Mit dem Arpeggio-Gewitter von »Fantas« schuf Caterina Barbieri einst eine unverwechselbare Hymne zeitgenössischer Synthesizer-Musik. Das Titelstück ihres 2019 auf Editions Mego erschienenen Albums »Ecstatic Computation« stellt damit einen der Höhepunkte im umfangreichen Werkkatalog des Labels dar. Hatte sich ihr Potenzial bereits auf ihrem 2017 veröffentlichten Debütalbum »Patterns of Consciousness« gezeigt, war es während der Pandemie wieder recht still um sie geworden. Doch mit »Spirit Exit« und »Myuthafoo« veröffentlichte die zwischen Milano und Berlin pendelnde Musikerin nun in kurzem Abstand auf ihrem eigenen Label light years gleich zwei Alben, auf denen sie ihren musikalischen Ansatz vertieft und weiter ausformuliert.
Bei ihrem Auftritt im Rahmen des Elevate Festivals fällt es ihr leicht, die große Bühne auszufüllen. Ihr rechter Arm ist von einem metallisch schimmernden Konstrukt bekleidet, ein stilisiertes Mensch-Maschine-Interface an der Grenze zum Kitsch; zugleich aber auch ein Detail, das den entscheidenden Kontrast zur ansonsten fast leeren Bühne setzt. Auch ihre Musik lebt von diesen Gegensätzen: »Für mich entsteht Musik immer aus der Spannung zwischen zwei gegenüberliegenden Polen. Ich neige zu Sequencern mit einer kalten, eisigen Qualität – Maschinen also, die einen sehr kontrollierten Output erzeugen. Zugleich arbeite ich aber auch mit Melodien, die eine sehr starke emotionale Intensität besitzen. Ich finde es spannend, mit diesem Kontrast zu spielen.«
Die 1990 geborene Barbieri studierte in Bologna klassische Gitarre und ging 2013 für einen Studienaustausch nach Stockholm, wo sie erstmals mit einem Buchla-Synthesizer arbeiten konnte. Die daraus entstandenen Stücke wurden 2014 als Kassette bei Important Records veröffentlicht, 2017 folgte das bereits erwähnte Debütalbum sowie ein Jahr später ein weiteres Album mit dem programmatischen Titel »Born Again in the Voltage«. Das in Massachusetts ansässige Label kann auf einen umfangreichen Katalog verweisen, der Künstler*innen wie Cluster, Coil oder Merzbow umfasst, aber auch wichtige Referenzpunkte für Barbieri selbst, etwa Éliane Radigue oder Pauline Oliveros. 2019 folgte jedoch der Wechsel zu Editions Mego und kurz nach dem tragischen Tod Peter Rehbergs hob Barbieri ihr eigenes Label light years aus der Taufe.
Der Weg bis zum eigenen Label war jedoch nicht einfach. »Das Konservatorium in Bologna ist sehr akademisch und ungemein konservativ. In Stockholm verfolgt man hingegen einen anderen Ansatz: Die Studierenden werden darin ermutigt, ihre eigene Stimme zu entwickeln. Mein Lehrer meinte also: »Wir haben einen Buchla hier …« Als ich damit zu arbeiten begann, veränderte das nicht nur mein Leben, sondern auch meine Art des Zuhörens. Ich habe zehn Jahre klassische Gitarre studiert und das Studium mit einem Diplom abgeschlossen. Aber es war der Buchla, der mich gelehrt hat, Klang auf eine Art und Weise wahrzunehmen, die im klassischen Training nicht vorkam.« Lange Zeit galten die Instrumente des 2016 verstorbenen Don Buchla als unzuverlässig und kompliziert; zugleich waren Musiker*innen aber vom Klang und seinen neuartigen Zugängen fasziniert. So erfand Buchla nicht nur den Sequenzer, sondern prägte mit der Entwicklung komplexer Oszillatoren, Zufallsgeneratoren oder dem Lopass-Gate elektronische Musik entscheidend mit.
»Der Buchla in Stockholm ist ein riesiger Synthesizer, grantig und auch ein wenig kaputt. Man ist also mit einigem Chaos konfrontiert, was die Beziehung mit diesem Instrument sehr aktiv und verspielt macht – man kann es berühren und erforschen. Für mich war das eine befreiende Erfahrung. Die Klassik-Welt, aus der ich komme, ist sehr kontrolliert und Geschlechterrollen sind extrem ausgeprägt. Elektronische Musik fühlte sich damals für mich wie ein unbeschriebenes Blatt an. Plötzlich konnte ich sein, wer oder was ich wollte. In gewisser Weise stehen Maschinen über den Geschlechtern.« Ein kurzes Nachhaken, was es bedeuten könnte, dass Moog, dessen Synthesizer in den 1970er-Jahren noch Taurus hießen, seine Produkte nun Mother, Grandmother oder Matriarch nennt – bevor dieser Gedanke im Gespräch schnell wieder fallengelassen wird.
Kosmos der Möglichkeiten
Die Erfahrung mit dem Buchla-Synthesizer teilt Barbieri mit einigen anderen Musikerinnen, darunter Suzanne Ciani, die bereits in den 1970er-Jahren mit Don Buchla zusammengearbeitet hat. »In der Klassik-Welt ist man als Frau entweder Sängerin oder Geigerin. Aber sie wollte mehr und hat diese Freiheit in der elektronischen Musik gefunden. Damals war der Buchla ein neuartiges Instrument, dass in dieser Form zuvor noch nicht existiert hatte. Allein die Tatsache, dass es ohne Keyboard auskam und eine Menge Kabel verwendete, war neu.« Neben den Stücken Cianis und besonders »The Expanded Universe«, dem Hauptwerk der US-amerikanischen Synthesizer-Pionierin Laurie Spiegel, stellt die Arbeit von Éliane Radigue für Barbieri einen wichtigen Bezugspunkt dar:
»Sie hatte eine sehr spezielle Sichtweise auf Synthesizer, deren Einsatz sie mit ihrem Interesse für Buddhismus zu einer ritualisierten Form von Meditation verband. Ein solcher Ansatz war in der männlich dominierten akademischen Welt sehr ungewöhnlich. Musik wurde als etwas sehr Rationales und Theoretisches wahrgenommen, beinahe mit wissenschaftlichem Anspruch. Radigue hingegen brachte Spiritualität in die Musik und verfolgte einen rituellen Ansatz. Diese Perspektive wurde auch von anderen Musikerinnen geteilt – etwa der Amerikanerin Pauline Oliveros, die an der Schnittstelle zwischen Musik und Medidation das Konzept des Deep Listening entwickelte«. Zwar bezieht sich Barbieri nicht ausdrücklich auf Spiritualität, betont aber die Bedeutung des Begriffs der Kosmologie: »In meiner Arbeit gehe ich gerne von minimalistischen Strukturen aus, etwa im Sinne eines Alphabets. In der Folge suche ich nach Wegen, diese eingeschränkte Form des Inputs in einen größeren Output umzusetzen und damit einen Kosmos an Möglichkeiten zu schaffen. Ich mag die Idee, eine minimalistische Struktur in etwas Reichhaltigeres und Pulsierendes zu verwandeln, das voller Potenzial steckt.«
Mit dieser Idee knüpft Barbieri bewusst an in die Tradition eines feministisch geprägten Anthropozän-Diskurses an und setzt ihre Arbeit in Bezug zu feministischen Theoretikerinnen wie Lynn Margulis, Rosi Braidotti oder Donna Haraway. Daher fällt es auch leicht, Caterina Barbieris Musik als einen Soundtrack Gaias zu verstehen. Im Video zu »Broken Melody«, dem Titeltrack ihres aktuellen Albums »Spirit Exit«, schlafen jugendliche Tänzer*innen auf nächtlichen Bergwiesen, bevor sie erwachen, um gemeinsam durch alpine Höhlenlandschaften zu schweben. Das Video nimmt Anleihen an Eglė Budvytytės »Songs from the Compost: Mutating bodies, Imploding stars« (2020), gedreht in den Kiefernwäldern und Sanddünen der Kurischen Nehrung an der Grenze zwischen Litauen und der russischen Enklave Kaliningrad, das eine traumhafte Spiritualität vor dem Hintergrund des Anthropozäns inszeniert.
Caterina Barbieri gelingt es, Ansätze und Diskurse aufzugreifen, mit ihrer eigenen Arbeit zu verbinden und durch ihre musikalische Sprache weiterzuentwickeln. Auf »Fantas Variations« (2021, Edition Mego) greift sie die Praxis von Éleane Radigues »Occam«-Serie auf, eine Komposition in Zusammenarbeit mit anderen Musiker*innen für verschiedene Instrumente ausarbeiten zu lassen. So entstanden aus ihrem bekanntesten Stück »Fantas« (2019, Edition Mego) Variationen für Stimmen, Saxofon und Stimme, zwei Orgeln, 808 und 202, usw. Auch in diesem Fall entwickelt Barbieri aus dem eingeschränkten Input von »Fantas« einen »Kosmos an Möglichkeiten«.
Tonales Geo-Engineering
Für Caterina Barbieri sind Einschränkungen in der Musik sehr wichtig, nicht zuletzt, um Feedbackschleifen in der Produktion zu verhindern. »Die wichtigste Einschränkung von meinem Synthesizer ist Monophonie. Das bedeutet, dass man immer nur einen Ton zur gleichen Zeit spielen kann, während unterschiedliche Stimmen und mehrere Melodien gleichzeitig nicht möglich sind. Ich bin dadurch gezwungen, auf einem anderen Weg mehr Komplexität in eine monophone Stimme zu bringen. Ich arbeite also mit sehr schnellen Sequenzen und Delay-Lines, um eine Illusion von Polyphonie zu erzeugen – ähnlich einer Wolke schneller Muster, die eine Halluzination auslösen.«
Aufgrund der Art und Weise, wie Barbieri ihre Arbeit beschreibt, könnte man fast meinen, sie betreibe tonales Geo-Engineering. Dabei zeigt sich auch, dass sie einen sehr bedachten Zugang zu Technologie vertritt. »Ich finde es wichtig, dass es manchmal schwierig ist, mit einer Maschine zu spielen. Die Technologien, die uns heute zur Verfügung stehen, sind sehr weit entwickelt. Wenn man an das iPhone denkt, dann ist die verwendete Technologie annähernd perfekt – hochglanzpoliert und sehr einfach zu verwenden. Interessanterweise entwickeln wir aber zu diesen Dingen keinen persönlichen Bezug. Wir verbringen zwar sehr viel Zeit mit dem iPhone – wenn wir es jedoch verlieren, kümmert uns das Objekt an sich nicht.
Das Wort ›Objekt‹ stammt vom lateinischen ›obicere‹ ab, was ›widersprechen‹ bedeutet. Ein Objekt ist also etwas, das widerspricht, sich widersetzt – zumindest in seiner ursprünglichen Bedeutung. Man muss sich daher mit einem Objekt auseinandersetzen; man muss lernen, es zu verwenden. Nach dem Einschalten meines Instruments muss ich hingegen warten, bis es sich aufgewärmt hat. Dann muss ich es erstmal stimmen und nach einer halben Stunde kämpfe ich erneut mit ihm, weil sich die Oszillatoren verstimmt haben. All diese Abläufe erzeugen aber auch ein Ritual und ich schätze eben diesen rituellen Zugang zu Instrumenten. Er erlaubt mir, eine tiefe Beziehung zu diesen Objekten einzugehen und das ist der Punkt, an dem manchmal magische Momente entstehen.«
Weder schüttelt Caterina Barbieri ihre Musik also locker aus dem Ärmel, noch ist das Resultat für Zuhörer*innen immer leicht zugänglich. Reduziert auf selten mehr als eine Synthesizer-Stimme und zugleich den Klang sorgsam zu einer tonalen Herausforderung geschichtet, gewinnen die Stücke ihre Stärke aus der steten Wiederholung einprägsamer Sequenzen. Es ist eine Form der Musik, die vom Publikum Aufmerksamkeit einfordert und auch deshalb an diesem Abend im zentralperspektivischen Aufbau des Orpheum-Theaters mit viel Licht und Trockeneisnebel so gut funktioniert.