Leicht verwandelt sich uneingeschränkte Wut in einen undifferenzierten, dafür aber umso gewaltigeren Rundumschlag. Die da oben wollten das ORF Radio-Symphonieorchester Wien (RSO) eben weghaben, wurde geschlussfolgert. Der Kulturverlust der ehemaligen Kulturnation Österreich wäre schlicht und einfach eine weitere Ausgeburt ebendessen. Die Kunst sei zudem insgesamt nichts wert, würde generell kaputtgespart und sei einfach nicht mit den gnadenlosen Gesetzen des Raubtierkapitalismus in Einklang zu bringen. Führt der exakte Blick auf die Berichterstattung über das RSO zu anderen Schlussfolgerungen, kommt man damit zu so etwas wie einer differenzierten Sichtweise? Es ist eine Art Selbstversuch. Der Versuch, sich einen Reim darauf zu machen. Aus dem Betrachten vom dem, was bisher geschah, etwas abzuleiten oder gar zu eigenen Thesen zu kommen. Im besten Fall sogar: zu wissen, was jetzt zu tun wäre und wo man ansetzen müsste.
Chronologie der Ereignisse
Seit 20. Februar 2023 ist viel passiert. An diesem Tag verkündete der ORF, dass bis 2026 rund 300 Millionen Euro eingespart werden müssten. Ein Kosten- bzw. Sparpunkt: Das RSO, das man sich fortan nicht mehr leisten wolle. Bereits einen Tag später sprach sich Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) für den Erhalt aus. Auch die Grüne Kultursprecherin Eva Blimlinger stand ihr zur Seite und betonte das Alleinstellungsmerkmal des RSO. Bissige Kommentare angesichts der Sparpläne und des drohenden Aus für das RSO ließen nicht lange auf sich warten. Noch am gleichen Tag schrieb die »Wiener Zeitung« davon, dass man so ein Kulturland absandelt. Medienministerin Susanne Raab wurde trotz beginnenden medialen und kulturellen Dauerfeuers nicht müde zu betonen, dass die ORF-Sparmaßnahmen in die richtige Richtung gehen. Auch das RSO selbst ging bald in den Kampfmodus über: Man wolle gegen das drohende Aus kämpfen, titelte etwa die »Tiroler Tageszeitung« am 21. Februar. Fast zeitgleich brachte das ORF-Ö1-Morgenjournal Reaktionen auf das mögliche Aus des RSO. Die Rektorin der Universität für darstellende Kunst Wien Ulrike Sych brachte in einer Aussendung ihre Beunruhigung angesichts dieser Pläne zum Ausdruck. Und auch der österreichische Musikrat forderte vehement die RSO-Erhaltung.
Sorge und Solidarität
Überall war mittlerweile große Sorge ausgebrochen: der »Falter« sorgte sich um das Verstummen des Klangkörpers und die »Salzburger Nachrichten« zitierten Stimmen, die dieses Verstummen als für Österreich fast peinlich bezeichneten. Die »Süddeutsche Zeitung« sprach gar vom Ende eines Kulturstaates. Politische Kommentare wurden nun etwas stärker. In einer OTS-Aussendung forderte etwa der Wiener SPÖ-Gemeinderat und Kulturausschussvorsitzende Gerhard Schmid, dass die Bundesregierung das ihre dazu beitragen solle, das RSO zu sichern und zu erhalten. Die medialen Stimmen waren deutlich: Die RSO-Sparpläne seien simpel und populistisch, die Einsparung, als ob man Geigen einheizen würde. Wenige Tage später sprangen acht Landesorchester für das RSO in die Presche und positionierten sich in einem offenen Brief gegen die etwaige Einsparung. Am 1. März zeigten sich das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks (BRSO) solidarisch und betonte, dass man über die Sparpläne entsetzt sei und diese Pläne ein Anschlag auf die Kulturgeschichte unseres Kontinents wären. Auch tags darauf war für das Tonkünstler-Orchester klar, dass das RSO bleiben müsse. Nicht zu vergessen die Petition, die zum Erhalt des RSO schon längst gestartet war und zuletzt (2. März, 16.00 Uhr) 78.571 Unterschriften hatte.
(Mögliche) Conclusio
Was aber lässt sich jetzt aus diesem galoppartigen (und unvollständigen) Schnelldurchlauf durch die RSO-Berichterstattung der letzten Tage ableiten? Womöglich das: Das im Titel erwähnte empörte Kollektiv scheint vorrangig aus linken Politiker*innen und Kunstschaffenden sowie einer recht heterogenen Gruppe von Petitionsunterzeichner*innen zu bestehen. Bei Letzteren kommt in den Kommentaren sehr oft zum Vorschein, dass man um den Erhalt der Kulturnation fürchte. Und: Von direkten Regierungspolitiker*innen, erst recht von Ministerin Susanne Raab, fehlt im Diskurs nach dem Auftakt der Ereignisse jegliche Spur. Stimmen aus konservativ-bürgerlichen Kreisen scheint es in dieser Sache insgesamt nicht zu geben. Geht also tatsächlich ein Riss durch die Gesellschaft? Hier die einen, die sich für den Erhalt dieses spezialisierten Klangkörpers einsetzen und damit hohe Erwartungen an Kultur und Kunst verknüpfen, die es zu erhalten gebe, dort die anderen, denen offenbar die Wirtschaftlichkeit wichtiger ist und die die ORF-Sparpläne, wenn schon nicht verteidigen, so zumindest stillschweigend akzeptieren und womöglich innerlich gutheißen. Wer wird wohl am Ende gewinnen, wer den Kürzeren ziehen?