Christopher Hewitt

Theater gegen die Bequemlichkeit: God’s Entertainment

Entspanntes Zuschauen unmöglich: Die Theater- und Künstlergruppe God's Entertainment macht Theater, das sich einmischt und polarisiert. Dafür brechen sie mit so ziemlich allen Konventionen.

Fotos: Christopher Hewitt

Er solle doch als Sühne zehn Euro an einen steuerzahlenden deutschen Staatsbürger verschenken, meint der Pfarrer zu dem asiatisch-stämmigen Arbeiter auf dem Beichtstuhl, dann sei ihm seine Sünde – Schwarzarbeit – vergeben. Der Arbeiter sucht einen Zehn-Euro-Schein aus seinem Bündel Geldscheine, geht in die Zuschauerränge, fragt, wer Steuern zahle, und reicht einer Zuschauerin, die sich wie viele andere gemeldet hatte, den Schein. Sie nimmt den Schein an. Und spätestens jetzt sind die Zuschauerin und mit ihre alle anderen im Publikum keine bloßen Zuschauer mehr. Vorher wurde zudem schon klar, dass der Schauspieler, der hier den Arbeiter gibt, sehr wahrscheinlich tatsächlich schon einmal schwarz gearbeitet hat.

Es sind Szenen wie diese aus dem Stück »Cleaning, Babysitting, I Help in House – 7 Euro«, mit denen die Theatergruppe God’s Entertainment die Zuschauer zum Nachdenken bringt. Nachdenken über die dargestellten Verhältnisse, die eigene Haltung dazu, vielleicht auch die Mitschuld. Und es sind Szenen wie diese, die Begriffe wie »Schauspieler« und »Zuschauer«, Begriffe wie »inszenieren« und »rezipieren« immer weiter verwässern, die aber gleichzeitig dem Begriff »Theater« eine Bedeutung geben, die über bloßes upper-class-Entertainment hinausgeht.

Seit 2006 zeigt die österreichische Theater-, Performance- und Künstlergruppe God’s Entertainment mit einem unglaublichen Output an Stücken, was Theater neben Unterhaltung kann. Zur Gruppe gehören Boris Ceko, Maja Degirmendzic, Simon Steinhauser, Domokos Iszlay und einige wechselnde Schauspieler. Mit Stücken und Performances, im öffentlichen Raum, auf kleinen Theaterbühnen und in großen Theaterhäusern, von Wien bis München, Prag, Berlin und Hamburg mischen sie sich ein in gesellschaftliche Debatten und Diskurse.

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Keine Rührstücke bitte

»Cleaning, Babysitting, I Help in House – 7 Euro« handelt vom sogenannten Arbeiterstrich, auf dem sich Menschen aus den wirtschaftlich schwächeren Staaten Europas und der Welt illegal und zu Dumpinglöhnen für Arbeiten jeder Art anbieten. Mittlerweile gehören solche Arbeiterstriche in einigen Großstädten, darunter Wien, München, Hamburg und Köln, zum unsichtbaren Teil des Stadtbilds. Die Arbeiten, für die die Menschen von Sub-Unternehmern engagiert werden, reichen von Tätigkeiten auf dem Bau bis zum Putzen bei Privatleuten, der Lohn liegt zwischen vier und acht Euro, wenn er denn tatsächlich gezahlt wird, die Arbeitszeiten reichen an die vierzehn Stunden pro Tag.

Es wäre leicht, aus diesem alltäglichen Elend ein bedrückendes Rührstück zu machen, eine anklagende Moralpredigt, mit hilflosen Arbeitern auf der einen und zynischen Bossen auf der anderen Seite. Und es wäre wirkungslos. Denn derartiges Betroffenheitstheater erzielt selten mehr als simplifizierende Anklagen und ethische Belehrungen.

God’s Entertainment aber wollen »nicht erziehen,« wie Maja Degirmendzic erklärt: »Die Leute erwarten das Dokumentarische – jetzt kommt der schwarze Arbeiter, jetzt der Chef im Anzug – aber wir wollen keine Erwartungshaltung erfüllen und wir wollen nicht zeigen, wer der Böse oder Schuldige ist.« Das Problem am dokumentarischen, sich politisch und engagiert gebenden Theater, ergänzt Boris Ceko, sei, »dass es am Ende nur sagt: »Schau, wie liberal wir sind im Theater.««

 

Die Realität ins Theater

Nein, die Stücke von God’s Entertainment möchten nicht rühren und jeden mit einem guten Gefühl nach Hause schicken. Sie sollen polarisieren. Und so spielen in »Cleaning …« Menschen vom sogenannten Arbeiterstrich die Rollen. Oder besser: sich selbst. Oder genauer: sie spielen nicht, sondern präsentieren ihre Realität. Natürlich bleibt dabei immer ein Rest Schauspielerei, aber die Grenzen verschwimmen: Spielt der Schauspieler aus der anfangs geschilderten Szene einen Schwarzarbeiter, der sich entschuldigen möchte? Oder entschuldigt sich der ehemalige Schwarzarbeiter mit dem Mittel des Schauspiels? Und warum sollte er sich überhaupt entschuldigen, wo ihn doch der Sub-Unternehmer zur Schwarzarbeit drängt?

Was, gespielt von professionellen Schauspielern, komisch wirken könnte – der Schwarzarbeiter auf dem Beichtstuhl – bekommt tragische Züge. »Sobald den Zuschauern bewusst wird, dass es sich bei den Schauspielern um »reale Menschen« handelt, wird eine größere Realitätsnähe erzeugt,« so Degirmendzic. Die Inszenierung wird aufgebrochen, die Distanz zum Geschehen auf der Bühne deutlich verringert, die Fragen werden drängender. »Es geht nicht mehr darum, ob der Schauspieler etwas gut oder schlecht gemacht hat.«

Aber nicht allein der Effekt bei den Zuschauern zählt: God’s Entertainment greifen auch deshalb auf tatsächlich betroffene Menschen zurück, weil »die einfach mehr erzählen können, als irgendwelche Schauspieler, oder auch als wir selbst, weil ihr Leben ein ganz anderes ist,« so Domokos Iszlay. Das bedeutet auch, dass die betroffenen Menschen sich ihren Geschichten selbst ermächtigen: statt Schauspieler, die stellvertretend etwas erzählen, ergreifen die, um die es geht, die Stimme.

 

Die Reizfläche vergrößern

Und doch bleibt das Theater auch mit Laien-Schauspielern immer Theater: Das Gezeigte ist eingeprobt, die Bühne besteht aus Requisiten, die Zuschauer zahlen einen (geringen) Eintritt. Anders ist das bei Performances im öffentlichen Raum. »Hier,« sagt Degirmendzic, »ist die Versicherung nicht mehr da, dass alles nur ein Spiel ist.« Weswegen God’s Entertainment auch immer wieder auf öffentlichen Plätzen Aktionen machen.

»Wir nutzen den öffentlichen Raum nicht, weil es dort schöner ist, oder weil wir dort mehr Platz haben,« sagt Simon Steinhauser, »sondern weil es mehr Sinn macht bei politischen Aktionen, weil die Reizfläche viel breiter ist.« Und so musste, wie Degirmendzic berichtet, bei der Performance »Wien ist anders?«, während der ein weißer einen schwarz angemalten Performer solange mit einem Baseballschläger verprügelt, wie die Passanten Geld in einen Hut am Boden werfen, schließlich der künstlerische Leiter selbst einschreiten und den Passanten versichern: »keine Angst, das ist nur Theater.«

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Position Beziehen gefordert

Aber »nur« Theater, das wollen God’s Entertainment natürlich selbst im Theater nicht. Weswegen sie auch dort versuchen, das Publikum aus seiner relativ bequemen Zuschauerposition zu holen. Am Anfang von »Cleaning …« müssen die Zuschauer durch einen Tunnel, in dem sie von den Schauspielern/Arbeitern um Arbeit, egal welche Arbeit, egal zu welchem Preis angebettelt werden. Später im Stück werden einige Zuschauer zur Baustellenbesichtigung eingeladen. Oder bekommen zehn Euro geschenkt.

»Der Zuschauer wird zum Akteur,« so Steinhauser, »und in dem Moment wird er sich fragen: Was passiert mit mir?« Voraussetzung dafür sei allerdings, »dass der Zuschauer auch eine Meinung hat« und andersherum, dass die Theatergruppe kontroverse Themen auswählt. »Es gibt Gruppen, die beschäftigen sich mit dem Tod von Kennedy, und es gibt Gruppen, die beschäftigen sich mit dem, was gerade auf der Straße passiert,« setzt Steinhauser nach. God’s Entertainment suche Themen, zu denen sich die Zuschauer positionieren müssten, mit denen sie mitunter auch nicht einverstanden seien.

Aber lässt sich insbesondere ein linksliberales Publikum, das Bio-Gemüse kauft und für Projekte in Afrika spendet, überhaupt noch aus der Ruhe bringen, selbst mit so drastischen Mitteln? Steinhauser ist skeptisch: »Die machen nicht mit, zumindest nicht so einfach. Die glauben, durch ihre Lebenseinstellung schon auf der richtigen Seite zu stehen. Das ist wie mit einem Mathematiker, der seine Formeln gelernt hat und den man nicht mehr von einer anderen Formel überzeugen kann.« Degirmendzic widerspricht dem, sie hinterfragt gar nicht erst, wer im Publikum sitzt, und Ceko meint, es sei vor allem wichtig, verschiedene Leute zusammenzubringen und Reibungsflächen zu erzeugen: »Man braucht etwas, das die Leute zur Auseinandersetztung treibt.«

 

Keine besseren Ideen

Mitunter wird God’s Entertainment vorgeworfen, dass ihre Stücke keinen inhaltlichen Tiefgang hätten. Dabei ist es lediglich die eindeutige Botschaft, die fehlt: »Wir liefern keine Antworten,« so Steinhauser, »der Zuschauer soll sich selbst mit dem Thema auseinandersetzen und eigene Antworten finden.« Die Nicht-zu-Ende-Gedachtheit der Stücke von God’s Entertainment ist entscheidend für die Absichten der Gruppe.

»Wenn wir etwas zeigen, zeigen wir den falschen Weg,« ergänzt Iszlay. Und gezeigt wird eine Menge in »Cleaning …«: Da werden Menschen vor der EU-Flagge hypnotisiert, Modenschauen in Arbeitsklamotten veranstaltet, Politikerreden pantomimisch nachgestellt, theaterkritische Texte auf eine Leinwand projiziert, NPD-Plakate geklebt, ein Fernsehteam über die Baustelle geschickt.

Nein, das alles kann man wohl kaum aufnehmen, man wird auch nicht alles verstehen und sich auch selbst nicht alles erklären können. Dafür hinterlässt manche Szene einen umso tieferen Eindruck. »Wir erfahren immer wieder von Leuten, dass sie ein Stück noch Tage danach beschäftigt hat,« sagt Degirmendzic. Man mag es kaum glauben: Selbst in unserer scheinbar so entpolitisierten Zeit, in der sogar der wenige Protest und Widerstand, den es noch gibt, zu oft ins Leere läuft, kann Theater noch einen Unterschied machen. Auch wenn man dafür mit fast allem brechen muss, was man unter Theater versteht.

»Cleaning, Babysitting, I Help in House – 7 Euro«
04.04. + 05.04. Wien/WUK

»Human Zoo«
25.04. – 03.05. Krems/Donaufestival

Home / Kultur / Performance

Text
Hardy Funk

Veröffentlichung
03.04.2014

Schlagwörter

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