Cari Cari © Andreas Jakwerth
Cari Cari © Andreas Jakwerth

Verführung zu zeitgenössischen Formen

Das Klagenfurt Festival 2024 featured Popmusik-Highlights von Cari Cari über MAIIJA bis Shake Stew feat. Danyèl Waro aus La Réunion. Ein Interview mit Intendant Bernd Liepold-Mosser über Anfänge und Hintergründe des Performance und Literatur eingemeindenden, nicht-provinziellen Festreigens.

Vor vier Jahren startete das Klagenfurt Festival mit dem Laibach-Musical »Wir sind das Volk« nach Texten von Heiner Müller. In der vierten Auflage vom 22. Mai bis 4. Juni 2024 fällt zunächst die hohe Dichte an heimischen Pop-Acts auf, reichend von Marilies Jagsch aka MAIIJA über Anna Mabo und AVEC bis Alicia Edelweiss, von Voodoo Jürgens über den Nino aus Wien bis Cari Cari und Shake Stew. Nach Hania Rani im Vorjahr wird am 30. Mai die türkische Pianistin Büsra Kayikçi mit ihrem von John Cage bis Nils Frahm beeinflussten Klavierspiel den Burghof beschallen. Dort werden auch Alleyne Dance mit ihrer Freiheitsentzug thematisierenden Choreografie »A Night’s Game« am 28. Mai gastieren. Die beiden Alleyne Sisters werden wie etwa Andressa Miyazato oder Futurelove Sibanda an den »Public Moves Klagenfurt«, einer Kooperation mit ImPulsTanz Wien, im Landhaushof mitwirken. 

Auch Literatur kommt nicht zu kurz. Anlässlich seines 100. Todestages gibt’s Franz Kafka gar im Doppelpack, beide Vorstellungen sind bereits ausverkauft: »Jedermann« Philipp Hochmair und sein Musiker Hanns Clasen bringen am 1. Juni »Der Prozess« ins Schwurgerichtssaal im Kärntner Landesgericht und am 2. Juni das Roman-Fragment »Amerika«. Sozialer Abstieg, keine Verheißung auf der Bühne des Burghofs. »Endstation Klagenfurt« titelt dementsprechend das Aufeinandertreffen von Claus Peymann und Harald Schmidt, bei dem am 25. Mai u. a. der Sinn von Theater in finsteren Zeiten erörtert werden wird. Außerdem bürgt Ferdinand von Schirach für ein weiteres theatrales Monolog-Highlight. Näheres über biografische Ursprünge, kuratorische Auswahlkriterien und den Gesamtrahmen gibt es nun im E-Mail-Interview mit Bernd Liepold-Mosser, dem künstlerischen Leiter des Klagenfurt Festivals, zu lesen.

Philipp Hochmair © Krafft Angerer

skug: Von 1996 bis 2001 leiteten Sie das Peter-Handke-Archiv in Griffen. Und drehten später die Doku »Griffen«, die bei der Diagonale 2012 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Dazu zwei Fragen. Was konnten Sie daraus für Ihren eigenen Werdegang mitnehmen? Öffnete dies so manche Tür, um freiberuflich tätig sein zu können?

Bernd Liepold-Mosser: Als ich 1968 in Griffen geboren wurde, war Handke schon ein »Popstar« der Literatur. In meiner Kindheit und Jugend war er dann der große Abwesende, über den man im Ort geredet hat. Sein Buch »Wunschloses Unglück« über die Lebensgeschichte seiner Mutter, das er unmittelbar nach ihrem Suizid geschrieben hat, hat die Griffner an einer empfindlichen Stelle getroffen und ein paar Jahre später hat man sich dann über sein Engagement für die kärntnerslowenische Literatur erregt. Für mich war das alles sehr spannend und Handke wurde – noch bevor ich seine Bücher wirklich gelesen habe – zu einer Symbolfigur für die Befreiung aus der Provinz. Nach meinem Studium in Wien habe ich dann das Peter-Handke-Archiv aufgebaut und 15 Jahre später bin ich mit der Kamera für den Film »Griffen« noch einmal dorthin zurückgekehrt. Für mich persönlich war das eine enorm wichtige Arbeit, für meine »Karriere« hat es eigentlich nichts gebracht, weil sich danach kein Filmprojekt mehr ergeben hat. Aber ich werde immer noch – sehr positiv – auf den Film angesprochen. 

Eine wesentliche Komponente Ihres Schaffens sind Inszenierungen als Theaterregisseur, doch interessiert skug eher Ihre Affinität zu Literatur und Popkultur. Das prädestinierte Sie wohl zur Gründungsintendanz des Klagenfurt Festivals? Wie kam es zur Gründung?

Die Literatur und die Popkultur sind meine wichtigsten kulturellen Prägungen, dazu gehört ein gewisser Hang zur Gegenkultur, den ich mir trotz meiner vielen Arbeiten an etablierten Theatern erhalten habe – so hoffe ich zumindest. Es gibt kaum eine Inszenierung von mir, in der nicht die Musik, also Popmusik, eine wichtige Rolle spielt. Ich habe mehrfach mit Naked Lunch und Clara Luzia zusammengearbeitet, solo auch mit Fuzzman und regelmäßig mit Oliver Welter. Die Gründung des Festivals selbst war wohl so etwas wie ein glücklicher Zufall, wo gerade alles auf einmal zusammengepasst hat. Ich bin mit meinem »Kulturbegriff« angetreten und möchte das bestehende Angebot in Kärnten erweitern. Die allererste Veranstaltung des Festivals war das Laibach-Musical »Wir sind das Volk« nach Texten von Heiner Müller – das war schon eine Ansage. 

Ferdinand von Schirach © Peter Rigaud

Steigen wir also mit Literatur, die doch Theater ist, ein ins Geschehen des vierten Jahres des Klagenfurt Festivals. Was ist für Sie das Magische, das Ferdinand von Schirachs Werke zum Bestseller macht? Ist es die Auslotung der Würde des Menschen? Und was ist von seinem Monolog »Regen«, der am 27. Mai um 19:30 Uhr im Stadttheater Klagenfurt aufgeführt werden wird, zu erwarten?

Ich habe Ferdinand von Schirachs Schreiben von Anfang an verfolgt und war als Leser ganz früh schon von seinem Stil und natürlich seinen Geschichten, die er aus seiner Tätigkeit als Strafverteidiger geschöpft hat, begeistert. Inzwischen ist er ja ein Mega-Seller, in 30 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt. Als ich letzten Sommer von dem Monolog-Projekt erfahren habe, war für mich sofort klar, dass ich es nach Klagenfurt bringen möchte. Ich meine: Schirach als Darsteller seiner eigenen Literatur auf der Theaterbühne, das musste sein! Der Monolog selbst lotet ja das Thema von Verbrechen und Strafen aus und wird schlussendlich zu einer melancholischen Liebeserklärung an eine Unbekannte. Die Ausgangssituation – ein Schriftsteller, der sich an seiner Verpflichtung als Schöffe abarbeitet – legt nahe, hier auch an von Schirach selbst zu denken. 

Wie hat sich Ihre Affinität zu Tanz ergeben? Neben einer Kooperation mit ImPulsTanz, der Programmschiene mit dem Titel »Public Moves« – bitte Näheres dazu – inszeniert der spanische Choreograf Jesús Rubio Gamo Ravels »Bolero«. Schon wieder »Bolero«, ist das nicht zu sehr am Mainstream?

Ja, wir wollen uns – im Rahmen der Möglichkeiten – auch um den zeitgenössischen Tanz und Performance in Kärnten kümmern. Vielleicht gerade deshalb, weil ich selbst nur peripher mit Tanz arbeite, bin ich in dieser Sparte sehr begeisterungsfähig. In Kooperation mit ImPulsTanz bringen wir zehn Tage lang »Public Moves« auf den Landhaushof in Klagenfurt: täglich zwei Workshops mit internationalen Dozent*innen, »for all ages, all bodies, all genders, all levels«. Alle sind willkommen und eingeladen, kostenlos mitzumachen. Da hoffe ich doch sehr, dass die Kärntner Körper sich in Bewegung setzen werden. Mit »Nights Game« von den Alleyne Sister und dem »Gran Bolero« bringen wir zwei Tanzprojekte auf unsere Hauptbühne im Burghof. Mir geht es darum, das Kärntner Publikum zu zeitgenössischen Formen zu verführen, und dafür sind das hervorragende Projekte. Die Alleyne Sisters sind internationale Stars aus dem UK, der »Gran Bolero« holt das Publikum mit dem Titel und der Vorlage von Ravel ab, doch im Zuge des Abends wird die Musik elektronisch verarbeitet und die Tänzer*innen schrauben sich immer weiter in eine höchst expressive und zeitgenössische Tanzform hinein. Auf der Bühne stehen die besten Tänzer*innen aus Slowenien und Kroatien und ich hoffe sehr, dass die Performance-Begeisterung des Publikums mit einem Wow-Effekt geweckt wird. 

En-Knap Group © Jelena Jankovic

Die Auswahl der popmusikalischen Live-Acts liest sich ein bisschen wie ein Auf-Nummer-Sicher-Programm. AVEC, Anna Mabo, Alicia Edelweiss, Marilies Jagsch, Voodoo Jürgens, Cari Cari, Nino aus Wien und Lukas Kranzelbinder, der mit Danyèl Waro großartige Volksmusik aus La Réunion entdecken hilft, sind bekannte Namen, die für Qualität, die nicht zu sehr reibt, bürgen. Geht es darum, möglichst viele Leute anzuziehen?

Die österreichische Musikszene ist nun einmal sehr stark und man darf nicht vergessen, dass im Unterschied zu Wien und einigen anderen Landeshauptstädten Popkultur in Kärnten viel zu wenig stattfindet. Ich bin sehr froh, wenn Acts wie Voodoo Jürgens oder Cari Cari den Burghof vollmachen und auch, dass sich der Frauenanteil in der Programmierung wirklich sehen lassen kann. Wir hatten in den letzten Jahr Bipolar Feminin, Soap&Skin, Lola Marsh, Fiva, Sophie Rois etc., das ist in Kärnten nicht selbstverständlich. Und ja, ich bin mit dem Vorsatz angetreten, kein Nischenprogramm zu machen, sondern mit Qualität ein breiteres Publikum anzusprechen. Die Resonanz in Kärnten ist hervorragend, wir bekommen begeisterte Rückmeldungen und auch überregional und in der Branche haben wir einen sehr guten Ruf. Besonders freut es mich, wenn junge Leute – die zum Beispiel in Wien studieren oder arbeiten – mir sagen: Cool, dass es so etwas in Klagenfurt gibt. 

Schön, dass Lukas Kranzelbinder, der u. a. mit Shake Stew zu begeistern vermag, mit Danyèl Waro quasi den Kulturbotschafter von La Réunion nach Kärnten bringt. Interessant ist, dass diese Insel im indischen Ozean, einst unbewohnt, ein Spielball des Kolonialismus ist. Die Bedeutung des Namens La Réunion trifft das ganz gut: »Insel der Zusammenkunft«, heutzutage als Region Frankreichs ein Übersee-Département und damit zur EU gehörend. Somit ist ein Volksfest zu erwarten!?

Die Folgen des Kolonialismus und die daraus resultierenden Probleme sind ja ein weltweites Thema. Ich freue mich sehr, dass Lukas Kranzelbinder, der ja ein gebürtiger Kärntner ist, mir sehr exklusiv den Österreich-Auftritt mit Danyèl Waro angeboten hat. Die Kolonialgeschichte von La Réunion ist wenig bekannt und Waro ist dort tatsächlich eine Galionsfigur der Bestrebungen nach Befreiung. Gleichzeitig ist die Fusion mit Kranzelbinder und der Formation Interzone eine ganz besonders attraktive musikalischen Mischung. Wir haben unseren Plan kurzfristig geändert und bringen das Konzert direkt im Anschluss an die offizielle Eröffnung auf den Neuen Platz in Klagenfurt – für alle zugänglich und bei freiem Eintritt. Mit ADG7 habe wir eine weitere politische Botschafterin im Programm: Die südkoreanische Formation spielt funkigen K-Pop auf traditionellen Instrumenten und hat u. a. beim Glastonbury-Festival das Publikum begeistert. Der Bandname erinnert übrigens an die Befreiung Koreas aus der japanischen Kolonialherrschaft und hält die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung des geteilten Landes wach.

Danyèl Waro, Lukas Kranzelbinder, Interzone © Sasha Osaka

Link: https://www.klagenfurtfestival.com/

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