In Pennsylvania wurde es Donald Trump dann zu dumm. »Wer zur Hölle will Fragen hören?« Ex-Präsident Trump sicher nicht. Er lässt die Town-Hall-Veranstaltungen beenden und die Bravo Hits aus dem Jahr 1997 abspielen. Zu den Klängen der Musik bewegt er sich mit sanften Bewegungen über die Bühne, bei denen nicht klar ist, ob er Autos zu ihren Parkplätzen einweisen will oder pneumatische Koalabären in der Geisterbahn imitiert. Er selbst nennt es wohl »Tanzen« und setzt dabei den Blick von Rocky Balboa auf, nachdem dieser 30 Minuten lang den Kopf gegen eine Dampframme gehalten hat. Und ist das ein Problem? Ist Trump etwa dement oder einfach nur müde und schlecht gelaunt? Ist ihm am Ende im Wahlkampf 2024 vielleicht wirklich alles herzlich egal?
Dieser Mann hat offenkundig die Regeln geändert, weil er in seinem Handeln kaum Konsequenzen fürchten muss. Trump war es vor acht Jahren gelungen, den gordischen Knoten der US-Mediendemokratie zu durchschlagen, in dem die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris nach wie vor verheddert ist. Harris wirkt in vielen ihrer Interviews gehemmt. Sie weiß, dass hundert gute Antworten durch einen Missgriff zunichte gemacht werden. Eine ungelenke Äußerung, die dann tausendfach über alle Kanäle geschickt wird.
Der noch amtierende Präsident Joe Biden scheint dies nicht kapiert zu haben. Nachdem ein Sprecher bei Trumps abschließender Kundgebung im Madison Square Garden die Bewohner*innen Puerto Ricos als Abfall bezeichnet hatte, meinte Biden, der einzige Abfall, den er sähe, seien die Trump-Unterstützer. Bidens Team versuchte noch, in der Transkription ein Apostroph zu ergänzen, damit aus der Mehrzahl der Unterstützer jener eine Redner wurde, aber da war es schon zu spät. Trump setzte sich medienwirksam in einen Müllwagen und beklagte die Schmähung seiner Anhänger. Demokraten wurden übrigens in den letzten Jahren von republikanischen Amtsträgern als Pädophile bezeichnet, als Mörder, Anti-Christen, Degenerierte und als die schlimmsten Menschen der Menschheitsgeschichte. Sagen wir mal so, »Abfall« würde es hier vermutlich nicht in die Top Ten schaffen.
Weltweiter Rechtsruck
Hierin darf man heute bereits Trumps »Vermächtnis« erkennen. Ihm ist es gelungen, dass er selbst und seine weltweiten Nachahmer (es sind ausschließlich Männer) sich danebenbenehmen dürfen, die schändlichsten Dinge sagen können, und die Öffentlichkeit zuckt mit den Schultern. Zugleich darf jedes Vergehen der Gegenseite aufs schärfste gebrandmarkt werden. Wenn es Trump gelingt, das Weiße Haus zurückzuerobern, dann injiziert er damit Brennspiritus in die Blutbahnen von Kickl, Orbán und Co. Sie werden dann wohl noch unverblümter rechtsextreme Deutungsmuster verbreiten und autoritäre Lösungen propagieren. Denn wer so redet und agiert wie Trump, der will nicht regieren, der will herrschen. Wie war es möglich, dass rechte Popanze von Südamerika (Javier Milei, Jair Bolsonaro) bis Europa derart die demokratischen Verhältnisse ins Wanken bringen konnten? Die Gefühle der Menschen in den USA und anderswo müssen ernst genommen werden. Viele wissen nicht mehr weiter und sehen in den vorhandenen Institutionen keine Unterstützung mehr. Trump spricht ihnen aus der Seele: »Ich bin euer Kämpfer, eure Gerechtigkeit. Wenn euch Schlechtes widerfahren ist, dann bin ich eure Rache.« Tatsächlich scheint Trump für viele der Kandidat zu sein, der die Verhältnisse ändert, und wenn er sie lediglich ins Kippen bringt. Der österreichische Trump-Imitator Herbert Kickl formuliert dies so: »Ich bin euer Werkzeug.« Die Enttäuschung gegenüber den »Eliten« ist so groß, dass dies verfängt.
Aber funktionieren die Staaten nicht eigentlich ganz gut? Joe Biden hat in vier Jahren Amtszeit durchaus gewisse innenpolitische Erfolge feiern dürfen. Die Beschäftigung ist gestiegen (was sie nach der Corona-Krise wohl unter jedem Präsidenten wäre), es gab gewisse soziale Verbesserungen und Investitionen in die Infrastruktur, die Inflation ist niedrig und die Wirtschaft wächst. Dennoch sind nur 28 Prozent der Bürger*innen mit der Entwicklung des Landes zufrieden. Ein enorm schlechter Wert. Auch wenn manches besser wird, empfinden die Menschen keine Fortschritte. Die Lage ähnelt jener in Europa. Beispiel Ostdeutschland: niedrigste Arbeitslosenzahlen seit Jahrzehnten, weit und breit keine Ausländer und trotzdem 30 Prozent für die AfD. Das Gefühl der Unzufriedenheit und der Zukunftsängste sitzt tiefer und kann durch die moderaten politischen Wohltaten nicht aufgelöst werden.
Es ist ja nun auch nicht so, als würden es die Demokraten mit übertriebenem Eifer versuchen. Im Interview der Fernsehsendung »The View« wurde Kamala Harris gefragt, was sie in den letzten vier Jahren anders gemacht hätte, wenn sie Präsidentin gewesen wäre. Da fiele ihr nichts ein, gab sie zur Antwort. Letztlich rittern die Demokraten mit den Republikanern um die gleichen Spendengelder. Und die Reichen in Amerika wollen keine tiefgreifenden Änderungen. Sie dürfen sich dabei auf das spezifische Strukturproblem des US-Wahlsystems stützen: Wenn es nur zwei Parteien gibt, wird die Wahl zu der des geringeren Übels. Der frühere Präsidentschaftskandidat und ewige linke Hoffnungsträger Bernie Sanders fragte sich in einer Kolumne, wie er Harris wählen könne, wenn diese nicht einmal vorhabe, den entsetzlichen Krieg in Gaza zu unterbinden. Die beste Antwort, die er hatte (und er war sichtlich unzufrieden damit): Trump ist noch viel schlimmer. Beide Seiten wissen, dass ihre Wähler*innen keine echten parlamentarischen Alternativen haben, und nutzen dies aus. Man verspricht entweder gar nichts (Demokraten) oder macht völlig aufgeblasene, aber höchst unverbindliche Versprechungen, wie »Make America Great Again« (Republikaner).
Entscheiden es die Stars?
Diese Art der Wahlauseinandersetzung ist wenig hilfreich, wenn es gilt, wirkliche Probleme zu lösen. Die Klimakatastrophe überzieht das Land mit Hurrikans, Waldbränden, Überschwemmungen und Dürren. Es müsste schnell, viel und tiefgreifend geändert werden. Aber Kamala Harris will nicht einmal das Fracking abschaffen. Sie wird intellektuell wissen, dass sie das Petro-Zeitalter beenden müsste, weiß aber zugleich, dass ihr dies an der Wahlurne schaden würde. Zugleich hält Trump den Klimawandel für den »größten Betrug der Geschichte« und verspricht, nach Öl zu bohren, was das Zeug hält. Allerdings will er auch Elon Musk eine bedeutende Rolle in seiner zukünftigen Regierung geben, obwohl Musk bekanntlich eher auf Elektro steht. Mit Trump und Musk haben sich die Richtigen gefunden, die sich wechselseitig für den »nützlichen Idioten« halten. Musk und andere Milliardäre des Überwachungskapitalismus hoffen auf großzügige Deregulierungen durch Trump, um ihre eigene Wirtschaftsmacht und zunehmend auch politische Macht zu sichern. Trump hingegen will durch den Twitter-Besitzer Musk Starpower und Ego-Pflege.
In seiner ersten Amtszeit war Trump von Twitter (seit 2023 X) besessen. Er kommentierte alles und jeden und nahm damit – kraft seines Amtes – tatsächlich Einfluss auf Entscheidungen im Land. Für ihn hatte dies aber eher die Funktion, im Kreis der US-Celebrities präsent sein zu können. Irgendwie nahm Trump an, dies würde seine Macht vergrößern. Die Oberflächlichkeit, Stars für sich trällern zu lassen, ist den Demokraten nicht unbekannt. Vermutlich ist das Endorsement von Promis weitgehend wirkungslos. Diejenigen, die die Hollywood- oder Musik-Celebrities mögen, wählen tendenziell ohnehin eher Demokraten und diejenigen, die im Fly-Over-Country leben, sehen sich bestätigt: Die Eliten von der Küste interessieren sich nicht für uns! Irgendwas ist auch schräg daran, wenn sich milliardenschwere Stars dazu herablassen, in die Kamera zu winken, während Kamala Harris ein bisschen Steuererleichterung für junge Familien verspricht. Das »Wir sind auf eurer Seite und verstehen eure Nöte« stimmt ja einfach nicht. Die auf der Bühne fliegen im Privatjet heim und die im Publikum können ihre Arztrechnungen nicht bezahlen. Übrigens: JLo, Jay-Z und Beyoncé standen alle schon einmal neben der demokratischen Kandidatin und winkten happy in die Kamera. Die Frau hieß damals Hillary Clinton und der Wahlausgang aus dem Jahr 2016 ist allgemein bekannt.
Es wird in der Nacht vom 5. auf 6. November 2024 also superspannend in den Swing States Michigan, Wisconsin, Pennsylvania, Georgia, North Carolina, Nevada und Arizona, also jenen US-Staaten, die mal demokratisch und mal republikanisch wählen. Denn hier entscheiden vermutlich wenige tausend Stimmen über den Ausgang des knappen Präsidentschaftsrennens. Wir berichten von 01:00 bis 04:00 Uhr live aus dem Studio von Radio Orange 94.0 und haben kundige Gesprächspartner*innen vor Ort, die wir um ihre brandaktuelle Lageeinschätzung bitten werden. Es wird außerdem auch für Hörer*innen die Möglichkeit geben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Wer nicht schlafen kann, schaltet also beim Salon skug: BAM! Wahlspecial – USA Edition in den frühen Morgenstunden Radio Orange 94.0 ein. Wir freuen uns auf euch.
*Nachsatz: Letzte Wahlumfragen zeigen, dass auch Iowa ein Swing State werden könnte. Kamala Harris liegt hier erstmals vor Trump, der den Staat 2016 und 2020 mit großem Vorsprung gewonnen hat. Ausschlaggebend sollen für die Wähler*innen in Iowa die Einschränkung der Reproduktionsrechte durch die Republikaner sein. Retten die Frauen die Welt? Zu wünschen wär’s.