Tom Zeitlhuber © Frank Jödicke, Michael Zangerl
Tom Zeitlhuber © Frank Jödicke, Michael Zangerl

»Unser Foto ist nicht reproduzierbar«

Wir haben ein riesiges Foto von der Letzten Generation geschossen – mit Techniken, wie sie vor 185 Jahren verwendet wurden. Im Gespräch erläutert Fotograf Tom Zeitlhuber die chemischen Herausforderungen der »dunklen Kammer«.

Plötzlich steht es da: über zwei Meter breit und schwarz-weiß – ein riesiges Foto, fast so groß wie ein Monolith. Darauf sieht man den Westbahnhof. Der Gürtel glitzert davor. Man erahnt vorbeiziehende Autos, auf dem Foto wirken sie wie Geister. Nur sechs Personen sind zu erkennen. Sie hocken starr am Boden und blicken uns an. Ihre Hände kleben am Asphalt, sie wissen: »Wir sind der Verkehr«. 

Ein Projektteam von skug hat dieses Foto der Letzten Generation geschossen – mit fotografischen Techniken des 19. Jahrhunderts. Dafür haben wir wochenlang geplant, konzipiert und gebaut. Dutzende Meter Holz waren die Voraussetzung für eine Dunkelkammer, die die Aufnahme des Fotos erst möglich machte. Denn was jedem dieser Schritte vorausging, war die Idee, nicht auf konventionelle Entwicklungsmethoden zurückzugreifen, sondern dem Projekt ein Alleinstellungsmerkmal zu geben: wie die Fotopioniere des 19. Jahrhunderts analog und großformatig zu fotografieren.

Auf den Spuren der Fotopionier*innen

Tom Zeitlhuber studiert Chemie und ist Fotograf. Er war für die chemische Umsetzung und Entwicklung des Projekts zuständig. »In der Durchführung hatten wir mehrere Optionen, etwa konzentriertes Wasserstoffperoxid als Bleiche. Alle waren zu gefährlich, zu schwierig in der Anschaffung, wir hätten ein Labor benötigt.« Selbst Louis Daguerre, einer der ersten Fotografen, habe eigentlich kein Positiv produziert, so Zeitlhuber. »Er hat ein Negativ hergestellt und es auf einen schwarzen Hintergrund gegeben«. Man spricht von dem Dunkelfeld-Prinzip: Vor einem dunklen Hintergrund erscheint ein Negativ als Positiv. So habe man das früher gemacht – »man hat geschummelt.« 

Auch Zeitlhuber hätte mogeln können. Anders als in der Frühphase der Fotografie gibt es inzwischen sogenannte Direktpositivpapiere, mit denen wir uns das aufwändige Umkehr-Entwicklungsverfahren hätten sparen können. Der Catch? Im Großformat von über zwei Metern hätte allein das Papier das gesamte Materialbudget des Projektes gefressen. Wir hatten uns jedoch vorgenommen, all jene Prozesse durchzuführen, die in der Fotografie vorausgesetzt sind. In Zeitlhubers Worten: »Wir haben Kamera gespielt.« Vielleicht ist dieses Spiel Masochismus. Es ist jedenfalls der Versuch, den Blick für Prozesse zu schärfen, die in unserer Gesellschaft als selbstverständlich vorausgesetzt werden.

Die »dunkle Kammer« am Gürtel © Frank Jödicke

Wir wollten an eine Diagnose Walter Benjamins anknüpfen. Vor 92 Jahren verfasste der jüdische Philosoph eine »Kleine Geschichte der Photografie«. Darin diagnostizierte Benjamin, dass das Potenzial historischer Fotografie in der Gegenwart darin bestehe, »dem politisch geschulten Blick das Feld frei« zu machen. Indem sie aktuellen Sehgewohnheiten zuwiderlaufen, können frühe Fotografietechniken einen unerwarteten Blick auf aktuelle Situationen werfen. 

Nehmen wir den Verkehr. Ob Straßenschilder, Ampeln, Bremslichter oder Abbiege-Handzeichen: Verkehr ist visuell strukturiert. Diese Struktur ist über einen langen Zeitraum entstanden und selbstverständlich geworden. Politische Initiativen wie der Zukunftsrat Verkehr und die Letzte Generation befragen sie. Ist die heutige Form des Verkehrs wirklich die einzige? Was davon ist notwendig, was ein Relikt aus vergangenen Zeiten? Was kann, was muss anders gestaltet werden? 

Mit unseren Fotos wollten wir diesen Prozess ergänzen und begleiten. Wie könnte der Westbahnhof aussehen, wenn alle Autos verschwinden? Warum brennen sich Bilder von Straßenblockade der Letzten Generation so sehr in unsere Vorstellungswelt ein? Welche Rolle spielen Bilder von Verkehr – etwa Pressefotos, Verkehrserziehungsvideos – für politische Entscheidungen? 

Experimente in den eigenen vier Wänden

Um solche Fragen anzuregen, war Tom Zeitlhuber zu einigen Experimenten bereit. »Ich habe meine Wohnung umgebaut, um sie lichtdicht zu machen. Denn wir wussten nicht: Funktioniert unsere Idee mit den Chemikalien? Mit der Belichtung? Der Entwicklung? Der modifizierten Optik? Alle Schritte musste ich testen. Jedes Mal ein riesengroßes Bild zu machen, wäre zu teuer und zu aufwändig gewesen. Also habe ich meine Linse an mein Fenster geklebt, das Fenster abgedunkelt und so mehrere Testfotos vom Dach gegenüber gemacht.«

Wichtige Experimente, denn unser Versuch, ein Positiv zu erstellen, hat einen Haken. Wir haben nur ein einziges Bild. »Normalerweise kann man im Entwicklungsprozess ein bisschen korrigieren. Wenn ein Negativ zu hell oder zu dunkel ist, lässt sich das ausbessern. Das ging hier nicht. Wie bei einem Polaroid. Was auf dem Papier ist, ist fix. Deshalb ist unser Foto auch nicht reproduzierbar.« 

Testfotos © Frank Jödicke, Michael Zangerl

Entscheidend war nicht zuletzt die Entwicklung des Fotos. Tom Zeitlhuber musste diverse Chemikalien gleichmäßig auf dem belichteten Papier verteilen. Im Kleinformat ist das kein Problem, da man das Fotopapier in Behälter tauchen kann. Unsere belichtete Fläche entsprach jedoch mehreren Quadratmetern. Für ein Foto im Großformat hätten wir ein Planschbecken mit giftigen Stoffen füllen müssen. 

Zeitlhubers zündende Idee: Wir sammeln die Chemikalien in einem Abflussrohr und rollen das Fotopapier durch. Dafür entwarf er eigens eine Kurbel-Konstruktion, auf der wir das Fotopapier spannten. Dank einer Bohrmaschine als Antrieb konnte das belichtete Papier so gleichmäßig mit Chemikalien überzogen werden. »Durch die verwendete Chemie war die Oberfläche so sensibel geworden, dass klassische Entwicklungstechniken nicht in Frage gekommen wären.« 

Der eigentliche Entwicklungsprozess umfasste mehrere Phasen. »Nach dem ersten entsteht eine Art ›Negativ‹. Dieses mussten wir bleichen. Mit Kaliumpermanganat und Natriumhydrogensulfat. Die Bleiche löst das gesamte elementare Silber heraus. Am Papier bleiben jene Silberhalogenid-Kristalle übrig, die zuvor nicht vom Licht getroffen wurden. Es ist, wenn man so möchte, das Gegenstück zum Fixierer. Dann belichtet man es mit einer Lampe nach. So bekommt man ein Positiv«, so Zeitlhuber und meint: »Klingt simpel, ist es im Grunde auch – es hat sich aber nicht so angefühlt.«

Entwicklungsstation © Tom Zeitlhuber

Vom 23. bis 29. November 2023 ist das Originalfoto im T/abor zu sehen. Die Vernissage findet am 23. November um 19:00 Uhr in der Anwesenheit von Tom Zeitlhuber statt. Alle weiteren Informationen zur Ausstellung findet ihr hier.

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