Nach inzwischen 25-jährigem Bestehen liegen Retrospektive und Vision im Schaffen von Tocotronic nah beieinander. Ihren Reiz hat die Band weder auf Platte noch auf der Bühne verloren. Den Beweis traten die Hauptprotagonisten deutschsprachigen Diskurspops bei einem Open-Air-Konzert im hochsommerlichen Wien an.
An Kraftwerk lässt sich exemplarisch beobachten, wie das konsequente Weitermachen unvermeidlich erst zu Kanonisierung, dann Institutionalisierung und letztendlich gar zu Musealisierung führt. Die Einstürzenden Neubauten haben diesen Prozess, der dabei vom Subkulturspektakel zum Hochkulturevent führte, längst schon und mit beeindruckender Schnelligkeit durchlaufen. Hier geht es nun um jene Band im Triumvirat der Bands im Pantheon der deutschen Gegenwartsmusik, die gerade dabei ist, ins Stadium offizieller Approbation einzutreten – die Ex- Hamburger Diskurs- und mittlerweile Berliner Hauptstadt- rocker-Burschen von Tocotronic.
Ein Album über die Liebe sei das elfte Tocotronic-Album. Sagt die Band. Und sagen alle anderen – oft nur zu gern, um die Band damit endlich in ihre rein ästhetizistische Weltanschauung einzugliedern. Es stimmt auch. Aber nicht nur. Denn das offiziell namenlose, inoffiziell »rotes« genannte Album handelt zwar in jedem Song mehr oder weniger explizit…
Das zehnte Album der Hamburger zum zwanzigjährigen Jubiläum beweist vor allem eines: Tocotronic haben sich ein eigenes Genre geschaffen, in dem Peinlichkeit vollkommen anders definiert wird. Tocotronic kommen wie immer mit Wortspielen und Reimen durch, für die andere mit nassen Fetzen von der Bühne geprügelt würden. Was ist der Grund für diese Einzigartigkeit? Charme, Poesie…