»Schmäh« also – und »Mätschick«. Dieses schwer verkokste Begriffspaar umreißt gut die Realität und den programmatischen Realitätsverlust österreichischer Popkultur. Seit jeher kleben »Schmäh« und »Mätschick« an ihr wie Pech und Schwefel.
Mit einem André-Heller-haft hingehauchten »Magie« endet dann auch die Beschreibung eines Austrofred-Konzerts, mit der »Hard on!« einsetzt, der erste Roman von Franz Adrian Wenzl, der in einer seiner multiplen Persönlichkeitskunstwerke »der Autrofred« ist, wie sich der Erzählerprotagonist in »Hard on!« konsequent selbst nennt. Dem Klappentext zufolge ist er »der letzte große Medienkünstler Österreichs«. Ein Prädikat, auf das niemand stolz sein muss!
Es passt hier aber zumindest insofern, als »Hard on!« eine künstlerische Bearbeitung diverser medialer Anordnungen darstellt, allen voran natürlich das Promibuch. Was »der Austrofred« hier erlebt und wie er sich dabei die Welt zurechträsoniert, schlägt nach Promibuchqualitätsmaßstäben wie »Selbstgerechtigkeit« und »Unreflektiertheit« jede Boris-Becker-Abrechnung mit den Ex-Frauen. Als »Roman« wiederum kommentiert »Hard on!« die aktuelle Schwundstufe der deutschen Gegenwartsliteratur, u. a. weil die Handlung (inklusive einem Haufen unmotivierter Zwillinge, die Anlass zu noch unmotivierteren Verwechslungen geben) alle aktuellen Bestseller auf dem deutschsprachigen Buchmarkt mühelos unterbietet.
Einfach hier
»Der Autrofred«, aus dessen Leben »Hard on!« berichtet, ist natürlich politisch weitgehend inkorrekt, deswegen aber noch lange nicht – wie ein beliebter Meinungs-Preset lautet – »herrlich unkorrekt«. Die durchgehaltene Homophobie und seine Vorurteile, denen er breiten Raum gibt, machen ihn keineswegs sympathisch, im Gegenteil: Sie porträtieren ihn als österreichischen Popstar. Der Hausverstand (wie der gesunde Menschenverstand jenseits der Alpen so treffend heißt) hat ihn fest im Griff.
Da hilft auch keine Bildungsreise, auf die »Hard on!« den Protagonisten schickt, weil er sich von der heimischen Popkritik (dargestellt von Sigi Neidhart, der durch einen Verriss zum Antagonisten wird) vertrieben fühlt. Also nimmt er kurzerhand ein Engagement in Istanbul an und lässt sich dort als »Ûstrüfrüd« in (wie er wiederum erst auf der Rückreise von Neidhart aus der »Kronenzeitung« erfährt) türkischen Schwulenclubs feiern. Beobachtungen über den herzlichen Umgang, den türkische Männer miteinander pflegen, werden damit zur Makulatur. Gegen die gute alte österreichische Selbstüberschätzung ist auch Transgression machtlos.
Charakterliche Entwicklung, wie sie zu guter letzt sogar Ricky Gervais in »The Office« hinbekommen hat, ist in diesem Rahmen nicht möglich. Nach seinem ausgesprochen erbärmlichen Comeback pünktlich zum Ende der Erzählung erklärt »der Autrofred« einem türkischen Aushilfskeyboarder: »Habe ich schon gespielt Istanbul, viele, viele Mal. Ist super Stadt, keine Frage, aber gehör ich einfach hier, nach Österreich«.
Also dorthin, wo Popintelligenz nur in Form von Pophausverstand oder Popbauernschläue zu haben ist. Ihnen ist auch der Antipode unterstellt, hinter dem sich gut sichtbar Didi Neidhart, der wohl wichtigste österreichische Poptheoretiker, verbirgt. Als Sigi verfasst er im Umsonsthefttonfall Popkonjunkturberichte für die »Krone« und betätigt sich nebenher als schmieriger Damenmasseur in der Wassererlebniswelt von Bad Schallerbach. Alles so schön einfach hier!
Austropopismus
Deutlicher als in Live- oder Fernsehauftritten handelt die Inszenierung »Austrofred« in »Hard on!« vom gestörten österreichischen Verhältnis zu Pop. In Österreich ist er angekommen, ohne je wirklich angekommen zu sein. Eigentlich wäre dessen Kulturtradition (im Unterschied zur authentizitätsversessenen deutschen) eine nie versiegende Inspirationsquelle für große Popkunst: Vorspiegelung falscher Tatsachen, Schein (der das Sein bis zur Kenntlichkeit zermürbt), begründungsfreie Arroganz, provinzielle Großkotzigkeit und eine majestätisch aufklaffende Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung. Eben der ganze »Schmäh« und die totale »Mätschick«. Diese insgesamte Udo-Proksch-Haftigkeit schreit danach, unkabarettistisch affirmiert und gegen das Wahrhafte und Kernechte in Anschlag gebracht zu werden.
Verwirklicht wurde dieses Potential vor (und nach) Falco trotzdem nicht. Der real existierende Austropop bleibt ein Sonderformat, ein popferner Tummelplatz für ehrliche Häute und echte Typen (seltener Typinnen), für »zärtliche Chaoten« und »sanfte Rebellen«, und was dem mit sich selbst identischen Austropopsubjekt sonst noch an medialen Inszenierungsstrategien zur Verfügung steht. All dem entströmt aber kein Popglanz, sondern nur der bekannte Stallgeruch der Authentizität: So echt, dass es wehtut. Pop ist das nicht mal im Sinne von dessen zweiter Ordnung (a.k.a. »incredibly strange music«). Das blut- und bodenverschmierte »Austro« holt den »Austropop« auf die Scholle der heimischen Tatsachen zurück. Der vordere Wortteil verleiht ihm Schlagseite, bis der hintere merkwürdig in der Luft hängt und hilflos zu zappeln beginnt.
Zuckerguss und Peitsche
An dieser Leerstelle hat sich Franz Adrian Wenzls »Austrofred« gleichsam häuslich eingerichtet. Er kostet die Brüche genüsslich aus, die die heimische Popkultur durchziehen. Ihr Glanz und ihr Elend verheddern sich dabei zu gegenstandslosem »Schmäh« und ranziger »Mätschick«.
Und doch träumt er schon im Namen von einem besseren Austropop, einem, der sich an Freddy Mercury aufrichtet, statt als Ö3-Dylan das Fremde zum klappernden Eigenen zu massakrieren. Als »Austrofred« will Wenzl gerade nicht er selbst sein, sondern – deleuzianisch gesprochen – lokale Dependance eines schwulen indischen Bombastpoppers werden, was natürlich trotz detailgetreuer Bühnenoutfits nie wirklich funktioniert. Das begehrte Fremde und das mangelhafte Eigene vermischen sich dabei zu einem Widerspruchsgestrüpp, das wiederum mehr mit Pop zu tun hat als die ästhetische Widerspruchsfreiheit der Danzers und der Fendrichs.
Die Impersonation ist eine zentrale Popkulturtechnik, weil sie uns den Star als Kunstwerk zeigen, als künstliches Gebilde, indem irgendwo als Trägersubstanz auch noch ein »echter« Mensch steckt. Der aber tritt in der Starwerdung aus dem Teufelskreis der Identität aus. Dem »Austrofred« in »Hard on!« gelingt dies nicht, an ihm klebt einfach zuviel Heimaterde; Wenzl dagegen schon, weil er sich den Luxus erlaubt, den »Austrofred«, seine bekannteste öffentliche Selbstdarstellung, als Austropopdeppen vorzuführen, noch unsympathischer, noch unreflektierter und noch lernunfähiger als Ambros und möglicherweise ja sogar selbstgerechter als André Heller. Mit derlei Autodekonstruktionen kämpft Wenzl wohl auch weiterhin ganz allein für Silbengleichberechtigung im »Austropop«.
Austrofred: »Hard on! – Roman«. Wien: Czernin 2013, 148 Seiten.