Deichkind ist deutscher HipHop oder Elektro-Dance-Punk mit zur Schau gestellter Intellektuellenfeindlichkeit von Intellektuellen. Eine gewisse toxische Männlichkeit mit dieser gewissen aggressiven Besserwisserei, die so reflektiert daherkommt, dass man das Gefühl nicht los wird, dass da eine kluge Kritik verborgen ist. Inhaltlich wird sich an der Paradoxie des Hedonismus abgearbeitet, der sich als solcher erkannt hat. Manchmal dann vollkehliges Rammstein-Gegröle als Gesang, bei dem dicke, behaarte Männerbäuche im Chor brummen und davon künden, was ihnen letztlich wichtig ist: Wir wollen jetzt saufen! Unverkennbare Lust am Fluchen gepaart mit der Präventivanalyse: Ist ja doch alles scheiße hier. Unterlegt wird das mit gut getüftelten Beats.
Wer sagt denn das?
Jetzt wird man ja, bedingt durch die verstrichenen Lebensjahre, immer älter. Scheiße, aber is’ halt so. Weil man deswegen über vieles schon mehr als einmal nachgedacht hat, stellt man sich dann so Fragen. Zum Beispiel: Was soll der ganze Mist überhaupt? Genau diese Frage mit einem übellaunigen Furor rauszuballern, gelingt Deichkind sehr gut. Sie stechen überhaupt gerne mitten rein, dass es nur so kackbraun hervorquillt. Der ganze Abscheu der insbesondere Rich-Kids aus der bundesdeutschen Großstadt wird seit zwanzig Jahren schlau bebildert. Dass ist gerade deswegen so authentisch, weil man sich dabei bekanntlich am meisten selbst auf den Geist geht. Dank der richtigen Worte für den eigenen Unmut haben Deichkind den*die Zuhörer*in schnell auf ihrer Seite. Nur ist leider die Frage: Ist das überhaupt die richtige Frage? Oder erschöpft sich irgendwann die Beschäftigung mit dem, was nervt, und beginnt dann selbst zu nerven? Weil irgendwann dürfte ja allen hinlänglich klar sein, dass heute alle spinnen.
Auf der neuen Platte »Wer sagt denn das?« scheinen die Bandmitglieder ein wenig moralisch in den Erlebniswelten von Mittelschullehrer*innen gelandet zu sein. Was sie nervt, ist ohne Frage glasklar nachvollziehbar. Tatsächlich können einem die Computer- und Drogenkids gewaltig auf den Zeiger gehen. All das Handyherumgespiele, das dauernde Abgechecke des »Like mich am Arsch«, wie Deichkind schon 2015 treffend festgestellt haben, führen die Band zur verzweifelten Frage: Können wir uns nicht auch mal unterhalten? Ja, stimmt. Abgefuckte Welt. Nur, nochmal: Was soll man dazu groß sagen? Die Welt ist voller »Dinge«, die kein Schwein braucht, weswegen man Lust hätte, den Inhalt des soeben gelieferten Amazon-Pakets komplett aus dem Fenster zu gießen. Es überkommt einen tatsächlich körperliches Unbehagen, wenn so ein Trottel den Manufactum-Katalog runterreferiert und meint, er habe da was entdeckt, das wirklich … Ja, stimmt, Deichkind sehen die heutige Verelendung sehr klar und die Band weiß, dass sich darauf nur mit Musik und sorgfältig inszenierten Videos reagieren lässt.
Eigentlich sage ich immer ja, aber ne, diesmal sage ich nein
Deichkind sind ein Künstlerkollektiv, bei dem ständig ein- und ausgestiegen wurde. Die verschiedenen persönlichen Herangehensweisen zerrten zwar am Bandkollektiv, aber das tat sicherlich zuweilen auch gut. Auch darf man der eigenen Legendenbildung glauben, dass sich die Band die meiste Zeit vor dem baldigen Aus wähnte. Einer der Tricks, den selbsterzeugten Spannungen nicht auflösbarer Widersprüche zu entkommen, waren die Tourneen mit ihren immer aufwendigeren Bühnenshows. Hier zeigt sich, dass das Prollige bei Deichkind einfach dazu gehört und nicht wegdiskutiert werden kann, weil die Überlegung: »Schmutzige Unterhosen, ja, aber bitte ohne den schlechten Geruch« ins Leere läuft. Somit sind Deichkind-Shows bildgewaltiges Dada-Spektakel und zugleich Ibiza-Schauparty. Im Schlauchboot durchs Meer der hochgereckten Arme des Publikums zu fahren macht sicher Spaß und lässt die ganzen künstlerischen Probleme mal vergessen.
Und irgendwann sind die lästigen Kunstfragen dann wieder da. Die neue Scheibe »Wer sagt denn das?« ist voll davon. Im titelgebenden Song reiht sich die Band selbst ein in die nervige Bande der Schlagwortgeber*innen. Wer sagt denn, »dass impulsive Menschen keine Grenzen kennen?« Die umwerfend gute Nummer »Keine Party« fragt explizit, was das mit den Partys noch soll. »Schluss mit Remmidemmi, das hört jetzt hier sofort auf, aus dem Alter ist man langsam raus.« Ja, ne, klar, aber was heißt denn das? Das man trotzdem weiter macht? Logisch, was für Lösungen sollte es auch geben? Die spätbürgerlichen, kapitalistischen Gefühlswelten haben keinen Hinterausgang. Wenn es tatsächlich einen Emergency Exit gegeben geben sollte, dann ist der jetzt zugestellt mit Versandhaus-Paketen.
Richtig gutes Zeug
Seit Langem bemühen sich Deichkind, den eigenen Reflexionsschleifen zu entkommen, durch eine intellektuelle Aufspaltung. Es seien in der Band eben Kunstbeflissene und Feierwütige und zwischen denen müsse vermittelt werden. Also Anspruch einerseits und Korkenknallen andererseits. Letztlich sei ja auch beides wichtig und man wolle ja niemanden belehren und lieber Spaß haben und so weiter und so weiter. Blöd, dass die Argumentation halt nicht funktioniert. Denn das eine macht das andere immer zum Vehikel und hier entsteht eine lästige Hierarchie. Sollte tatsächlich das Feierbiest in Deichkind das ganze intellektuelle Brimborium nur auffahren, um noch mehr Fun zu haben, dann wäre das in einer Weise bestusst, die es in diesem Kosmos noch nicht gegeben hat. Das wäre so, als würde jemand jahrelang Balletttanz üben, nur um sich über Balletttänzer*innen lustig zu machen. Kann man sicher sein: gibt es nicht. Folglich ist letztlich die Prolo-Attitüde Teil eines künstlerischen Gespinstes und wird von diesem zum Understatement und zur zeitweiligen Entspannung genutzt. Sie werden es nicht gerne hören, aber Deichkind haben eben Kunstwillen. Sie merken ja selbst, dass das »Hurra wir ballern einen!« nicht lange tragfähig ist. Denken, Fühlen und Musizieren entwickelt sich vom Oberflächlichen zum Tiefsinnigen oder entwickelt sich halt gar nicht. Siehe: Scooter, die Atzen et al. Ist ja auch okay, muss man sich halt spätestens ab Ende Zwanzig kräftig schönsaufen.
Ihre Kunstbeflissenheit dokumentieren Deichkind insbesondere in den aufwendigen Videos, die schön ausstaffiert sind mit dem, was gerade so nervt, und es macht Spaß, dabei zuzusehen, wie alles lustvoll kaputtgeschlagen wird. Die Kostümierung der Band hat längst den Zustand eines technoiden Rokokos erreicht. Ach ja, und dann ist da noch die Musik. Braucht man keine großen Worte verlieren, Deichkind liefert seit 1999 klugen Stampf mit guten Beats und insbesondere die frühen Jahre sind Deutschrap-Goldstandard. Auf der Platte »Wer sagt denn das?« sind dankenswerterweise die Nummern auch noch in der Instrumentalversion drauf. Tja, richtig gutes Zeug halt, müsst ihr euch mal anhören … Der neuen Deichkind-Platte gelingt es wirklich exquisit, unbefriedigend zu sein und die Band trifft damit irgendwie ins Schwarze. Wenn skug in seinen Reviews Sterne vergeben würde, dann bekäme die Scheibe null von fünf Sternen, plus fünf Zusatzsterne. Und das Publikum fragt sich zu Recht: »Was heißt denn das?«
Am 21. Februar 2020 sind Deichkind mit ihrem neuen Album in der Stadthalle Wien zu Gast, Schlauchboot inklusive.