Die Pubertät ist nicht nur eine Zeit starker persönlicher und körperlicher Veränderungen, sondern auch eine Phase, in der jemandem bewusst werden kann, dass die Lebensweise der eigenen Herkunftsfamilie nicht die einzig möglichen/wahren/richtigen sein mögen. Fast schockartig verläuft die »Implantierung« der 11-jährigen Stella (Léora Barbara) in eine neue Schul-Umgebung. Aufgewachsen ist sie mehr oder weniger in einem Pariser Arbeitercafé mit einer Klientel aus Arbeitslosen, Kleinkriminellen, die meisten davon Alkoholiker. Stellas Eltern betreiben das Lokal, sie haben kaum Zeit für das Mädchen. Stella hat eine so genannte Chance erhalten: Sie wird in ein Elitegymnasium aufgenommen, wo sie eine Außenseiterin ist. Trotzig richtet sie sich in dieser Rolle ein.
Literatur befreit
»Ich bin keines dieser behüteten Kinder«, stellt Stella schon am Anfang im Off-Kommentar fest. An Lebenserfahrung hat sie ihren MitschülerInnen einiges voraus, die rauen Verhaltensweisen aus der Vorstadt bringen sie allerdings immer wieder in Schwierigkeiten. Irgendwann freundet sie sich mit ihrer Mitschülerin Gladys (Mélissa Rodriguez) an, die aus einer Akademikerfamilie stammt. Langsam überwindet Stella ihre Isolation und entdeckt ein neues Reich der Abenteuer und der Freiheit: Die Literatur. Verheydes Film spielt 1976. Interieurs, Kleidung, Accessoires und vor allem die Musik sind äußerst sorgfältig ausgewählt. Diese Sorgfalt trägt dazu bei, dass »Stella« nicht als sentimentaler Kostümfilm erscheint. Eben, weil diese Kindheit nicht nostalgisch verbrämt wird kann die Erzählung sich mehrdimensional entfalten: Als individuelles Schicksal, als entwicklungspsychologischer Vorgang, nicht ahistorisch freischwebend, sondern in konkrete soziale, politische Strukturen gebettet.
»Stella« (R: Silvie Verheyde, Frankreich 2009) Mit: Léora Barbara, Karole Rocher, Benjamin Biolay, Guillaume Depardieu u.a.
Derzeit in österreichischen Kinos