»Mr. Pink Floyd« – so nennt ihn Autor Michele Mari im Titel. Und das obwohl seine aktive Zeit sich lediglich auf die Anfangsjahre der Band beschränkt, deren Gründung sich eigentlich nicht genau datieren lässt. Irgendwo um das Jahr 1965. Zugegeben, er war eines der Gründungsmitglieder. Er ist Roger Keith Barret, genannt Syd Barrett – der verrückte Diamant.
Michele Mari dürfte sich als Literaturwissenschaftler in seiner täglichen Arbeit an der staatlichen Universität von Mailand wohl überwiegend auf historische Fakten stützen. Diesen Anspruch wirft er in »Mr. Pink Floyd« über Bord. Mit Recht, denn das Buch erscheint im Genre der Romane. Wer jedoch eine im klassischen Sinne erzählte Geschichte erwartet, wird enttäuscht. Mari inszeniert das gesamte Buch als fiktive Gerichtsverhandlung. Als Ansammlung von Zeugenaussagen, Befragungen und Dokumenten. Was nach harten Fakten klingt, lässt jedoch viel Spielraum für Interpretation. Syd Barrett war der Kopf der Band in den Anfangsjahren, ein nicht zu zähmender Geist an Kreativität und Inspiration. Bereits 1968 ersetzt ihn die Band durch David Gilmore. Barrett, schon als Kind eine mehr als ungewöhnliche Persönlichkeit, driftet nach Experimenten mit LSD in eine psychedelische Welt ab. Steht am Ende nur noch apathisch auf der Bühne ohne einen Ton zu spielen. Roger Waters, der Syd bereits seit seiner Kindheit kennt, wird zum neuen Kopf, die anderen nennen ihn »den Lyriker«. Der Geist von Barrett verschwindet jedoch nicht. Auch nicht, weil mit Gilmore ein Mann an seine Stelle tritt, dem Barrett selbst das Gitarrespielen beigebracht hat. Leidklagen über das Schicksal des »Diamanten« begleiten nahezu alle Aussagen der beiden. Stücke wie »Shine on you crazy diamond« oder »Wish you were here« sind an ihn adressiert.
Zu Wort kommt nicht nur die Band, ebenso Angehörige, Freunde, Roadies, Techniker und auch bereits verstorbene Künstler. Klagen aus dem Jenseits. Die Bandgeschichte wird detailliert abgehandelt, und immer wieder taucht er auf, sein Geist, Mr. Pink Floyd. Die tiefe Verbundenheit von Roger Waters und David Gilmore ist ein Schlüssel zur Antwort, wie sehr Barrett die Band trotz seines frühen Ausscheidens geprägt hat. Pink Floyd Anhänger trennen sich oft in ??Barrettanier?? und ??Nicht-Barrettanier??. War es wirklich Barrett, der diese Band so geprägt hat? Hatten sie doch lange nach seinem Ausscheiden noch Platten produziert, die längst Kult-Status genießen. Mari liefert einen Einblick, Mari liefert auch Antworten. Mari liefert aber auch einen Roman. Und Mari liefert keine Antworten, wo die Realität aufhört und die Fiktion beginnt. Mit Sicherheit liefert Mari jedoch ein Buch, das sich um einen Menschen dreht, der metaphorisch die Bezeichnung »Diamant« verdient.
Michele Mari: »Mr. Pink Floyd«. Aus dem Italienischen von Birte Völker, München: Edition Elke Heidenreich 2011, 304 Seiten, EUR 20,60