von »Clay’s Ark« gibt es sogar »car people« – selbst nachdem Volk, Nation oder Staat zusammengebrochen sind, ist das Auto noch als letzter Überrest der Moderne ein zentraler Identitätsstifter in diesen Zukunftsprognosen. Tatsächlich ist die ökologische Katastrophe aber nicht so ein plötzlicher Hereinbruch, wie er in diesen Szenarien zumeist skizziert wird. Vielmehr ist sie ein »Hyperobjekt«, wie es Timothy Morton nennt – eine Katastrophe von so großem Ausmaß in Raum und Zeit, dass man sie in der alltäglichen Normalität fast übersehen kann. Es ist also genau jene Normalität, die heutzutage zutiefst vom Auto geprägt und gemacht ist, die als Teil der Katastrophe verstanden und modifiziert werden muss. Ich glaube tatsächlich, dies geschieht schon auf viel mehr Ebenen, als wir vielleicht denken. Eine recht bekannte Analyse des großen SUV-Hypes der letzten Jahre führt diesen tatsächlich auf ein erhöhtes Katastrophenbewusstsein zurück. Demnach werden SUVs nicht aus einer Verleugnungshaltung gegenüber der kommenden Katastrophe gekauft, sondern als eine Antwort genau auf diese Katastrophe von einer gewissen privilegierten Schicht: während man mit dem geilen Sportwagen sicher nicht durch die zerstörten Städte und Wüsten der Zukunft brausen kann, scheint das Imaginär der Reichen zu glauben, es mit dem SUV zu können. Die Frage nach der Zukunft des Autos ist – um es hier kurz zu machen – eine Politische: entweder man schafft es, kollektiv eine bessere, inklusivere und befreiendere Welt für alle zu schaffen, oder es wird sich zunehmend zu einer Ellbogengesellschaft nach dem Paradigma SUV entwickeln. Noch haben wir die Gestaltungsmacht in der Hand, würde ich sagen. Wichtig ist dabei die Arbeit an utopischen Bildern, die geiler wirken als jene Bilder der modernen Autowelt, die den utopischen Geist des 20. Jahrhunderts vielfach ausgemacht haben (und die heute noch überall ihr Unwesen treiben).

© Frank Jödicke, Michael Zangerl

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Österreich Automobile erzeugt, Wien und Wiener Neustadt waren die wichtigsten Produktionsstandorte. Werden in dieser Region womöglich auch die letzten Fahrzeuge das Ende eines Transformationsprozesses beschließen?

Sabrina Bühn: Österreichs Autoindustrie ist hauptsächlich eine Zulieferindustrie – und das nach wie vor keine im unerheblichen Ausmaß. Wenn wir diese Frage also logisch durchdenken, dann müsste vielmehr der Wagen von hinten aufgespannt werden (verzeiht diesen dummen Witz): Erst wenn die Grundbausteine der Autos ausgehen, werden keine Autos mehr gebaut. Österreich würde also vielmehr am Beginn dieses Transformationsprozesses stehen müssen, wenn es zu dieser Verkehrswende beitragen wollte, wenn wir jetzt wirklich rein von der Ressource »Auto« sprechen wollen. Aber ich glaube, wir müssen hier nicht aufrollen, weshalb so eine hypothetische Produktionsverweigerung in einer spätkapitalistischen Gesellschaft nicht funktionieren würde. Vielmehr könnte sich Österreich anbieten, als ganzes Land eine Modellregion ohne Autos zu werden, das wären spannende Überlegungen.

Kilian Jörg: Ich muss gestehen, mich interessiert diese Frage vergleichsweise wenig, wo die letzten Autos produziert werden. Tatsächlich wird bei der (hypothetischen) Transformation »weg vom Auto« die definitorische Frage, was überhaupt ein Auto ist (und wann nicht mehr) zentral sein. Ist ein modular veränderbares Vehikel, das kollektiv besessen wird, elektrisch angetrieben ist und selbstständig fährt, noch ein Auto? Lustigerweise gibt es solche Vehikel, die zumeist als »Zukunftsvision« in den kreativeren, neoliberalen Innovationsforen als »revolutionäres Versprechen« angepriesen werden, bei genauerer Recherche in Ansätzen schon seit Jahrzehnten. Doch im weiterhin herrschenden sozio-ökonomischen Zustand der kapitalistischen Welt können solche »Innovationen« scheinbar nur marginal bleiben. Zumindest scheint dies die bisherige Geschichte so zu zeigen. Es müsste sich also der kulturpolitische Kontext ändern, damit wirklich etwas in Bewegung kommen kann (um noch einen blöden Pun zu liefern). Ob das in der aktuellen politischen Situation in Ö denkbar ist … I don’t know.

Die Anfänge waren elitär. Ein Werbeclaim aus dem vorigen Jahrhundert: »Das Leibauto Seiner Majestät des Kaisers von Österreich ist mit Pneu Reitthofer versehen.« Werden die zeitgenössischen Eliten die letzten sein, die aus ihren SUVs kriechen, oder sitzen sie schon erhobenen Hauptes als Transformationsgewinner*innen in ihren High-Tech-Deluxe-Cargo-Bikes?

Kilian Jörg: Das kommt darauf an, was wir als Elite begreifen. Wenn wir Elite im materialistischen und kapitalistischen Sinn verstehen, wird sich diese wahrscheinlich zwischen fetten Verbrenner-SUVs und sleaken Teslas ungefähr gleichmäßig aufteilen. In dieser Konfiguration würden sie dann über die jeweils andere Hälfte als »hoffnungslose Fälle« den Kopf schütteln, sich moralisch besser fühlen und dabei nicht erkennen, dass sie beide gleichermaßen an der Wurzel desselben Problems teilhaben. Tatsächlich kann man diese Frage aber auch nochmal weniger zynisch beantworten: Denn tatsächlich glaube ich, dass es sehr wichtig ist, in was für Bewegungsmitteln das, was auch immer als »Elite« verstanden wird, sitzt – denn damit ist immer Status verbunden, dem viele nacheifern werden. Ich würde sogar die spektakuläre These wagen, dass die »kommunistischen« Staatsexperimente auch daran gescheitert sind, dass ihre Eliten und Parteikader weiter in Autos – und das meistens bessere »Westautos« – saßen und so der Status des kapitalistischen Symbols schlechthin (welches der Westen immer viel effizienter produzieren konnte) auch im sogenannten Kommunismus stets aufrecht blieb. Können wir uns tatsächlich eine Welt vorstellen, in der die Elite nicht in einem gepanzerten Auto unterwegs ist? Am Rad wäre sie wohl sehr bald bedroht. Es mag meiner eigenen politischen Ausrichtung als Anarchist*in geschuldet sein, aber ich glaube, dass eine autofreie Welt auch eine sein muss, in der Hierarchien flacher sind und kaum Ausbeutung passiert, die Leute dazu verführen könnte, sich an den davon profitierenden Eliten zu rächen.

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Die Unterschiede in der verkehrstechnischen und gesellschaftlichen Entwicklung bezüglich der Automobilisierung waren riesig: Mitte der 1920er-Jahre fuhren in den USA bereits rund 15 Millionen Personenkraftwagen, in Österreich waren es erst knappe 10.000. Ein kosmopolitischer Spruch aus dieser Zeit: »Dem Pariser ist das eigene Auto etwas Selbstverständliches, dem Wiener etwas Unverständliches. « Wie sieht das Verhältnis Wiener*in und Eigenwagen heutzutage eurer Einschätzung nach aus?

Sabrina Bühn: Die Selbstverständlichkeit von Autos in der Stadt ist ja leider nichts mehr, was hundert Jahre später noch irgendwo infrage stünde. Auto-Hegemonie ist auch in Wien überall, in der Innenstadt sind glaube ich nur rund 15 Prozent der Flächen unversiegelt. Parkplätze sind dabei der größte potenzielle Grünflächenkiller, davon kann Kilian ein Lied singen (bzw. ein Buch schreiben)! Als Vegetationsökologin wäre es mir ein Traum, wenn sich die Wiener*innen statt Eigenwagen nach Eigengarten sehnen. Das war mal eine Selbstverständlichkeit, wieso nicht diese tiefsitzenden Bedürfnisse danach, Grünzeug beim Wachsen zuzusehen, wieder reanimieren? Grätzloasen und Gemeinschaftsgärten zeigen den Bedürfnistrend bereits seit Jahren an. Ich sehe ein Wien, wo es total selbstverständlich ist, dass jedes Haus seine eigene Kleingartenparzelle direkt vor der Haustür hat – da, wo mal die Parkplätze waren.

In Wien sieht man auch heutzutage neben allerlei motorisierten und nichtmotorisierten Fortbewegungsmitteln noch Kutschen und (moderne) Leiterwagen. Hat sich ja scheinbar nichts verändert, rasender Stillstand wie eh und je?

Sabrina Bühn: Was bleibt und leider wächst und wächst, ist die Infrastruktur für Autos. Da würde ich nicht gerade von rasendem Stillstand sprechen, denn nach wie vor versiegeln wir Jahr um Jahr jeweils mehr Fläche als noch im Vorjahr! Exponentielle Blödheit. Dass dabei die nostalgischen Kutschen noch bleiben dürfen, ist vor allem Tierschützer*innen ein Dorn im Auge. Aber schauen wir uns überhaupt mal das Thema von Tieren in der Stadt an, so stellen wir fest: (Wild-)Tiere in der Stadt sind Kulturfolger: Kebab auf dem Gehsteig, offene Mistkübel und Katzenfutter im Stiegenhaus sind verlockend, wenn der eigene Lebensraum immer mehr zubetoniert wird (Danke, Ludwig). Ich fände es ganz wunderbar, diese Tiere in der Stadt willkommen zu heißen, zum Beispiel indem wir nicht nur mehr Bienenhotels in die Architektur integrieren, sondern öffentliche Futterstellen pflegen, Unterschlüpfe in Parks bauen etc. Wie wär’s mit Marderhotels? Laden wir sie uns aktiv in die Innenstädte ein, auf dass sie uns helfen, noch mehr SUVs unschädlich zu beißen! In dieser urbanen Ökologie arbeiten die Tiere also mit uns gemeinsam. Dass Pferde Kutschen ziehen, ist dabei auch eine wunderbare Zusammenarbeit – wenn eben die Pferde auch als Kolleg*innen behandelt und begriffen werden würden, statt leidvoll ausgebeutet zu werden, wie es jetzt noch aktuell der Fall ist.

Kilian Jörg: Daran kann ich mich nur voll zustimmend anschließen. Ein Naturschutz, der Pferdekutschen als »Tierquälerei« verdammt und sie deswegen aus der Stadt werfen will, geht meiner Meinung nach viel zu wenig weit und macht sich (ohne sich dessen bewusst zu sein) zum Handlanger einer weiteren Homogenisierung des städtischen Raums. Wenn die Stadt unter den gegenwärtigen Bedingungen für Pferde und andere Tiere (hier inkludiere ich sogenannte »Menschen«) eine Quälerei ist, sollte das vielmehr eine Aufgabe für uns sein, die Städte lebenswerter und schöner für alle zu machen! Und da kommen wir wohl nicht drum rum, die Autos großräumig zu verbannen. Denn das Auto hat es an sich, den Raum gänzlich für sich zu beanspruchen – auf der Ebene des Platzes, genauso wie des Akustischen, Olfaktorischen oder Visuellen.

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Bertolt Brecht verfasste vor nicht ganz hundert Jahren das Reklamegedicht »Die singenden Steyr-Wägen«: »Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. Unser Motor ist: Ein denkendes Erz.« Nach den Erinnerungen von Elias Canetti wurde es für ein Preisausschreiben geschrieben. Bertolt Brecht erhielt dafür ein Steyr-Cabrio (das er standesgemäß als Bohemien ein Jahr später gegen einen Baum fuhr). Die Liebe der Intellektuellen und Linken zu Automobilen ist ein Strohfeuer, wie es scheint?

Kilian Jörg: Tatsächlich halte ich die Relation zum Auto für eine noch ungelöste Jahrhundertfrage für die sogenannte Linke, die sie bis heute noch nie befriedigend für sich beantworten konnte (was man auch an der Spaltung von vielen heutigen »Links«-Parteien gegenüber dem Auto ablesen kann). Einerseits erkennt man, dass das Auto eine Verkörperung bürgerlicher Bewegungsprivilegien ist. Andererseits sind die Begriffe von Freiheit und Autonomie, die im Auto verkörpert werden, oftmals auch noch zu unkritisch in »linken« Projekten vorhanden und affirmiert. Freiheit wird dann als Loslösung vom »Reich der Notwendigkeit« gedacht, wie Marx es mal ausdrückte und damit auch alle materiellen Bedingungen des Lebens mitmeinte. Für eine Linke, die sich endlich ihrer eigenen Überlebensbedingungen bewusst wird, ist es heute zentral, einen feministischeren und ökologischeren Freiheitsbegriff zu entwickeln – und hierbei ist das Auto ein sehr guter Indikator, wie weit die jeweilige linke Position darin schon gekommen ist.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Autofahren als männliche Domäne. Feminismus und Automobilismus gehen immer noch keine Liaison ein? Wie divers kann der motorisierte Individualverkehr werden?

Sabrina Bühn: Puh, allein, dass »Herrenfahrer« ein historisch bekannter Begriff ist, es aber nie so etwas wie »Damenfahrerinnen« gab, sagt eh schon vieles. Autofahren war nie feministisch: Selbst wenn Frauen* denn Autofahren durften, sich ein Auto in Anschaffung und Instandhaltung leisten zu können, ist für Frauen* im Patriarchat eine Riesenhürde, die den Zugang zu Automobilität zusätzlich erschwert. Hegemonial gesehen ist Autofahren sowieso ein Inbegriff der toxischen Männlichkeiten – Frauen*, die Auto fahren, tun das zum Großteil, um Care-Arbeiten zu übernehmen, wie z. B. Familienkutsche zu spielen oder Einkäufe zu erledigen. Der Automobilismus ist meiner Ansicht nach zu tief verwoben mit dieser Hegemonialität, um sich eine diversifizierende Weiterentwicklung des Verbrenner-Individualverkehrs zu wünschen. Es gibt jedoch auch wichtige Punkte, welche für mehr Diversität im Angebot von Eigenkraftwägen sprechen, wie z. B. der herrschende Ableismus im Design der Autos. Für viele Individuen wäre außerdem keine oder eingeschränktere Beteiligung an der kapitalistischen Gesellschaft ohne die ermöglichenden Eigenschaften von Autos möglich. Ich glaube daran, dass es die Aufgabe von intersektionärem Feminismus ist, niemanden auszugrenzen und Zugang zu Infrastrukturen für alle zu bejahen.

Kilian Jörg: Ich möchte dem bloß hinzufügen, dass es kein Zufall ist, dass der Automobilismus aus einem patriarchalen Gesellschaftsmodell entstanden ist. Technik ist nie neutral, sondern eine materielle Fest- und Fortschreibung ihrer ideellen Werte. Autos waren am Anfang und sind auch heute noch tief mit männlicher toxischer Identität verwoben. Auch heute noch fahren in so gut wie allen Ländern mehr Männer mit dem Auto als Frauen* oder Menschen mit anderem Geschlecht. Gleichzeitig stellt das Auto in dieser weiterhin patriarchalen und toxischen Welt aber auch eine gewisse Schutzraumfunktion für diejenigen Leute da, die genau von ihrer Toxizität betroffen sind: Es ist klar, dass sich Transpersonen lieber ein Auto nehmen, wenn sie in der U-Bahn damit rechnen müssen, regelmäßig angepöbelt oder gar tätlich angegriffen zu werden. Genauso ist es verständlich, dass als weiblich gelesene Personen sich in Räumen, in denen sie mit körperlichen Übergriffen rechnen müssen, lieber in den Schutzraum des Autos begeben, wenn sie es sich leisten können. Doch bei dieser wichtigen intersektionalen Perspektive darf man nicht Ursache mit Wirkung verwechseln und so zu Advokaten des Autos wider Willen werden. Auch wenn das Auto kurzfristig für betroffene Menschen die beste Alternative ist, sollten wir doch gemeinsam an queeren Allianzen arbeiten, damit die Welt doch verdammt nochmal viel besser wird als dieser faule Kompromiss mit der Blechkarosse. Ich bin ganz stark der Meinung, dass eine effektive Anti-Auto-Politik sich nicht nur gegen die Toxizität der Autoabgase etc. richten muss, sondern auch gegen die Toxizität von patriarchalen, rassistischen, trans- und queer-feindlichen Normen, um wirklich Erfolg haben zu können.

© Frank Jödicke, Michael Zangerl

In ungewöhnlichen Naturlandschaften funktioniert die Vermarktung von Autos besonders fein. Wie könnte eine Vermarktungsstrategie für die Transformation zur Post-Auto-Gesellschaft visuell gestaltet werden?

Sabrina Bühn: Naturgewaltverherrlichung geht gut einher mit der Gewaltverherrlichung, die Autos per se verkörpern. Das Gegenteil von dieser Gewalt wäre dann Sanftheit, Gemeinschaft, leise statt laut … Die Vielfalt, welche die Accessability von Verkehrsinfrastruktur unterstreicht, würde eher im Vordergrund stehen als das eine große Lust- und Luxusobjekt. Neue Entitäten, welche zur Verkehrsinfrastruktur hinzugefügt werden wollen, werben nicht mit spektakulären Aufnahmen des neuen Geräts, sondern mit Schnittstellen und Vernetzungsoptionen.

Kilian Jörg: Genau, während die utopische Welt der Autos als sauber, rechtwinkelig und wohlgeordnet erscheint (und sehr bald in eine kalte und entfremdende Dystopie umschlägt), werden sich die Utopien der autofreien Welten als vielfältig, verfahren, unüberblickbar, schön chaotisch und großartig weird darstellen. In ihnen kann man keinen Überblick von oben erhaschen, aber auch nicht so furchtbar vereinsamen. Es sind dann Welten, in denen die Verwobenheit mit der Umwelt eine Tugend darstellt, nicht die völlig losgelöste Autonomie. Mir ist der Plural von »Welten« hier ganz wichtig, da sich eine autofreie Welt entgegen der Homogenisierungstendenz des Autos zu einer Aufspaltung und Diversifizierung in ganz viele Welten bewegen wird. Deswegen kann es auch nicht das eine Bild der utopischen Post-Auto-Gesellschaft geben – und sollte es auch nicht! Viel eher glaube ich, dass wir alle schon diverse Bilder, Gerüche und Klänge von solchen Welten in uns tragen – in anderen, vielleicht tieferliegenden (»animalischeren«? »unmoderneren«?) Schichten unserer immer queeren, immer weirden Selbste. Es ist meines Erachtens eine zentrale Aufgabe von zukunftsfähiger Kulturarbeit, diese anderen Schichten hervorzubringen, zu kultivieren und in neuen Kontexten zu feiern.

Link: https://toxictemple.beauty/

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