Verkehr heißt schnell sein beim Von-hier-nach-dort. Daran haben wir uns gewöhnt und das fordern wir. »Ungeduld« ist die Standardaussage von Politiker*innen, wenn sie eine ihrer schlechten Eigenschaften nennen sollen. »Brav«, denkt sich das Publikum, denn aufs Tempo drücken ist schließlich Generaltugend. Nun kann man nicht sagen, die Hochgeschwindigkeitsreise, die wir mit der Industrialisierung begonnen haben, habe uns unbedingt an einen vorzüglichen Ort gebracht. Im Gegenteil, heute scheint wissenschaftlich erwiesen, dass der westantarktische Eisschild unterspült wird und ins Meer sinken wird. Und zwar in unerwartet großer Geschwindigkeit. Hier hätten wir uns etwas weniger Tempo gewünscht. Der Meeresspiegel wird unaufhaltsam steigen und weite Küstenregionen unbewohnbar machen. Rückblickend darf man sagen: »Speed kills.« Jetzt heißt es, Courage zeigen und verlangsamen, vielleicht auch mal Nachdenkpausen einlegen und schauen, was sich aufhalten oder sogar verbessern lässt. Ach, wenn es doch nur etwas gäbe, das uns dabei helfen würde. Gibt es, nennt sich Kunst, und skug ist bekanntlich pro Kunst.
Die dunkle Kammer
Der erste Mensch, der je fotografiert wurde, wusste nichts davon. Er stand auf einer Straße in Paris und ließ sich in aller Seelenruhe die Schuhe putzen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte ein gewisser Louis Daguerre ein Zimmer bezogen und wollte die Straße fototechnisch festhalten. Er brauchte dafür damals sehr lange Belichtungszeiten, weshalb alle Menschen, Tiere, Pferdefuhrwerke und was sonst den quirligen Verkehr der Stadt Paris im Jahr 1838 ausmachte, verschwanden. Verschwinden musste, weil sich auf der Daguerreotypie (der frühesten Fototechnik) nur abzeichnen konnte, was sich nicht bewegte. Ohne es zu wollen, operierte Daguerre somit den Verkehr aus dem Bild. Bis auf jenen einen, unbekannten Mann, der minutenlang stillstand.
Zweihundert Jahre später erweckt skug diese Technik zu neuem Leben: Wir haben »die dunkle Kammer« gebaut, einen Würfel mit einer Kantenlänge von 2,70 Meter. Ein ziemlich aufwendiger Prozess, der nur durch ganz viel Wissen und Findigkeit von Tom Zeitlhuber und David Baum möglich war. Es braucht da nämlich einiges an chemischem und architektonischem Verständnis. Tom Zeitlhuber ist dankenswerterweise in die Archive der Chemie gestiegen und hat die notwendigen Linsen, Fotopapier und Entwicklerlösungen ausfindig gemacht, um direkt ein positives Bild zu erhalten. Eine dunkle Kammer von diesen Ausmaßen zu entwerfen und zu bauen, die sich leicht zerlegen und wieder aufstellen lässt, dafür bedarf es unseres Head of Technology, David Baum, der Lösungen gefunden hat, wo es eigentlich keine mehr gab. Alle Interessierten bitte direkt vor Ort bei den beiden nachfragen.
Diesen Riesenwürfel mit Kameratechnik im Bauch transportieren wir an öffentliche und verkehrsreiche Plätze Wiens. Mit den Mitteln der frühen Fotografie halten wir den Verkehr fest, indem wir ihn verschwinden lassen. Alle Fußgänger*innen, Fahrradfahrer*innen aber insbesondere Motorräder, PKWs und LKWs verschwinden, sie sind nur mehr eine Schliere der vorbeigehuschten Bewegung. Allerdings, nanu, was ist das? Ein paar Personen sind doch auf dem Bild zu sehen. Sie sitzen auf der Straße und es sieht aus, als seien sie festgeklebt. Das sind natürlich die Aktivist*innen der Letzten Generation. Das Ergebnis ist nicht nur mehrere Quadratmeter groß, sondern auch einzigartig. Anders als bei der meisten Analog-Fotografie haben wir nämlich ein Positiv belichtet, kein Negativ. Unser monumentale Verkehrsbild ist ein nicht-reproduzierbares Original. Am Samstag enthüllen wir es im Café 7*Stern.
Alle Fotos © Frank Jödicke
Warum ein Zukunftsrat Verkehr?
Mit uns lädt der Zukunftsrat Verkehr zur Vernissage ein. In den letzten zwei Jahren hat er Bürger*innen aus der Region Wien, Niederösterreich und dem Burgenland dazu aufgerufen, nach Wegen zu suchen, wie wir den Verkehr ändern können, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Aktuell lässt sich politisch konstatieren, dass das ganz große Problem beim Umbau unserer Gesellschaft zu einem ökologischeren und gerechteren Wirtschaften die mangelnde Teilhabe der Bürger*innen ist. Rechte Parteien sind auf dem Vormarsch mit Anti-Klimapolitik. Die nächsten EU-Wahlen versprechen für die grünen Parteien Europas entsetzlich zu werden und Parteien, die den Klimawandel leugnen, werden wohl große Zugewinne einfahren. Nur, die Menschen sind nicht dumm. Niemand glaubt der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, wenn sie sagt, die katastrophalen Überflutungen in ihrem Land seien durch die vielen Klimaschutzmaßnahmen bedingt. Ein bizarres Konzept: »Weniger Ökologie und einfach mehr Staumauern.« Wenn die Antarktis abgetaut ist, dann steigt das Wasser trotzdem drüber und weite Teile Italiens verschwinden im Meer.
Die Menschen spüren das sehr wohl und sie haben Angst. Nur, bis zur Überflutung Italiens dauert es noch Jahrzehnte, mit etwas Glück ein Jahrhundert. Bankrott hingegen ist ein landwirtschaftlicher Betrieb, der die Umweltauflagen nicht erfüllen kann, schon nächste Woche. Schon nächsten Monat kann es sein, dass jemand seine Miete nicht mehr zahlen kann, und schon in einem halben Jahr kann wer seinen Job verloren haben, weil in einem nicht-nachhaltigen Betrieb beschäftigt ist. Das sind wiederum alles individuelle Niederlagen, die Menschen sich persönlich anlasten bzw. die ihnen angelastet werden. Das ist dann »meine Pleite«, »meine verlorene Wohnung« und »mein verlorener Job«. Während niemand allein am Untergang der Welt schuld sein wird, denn das betrifft uns alle. Genau umgekehrt ist es mit der Beteiligung. Das Gefühl bei weiten Teilen der Bevölkerung lautet: »Ich wurde nicht gefragt, ich muss nur sehen, wie meine Energiekosten immer höher werden und ich mir bald nicht mehr leisten kann, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Wenn ich den Bus nehme (sofern es einen gibt), dann muss ich zwei Stunden früher aufstehen.«
Stimmt. Genau vor diesem Hintergrund wird der Erfolg rechter Deutungsmuster leider verständlich, denn die verkaufen die Illusion: »Ach komm, wir ignorieren die Klimavertreuerung und lassen die überambitionierten Ziele des Green Deals, das Pariser Klimaabkommen und vieles mehr einfach außer Acht.« Der alte Schmäh der Rechten und Rechtsrechten droht zu gelingen, weil mit dem Nichtstun sich die Probleme verschärfen, mit denen man auch in Zukunft auf Wähler*innenfang gehen kann. Schöner Mist. Deswegen ist die Arbeit des Zukunftsrats Verkehr wichtig, denn sie zeigt, wie es anders geht. Wir müssen das gemeinsam machen. Gemeinsam entscheiden, gemeinsame Wege finden. Jetzt bloß kein Top-Down, sondern Bottom-Up. Alles weiter im Café 7*Stern am Samstag, dem 11. November 2023 ab 18:30 Uhr. Wir freuen uns auf euch.
Diese Veranstaltung und der Bau der dunklen Kammer war nur durch die Förderung des Action for Sustainable Future Hub und respekt.net möglich. Unendlicher Dank an dieser Stelle.