© Benjamin Palme
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Vorbilder für Fellner, Dichand und Co

Linke Medienarbeit gehört gefeiert! Auf dem Volksstimmefest 2024 traf skug mit Vertreter*innen von »an.schläge«, »Augustin«, »Jacobin«, Radio Orange 94.0, »Tagebuch« und »Volksstimme« zusammen. Und stellte fest: Wir treten nicht offensiv genug auf.

»Unsere Chance liegt darin, zu zeigen, was andere etablierte, ›traditionelle‹ Medien von emanzipatorischen, linken Medien lernen können. Nämlich, wie sich journalistische Seriosität mit einer klaren Haltung verbinden lässt. Wir sehen das in jedem Wahlkampf. Vor der letzten deutschen Wahl gab es eine Jahrhundertflut. Aber trotzdem schreckten viele Medien davor zurück, die Klimakatastrophe zu benennen. Aus der Angst, als parteiisch zu gelten. Meine These ist im Gegenteil: Ich bin nur dann eine gute Journalistin, wenn ich dafür eintrete, dass die Welt bestehen bleibt, dass die Rechten nicht die Macht übernehmen, dass es eine Gleichheit der Geschlechter gibt.«

So beschreibt Lea Susemichel, leitende Redakteurin des feministischen Magazins »an.schläge«, den Einsatzpunkt ihrer Arbeit. Es ist der letzte Augusttag 2024. Wir befinden uns in einem Plastikzelt auf der Jesuitenwiese. Darin trotzt eine beachtliche Menge der glühenden Hitze. Im Zentrum der Debatte stehen schwelende Fragen. Was linke Medien leisten sollen. Wie sie ihre Autor*innen bezahlen können. Wie sie mit Social Media und Mediensterben umgehen sollen. Klare Antworten hat scheinbar niemand. Auch in meinem Kopf schwirren weitere Fragen. Wie ich die Miete bezahlen soll. Was eine rechtsextreme Regierung für meine Arbeit bedeutet. Ob es das Berufsfeld »Journalist*in« in 20 Jahren überhaupt noch geben wird.

Erfreulicherweise hat sich die Festivalorganisation des Volksstimmefestes 2024 bereit erklärt, diesen Problemen eine Bühne zu geben. Für das Bündnis Alternativer Medien (BAM!) durfte ich gemeinsam mit skug-Chefredakteur Frank Jödicke und Martin Konecny von der KPÖ eine Podiumsdiskussion kuratieren. Das Panel war ein Who’s who linker Medien: Lea Susemichel (»an.schläge«), Jenny Legenstein (»Augustin«), Ulli Weish (Radio Orange 94.0) und Mirko Messner (»Volksstimme«) vertraten BAM!, Loren Ballhorn (»Jacobin«) war extra aus Deutschland angereist, Sonja Luksik (»Tagebuch«, ehemals »Mosaik«) brachte eine ungebundene österreichische Perspektive ein. Konnten sie mir meine Fragen beantworten? Nein. Aber gerade deshalb braucht es linke Medienarbeit.

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Was linke Medien können

Susemichels Position ist so klar wie einleuchtend: Linke Medien haben Stärken. Die sollten sie ausspielen. »Ich glaube, dass wir als linke Medien viel offensiver auftreten sollten. Und uns als Vorbilder für Medienarbeit generell anbieten.« Ein Beispiel, das sie dafür gibt, ist, dass die Kritik medialer Biases unter Linken stark verankert sei. Das sei eine Ressource, auf die ein emanzipatorischer Diskurs zurückgreifen könne: »Neben Faktenchecks gibt es auch sowas wie Fiktionchecks. Wie kommt es dazu, dass eine Geschichte zu einer Geschichte wird? Wie kommt es dazu, dass bestimmte Geschichten in der ›Tagesschau‹ landen und andere nicht? Wie kommt es dazu, dass Falschmeldungen zirkulieren? Es ist auch die Aufgabe von linken Medien, zu analysieren, wie Medien funktionieren. Und diese Medien- und Selbstkritik immer wieder zu leisten – und sich damit Relevanz zu erkämpfen. Denn bislang leisten das nur wir.«

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch »Tagebuch«-Redakteurin Sonja Luksik: »Wir greifen bestimmte Themen auf, weil sie in bürgerlichen Medien falsch bearbeitet werden, die zu wenig vorkommen. Dafür«, führt Luksik aus, »müssen wir mit dem Mythos der Objektivität brechen.« Denn jedes Medium habe eine politische Ausrichtung, allein dadurch, welche Themen es aufgreife und wie es diese gewichte. Doch welche Standards gelten dann für linke Medien? Dieselben wie für alle anderen auch, argumentiert Susemichel. »Das große Problem ist, dass linke Medien immer dieses Neutralitäts- und Objektivitätspostulat anderer Medien in Frage gestellt haben – und sich jetzt plötzlich in einem Boot mit rechter Medienschelte finden. Es ist wichtig, dass linke Medienmacher*innen da dagegenhalten. Eine Telegram-Message ist nicht dasselbe wie ein Investigativbericht in der »New York Times«. Wir müssen uns schon darauf einigen, wie guter Journalismus aussieht.« Mirko Messner, Redakteur bei der »Volksstimme«, spitzt die Angelegenheit zu. »Im Grunde geht’s darum, dass wir über dieselben Sachen schreiben wie die anderen Medien – aber eben anders.« 

Ist das noch Journalismus?

Doch was macht eine linke Perspektive aus? Auf dem Panel gab es dazu unterschiedliche Antworten. Die von Mirko Messner lautet: »Für uns als ›Volksstimme‹ ist entscheidend, dass wir aus einem marxistischen und klassenbezogenen Standpunkt schreiben. Diese Arbeit ist schwierig. Aber sie ist nützlich und wir machen sie gerne.« Der jahrelange Bundessprecher der KPÖ führt aus: »Ich empfinde mich nicht als Journalist. Auch meine Mitarbeiter*innen tun das nicht. Die gesamte Redaktion der ›Volksstimme‹ besteht aus Aktivist*innen – wir sind auch in anderen Bewegungen aktiv. Daraus ergibt sich unsere Motivation: Wir wollen den Leuten vermitteln, was wir tun und warum es wichtig ist, dass es unterstützt wird. Wir haben die Intention, oppositionelle Bewegungen zu fördern und zu stärken.« 

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Sonja Luksik hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Denn sie hat »Mosaik« mitbegründet: »2015 haben wir Griechenland und andere linkspopulistische Strömungen als Vorbild genommen. Wir dachten uns, dass man so etwas in Österreich auch braucht oder installieren sollte. Das heißt, dass man das Medium als Ausgangspunkt für die Gründung eines linken Projektes oder einer Partei verwendet. Und ich würde meinen, dass wir damit gar nicht so unerfolgreich waren. Es gab linke Organisierungsprozesse, etwa ›Aufbruch‹. Aus diesen Erfahrungen, dass Linke sich zusammenschließen und organisieren können, ist einiges Positives entstanden.« 

Auch Jenny Legenstein betont, dass der »Augustin« kein rein journalistisches Projekt sei. »Wir haben die spezielle Struktur, dass wir nicht nur ein Medium sind, sondern auch ein Sozialprojekt. Wir müssen uns nicht nur darum kümmern, dass eine Zeitung erscheint. Wir haben 400 bis 500 Verkäufer*innen, für die wir auch verantwortlich sind.« Die Hälfte des Erlöses einer Straßenzeitung geht an die Verkäufer*innen – allesamt Menschen, die aus verschiedenen Gründen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind (Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Asylwerber*innen u. a.). Entsprechend sei auch das Selbstverständnis der Redaktion ein anderes: »Alle von uns sind auch Aktivist*innen. Wir machen so viel mehr als jemand, der in der Redaktion der »Krone« angestellt ist. Das ist auch nicht easy, aber bequem. Innerhalb und außerhalb unserer Arbeit haben wir so viel mehr zu bedenken, zu reden und zu tun«, führt Legenstein aus.

Nicht nur professionelle Journalist*innen sollen sich am öffentlichen Diskurs beteiligen. Alle haben ein Anrecht, ihre Perspektive einzubringen. Dies ist die Idee, die hinter der Community-Radio-Bewegung steht. So tummeln sich auf dem Wiener Sender Radio Orange 94.0 auch Pensionist*innen oder Kinder im Volksschulalter. Geschäftsführerin Ulli Weish ist es wichtig, dies historisch zu verorten: »Die Community-Radio-Bewegung ist von Beginn an mit der Arbeiter*innen-Bewegung verwandt. Denken wir an die Brecht’sche Radio-Utopie. Jede*r Hörer*in sollte auch senden können. Die Idee war, dass Radiomacher*innen gar nicht professionelle Berufsständler*innen sind. Das journalistische Produkt als Ware war eher als Notwendigkeit an demokratiepolitischer Korrespondenz gedacht.« 

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Gekommen, um zu bleiben

Auch Loren Ballhorn, Chefredakteur der deutschen Ausgabe des »Jacobin«-Magazins, betont die Wichtigkeit historische Vorbilder. »Wir haben eine linke Tradition und Geschichte, auf die wir zurückblicken können. Medienarbeit war da immer von zentraler Bedeutung – Massenmedienarbeit. Die sozialdemokratischen und die kommunistischen Parteien des 20. Jahrhunderts hatten ein sehr ausdifferenziertes Mediensystem, mit unterschiedlichen Medien für unterschiedliche Zielgruppen. Sowohl Massenmedien als auch Theoriezeitschriften wie »Die Neue Zeit«, die für die Bildung der Kader bestimmt war. Gut, das ist alles lange her. Unsere Welt sieht heute anders aus. Aber das Prinzip ist richtig. Unser Ziel muss sein, nicht nur mit uns selbst zu sprechen – sondern mit den Millionen da draußen.«

Nicht vergessen dürfe man dabei die Pluralität an Perspektiven, ergänzt Ulli Weish. In Österreich stamme, so die Dozentin am Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, der Widerstand gegenüber dem Monopol des ORF aus der Community-Bewegung: » Die Kritik am ›Rotfunk‹ kam auch von jenen, die der Meinung waren, dass der ORF gar nicht ›rot‹ sei.« Man dürfe die Wirkung marginaler Perspektiven nicht unterschätzen, argumentiert auch Lea Susemichel: »Als feministische Medienmacher*innen haben wir manchmal das Gefühl, dass wir immer für dieselbe Bubble schreiben und noch nie einen einzigen Antifeministen vom Gegenteil überzeugt haben. Es ist wichtig, uns klarzumachen, dass wir einen Impact haben. Es gibt einen Thementransfer, das ist medienwissenschaftlich evident. Wenn wir als linke Medien bestimmte Themen aufbauen, gelangen sie irgendwann in andere Medien. Oft dauert das Jahre, Jahrzehnte – aber es gibt diesen Thementransfer.«

Jahrzehntelange Arbeit ist alles andere als einfach. Weil uns das Geld ausgeht. Weil Social Media nicht-kommerziellen Projekten das Wasser abgräbt. Weil es einen spürbaren Rechtsruck gibt. Loren Ballhorn betont deshalb die Notwendigkeit, solche Prozesse kritisch zu begleiten: »Wir waren von Anfang an der Meinung, dass die politische Linke in Deutschland vor gravierenden Umbrüchen steht. Dass die Widersprüche dahinter noch nicht herausgearbeitet wurden und nochmal ans Tageslicht treten werden. Das tun sie jetzt. Unsere Mission ist, in dieser Zeit von Umbrüchen – und wahrscheinlich: einer Reihe von Niederlagen – eine gewisse sozialistische, marxistische Perspektive aufrecht zu erhalten. In Zeiten, in denen sich die Linke eher in der Defensive befindet.« 

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Auch Ulli Weish plädiert für einen langen Atem. »Es gibt Wellen. Es gibt Phasen, wo uns die Luft ausgeht. Aber ich denke, das Wichtigste ist, zu wissen: Was für eine Grundhaltung habe ich? Warum? Und wieso? Auch wenn rundherum die Freund*innen ganz anders drauf sind, wenn sie traurig, aus politischen Gründen depressiv werden. Wir wissen, it’s going on, it’s going on. Solange wir leben, sind wir da. Vielleicht sind wir in einer kleiner Gruppe, vielleicht werden wir in einigen Jahren mehr. Die Themen bleiben uns.«

Stärken ausspielen

Um mehr zu werden, brauchen wir Austausch und Vernetzung. Die Diskussion am Volksstimmefest war bereits ein schönes Beispiel dafür, wie linker Diskurs vom Austausch lebt. Über das BAM!-Mitglied »Unter Palmen« haben wir die vollständige Diskussion zum Nachhören als Podcast veröffentlicht. 

Diese Chance, Stärken auszuspielen, wollen wir auch am 29. September 2024 beim Salon skug: BAM! Wahlspecial ergreifen. Ab 16:00 Uhr kommentieren und diskutieren wir in der Brunnenpassage in Ottakring die Hochrechnungen der Nationalratswahl – gemeinsam mit anderen BAM!-Mitgliedern und NGOs. Wer es nicht auf den Yppenplatz schafft, kann das Event ab 16:15 Uhr live auf Radio Orange 94.0 mithören, auch online. Mit dem BAM! Wahlspecial wollen wir jenen Anspruch unter Beweis stellen, den unsere Kolleg*innen auf dem Volksstimmefest in Anschlag gebracht haben. Linke Medien haben einzigartige Perspektiven zu bieten – kritisch, leidenschaftlich und direkt am Geschehen.

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