Jährlich gelangen laut der Heinrich-Böll-Stiftung rund zehn Millionen Tonnen Plastikmüll in die Weltmeere. Mikro- und Nanoplastik finden so ihren Weg bis in unser Trinkwasser. Diese Realität betrifft uns alle – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder sozialem Status. In Zeiten globaler Krisen – von bewaffneten Konflikten bis zu Umweltkatastrophen wie Überflutungen oder Wasserknappheit – stellt sich die Frage: Wie können wir gemeinsame Zukunftsperspektiven entwickeln, die auf Zusammenhalt statt auf Differenzen beruhen? »Ephemeral moments« setzt hier an: Die transdisziplinäre Arbeit der Künstlerin Navina Neverla hinterfragt und löst Grenzen auf – ästhetisch, thematisch und sozial. Minimalistisch und konzeptuell erzeugt das Projekt performative Bilder, die Zeit, Raum und Körper als künstlerische Mittel nutzen. Der Körper selbst wird dabei zum Medium: Er macht Grenzen spürbar, überschreitet sie und eröffnet neue Räume der Präsenz und kollektiven Erfahrung. Die Entwicklung des ortssensitiven Bewegungsmaterials wird in Wien an verschiedenen Wasserorten erarbeitet, am Siebenbrunnen im 5. Bezirk, am Asperner See im 22. Bezirk sowie rund um die Alte Schieberkammer im 15. Bezirk. Präsentiert wird die Arbeit dann am 3. Oktober in der Alten Schieberkammer, am 11. Oktober im Creative Cluster in Margareten und am 25. Oktober in den Seestadt Studios in der Donaustadt. skug hat die Künstlerin zu einem kurzen Interview getroffen.

skug: In deiner Performance-Installationsreihe »Ephemeral moments« sind Themen wie Wasser und Grenzen zentral. Wie manifestieren sich diese beiden Begriffe in deinen immersiven Installationen?
Navina Neverla: Wasser beinhaltet für mich zum einen das Thema Nachhaltigkeit und als Ressource auch die begrenzte Verfügbarkeit. In der westlichen, privilegierten Welt haben wir noch einen guten Zugang zu sauberem Trinkwasser, aber das kann sich auch hier ganz schnell ändern. Ich habe das bei einem Stromausfall in Teilen von Portugal miterlebt. Es gab dann auch keinen Zugang zu Trinkwasser, die Metro fuhr stundenlang nicht mehr, man konnte kein Geld abheben, Krankenhäuser mussten auf begrenzt laufenden Generatoren funktionieren, die Handynetze und das Internet brachen lokal zusammen. Unser turbokapitalistisches System kann sehr schnell an seine Grenzen kommen und zusammenbrechen. Der Planet wird vom Menschen ausgebeutet, das äußert sich auch in den Naturkatastrophen rund um die Erde. Naturkatastrophen bisher nicht global, sondern nur lokal. Zum anderen ist Wasser auch ein spirituelles Element, neben Feuer, Luft, Erde und Äther. Mein ganzheitlicher Zugang erfolgt über Buddhismus und tantrisches Yoga und ist mit Gefühlen und Energien assoziiert. Jemand hat einmal zu mir gesagt, dass in meiner Arbeit Wasser zugleich Subjekt und Objekt darstellt, und ich reflektiere darüber, wie sich das konkret äußert. Ich versuche eben, diese Grenzen aufzulösen, sowohl in der Form als auch im Inhalt als auch im Ko-Kreieren der Arbeiten mit dem Publikum. Ich bin zwischen drei oder mehr Kulturen aufgewachsen, nämlich der indischen, der deutschen und der österreichischen Kultur, wenn man überhaupt von der Kultur eines Landes sprechen kann. Dieses Dazwischen, diese Liminalität, dieser »liminal space« hat mich ein Leben lang begleitet und auch das Hinterfragen von Grenzen. Auch in künstlerischer Hinsicht verschwimmen diese Grenzen, mein künstlerischer Hintergrund in den Bereichen Fotografie und Film in der bildenden Kunst verbindet sich mit dem Tanz in der darstellenden Kunst. Das führt zu meinen Performances, die ich als site-responsive und ortsbezogen und auch als partizipativ verstehe. Und um noch auf die Manifestation einzugehen. Mir ist ganz wichtig, zu betonen, dass ein künstlerischer Prozess ja auch einem Wandel unterliegt. Der immersive (alle Sinne ansprechende) Zugang bezieht sich auch auf die Miteinbeziehung haptischer und olfaktorischer Elemente. Bei meinem bisherigen Work in Progress, zum Beispiel »Volatile moments for a different future« im Rahmen des ATLAS Programms beim ImPulsTanz Festival 2023, hat sich das so manifestiert, dass ich als Performancekünstlerin und Choreographin im »expanded field« das Bewegungsmaterial über die »somatic practices« in der Improvisation mit dem Raum in Beziehung setze. Die Parameter, mit denen ich künstlerisch arbeite, sind: Zeit, Raum, Bewegung, Körper und Energie.

Du hast zu Frauen in der Region Bundelkhand in Indien recherchiert, die sich für Trinkwasser und Frauenrechte einsetzen. Kannst du uns etwas zu den für dich berührenden, inspirierenden Momenten in der Begegnung mit diesen selbstbewussten Frauen erzählen?
Ich bin bei einer Dokumentation über Frauen in Indien auf die sogenannten »Jal Saheli« gestoßen, wörtlich übersetzt bedeutet das »Freundinnen des Wassers«. In einer ländlichen Region ohne sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser gehen diese Frauen tagelang durch die Wüste. Traditionell tragen sie das Wasser in Behältnissen auf ihren Köpfen. Sie haben darum begonnen, Becken und Dämme zu bauen. Sie setzen sich für Frauenrechte ein und gegen die patriarchalischen Strukturen in der hinduistischen Gesellschaft. Sinngemäß sprechen diese Frauen davon, dass die Erde erschöpft ist und wir sie nicht endlos ausbeuten können. Mich hat diese Dokumentation inspiriert und berührt, weil ich bei meinen Reisen zur Familie meines Vaters in Indien schon von klein auf Dinge erlebt habe wie Armut und Elend, die man sich in einem westlichen Land so nicht vorstellen kann. Aber auch in westlichen Ländern kann dieser Zustand einer optimalen Versorgung schnell kippen, und im Extremfall ist in Kriegsgebieten die Versorgung mit Trinkwasser sehr schnell gefährdet.
Dich beschäftigt auch die Frage, wie indigene Kulturen neue Wege zu einem nachhaltigeren und achtsameren Zugang zur Natur aufzeigen können. Mir fällt dazu zum Beispiel der Essay von Andreas Weber mit dem Titel »Indigenialität« ein. Du stellst dir die Frage, wie wir als Menschen mit den Ressourcen des Planeten umgehen würden, wenn wir Feuer, Wasser, Erde und Luft als Elemente des Menschen begreifen würden. Magst du zum Thema dieser Elemente und zu deinen Erfahrungen mit indigenem Wissen etwas mit uns teilen?
Natürlich könnte der Vorwurf der »cultural appropriation« schnell im Raum stehen, aber ich könnte dem entgegnen, dass ich als Halbinderin einen elementaren, spirituellen Zugang zu gewissen Formen des tantrischen Yoga, des Buddhismus und des Schamanismus suche. Auch das brasilianische Candomblé interessiert mich, dort gibt es auch Wassergottheiten. Vieles davon ist schwer in Worte zu fassen, es geht da auch ganz stark um das Erleben dieser Energien in der Praxis.

Deine künstlerische Arbeitsweise bewegt sich zwischen bildender und performativer Kunst, du nennst sie auch »analogue tools for empowerment and resistance«. Wie versuchst du diese Ebenen zu verbinden oder willst du auch bewusst Grenzen aufzeigen oder dekonstruieren?
Dieser Begriff meiner künstlerischen Praxis bezieht sich auf die Methoden, mit denen ich in den vergangenen Jahren gearbeitet habe. Es beinhaltet »automatic writing«, das Arbeiten mit einer mechanischen Schreibmaschine und Tarotkarten, »somatic practices«, zeitgenössischen Tanz und Improvisation, aber auch analoge Fotografie und Super8-Film. Wir leben ja in einer hochdigitalisierten Welt, in der jede digitale Bewegung, die wir machen, getraced und getrackt und gespeichert wird. Alles Analoge kann eben nicht so leicht getraced und getrackt werden. Deswegen sind analoge Tools für mich Elemente des Widerstands und des Empowerments. Auch der Wunsch, sich ein Stück Privatsphäre zu erhalten. Die künstlerische Praxis als Gegensetzung.
Vom Element Wasser zum Schluss noch zum Element Feuer, das du 2019 in einer Performance angewandt hast. Du kritisierst in »Whose dreams do you follow« die Förderkultur und die Lebenszeit, die Künstler*innen mit dem Stellen von Förderanträgen verbringen. Welche Vorschläge hättest du, um eine gerechtere Verteilung der Fördergelder zu erreichen?
Ich bin keine Politikerin, ich bin eine Künstlerin. Ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine gerechtere Verteilung oder überhaupt mehr Geld für die freie Szene würde ich mir wünschen. Auch das Entscheiden über das Schicksal von vielen hundert Künstler*innen durch ein paar Menschen in einer Jury finde ich fragwürdig. In welchen anderen Berufen muss mensch sich andauernd neu bewerben, profilieren und bewerten lassen? Sehr viel unbezahlte Arbeitszeit wird da »verbrannt«. Ich habe 2019 eine Intervention vor der Kulturbehörde in Hamburg gemacht. Diese Aktion im öffentlichen Raum war nicht angemeldet und genehmigt. Dabei habe ich viele Anträge verbrannt. Das Element Feuer habe ich sozusagen in dieser Phase durchlaufen. Bei diesem befreienden Akt ist sehr viel Energie freigeworden, ich habe damals schon gewusst, dass ich aus Hamburg wegziehen werde. Und ich habe mir gedacht, dass, wenn ich in zehn Jahren auf mein Leben als Künstlerin zurückschauen werde, ich es bereuen würde, diese Performance-Intervention im öffentlichen Raum nicht realisiert zu haben.
Termine (Dauer je Slot ca. 60 Minuten):
3. Oktober 2025, 19:30, Alte Schieberkammer, Meiselstraße 16–20, 1150 Wien
11. Oktober 2025, 19:30, Creative Cluster, Victor-Christ-Gasse 10, 1050 Wien
25. Oktober 2025, 20:00, Seestadt Studios, Am-Ostrom-Park 11/1, 1220 Wien











