Wie viele bin ich fassungslos angesichts des Vormarsches der extremen Rechten. Ihre Wahlsiege, wie gut sie international vernetzt sind, wie unverhohlen sich Milliardäre hinter Proto-Faschisten stellen, lässt das Schlimmste befürchten. Was heißt das für egalitäre Kräfte? Ich weiß es nicht. Der öffentliche Diskurs ist aktuell voller Mansplaining, dürftigen Prognosen und Realitätsverweigerung. Es scheint mühselig, dem eine weitere Kurzschlussreaktion hinzuzufügen. Mir geht es um etwas anderes: Perspektiven. Dass es schlimm wird, ist klar. Verdammt schlimm. Mehr als alles andere brauchen wir daher einen klaren Kopf und Durchhaltevermögen. Deshalb hier eine Erinnerung an einen Gedanken, der gerne vergessen wird.
Emanzipation ist nicht Machtpolitik
Klar, Machtpolitik ist ein Rahmen, in dem emanzipatorische Kämpfe stattfinden. Aber sie ist nicht Ziel und Zweck egalitärer Bemühungen. Emanzipation heißt, die Bedingungen zu verändern, in denen Leben und Handeln möglich ist. Emanzipation besteht darin, das Feld zu verändern, in dem sich Staatspolitik bewegt. In den letzten Jahrzehnte war das erstaunlich erfolgreich. Egalitäre Gedanken haben es in den Mainstream geschafft. Queer-Feminismus, Anti-Rassismus und Ökologie sind von Nischenthemen zum Gegenstand von Gasthaus-Gesprächen aufgestiegen. Vor allem aber haben verstaubte Sozialformen unwiederbringlich an Relevanz verloren. Das Monopol klassischer Medien? Gebrochen. Religion als Maß aller Dinge? Für immer mehr Menschen bedeutungslos. Die wirtschaftliche Vormacht des weißen Westens? Auf dem absteigenden Ast. Migrant*innen? Sichtbar, selbstbewusst und wirtschaftlich unerlässlich.
All das sind Veränderungen, die sich nicht rückgängig lassen machen. Rechte Politik ist demgegenüber reaktionär. Gewaltsam und autoritär tut sie so, als ob sie neuen Lebensformen etwas entgegensetzen könnte. Aber die verrottenden Entwürfe, die sie beschwört, können ihren Status als alleinigen Standard nie wieder erlangen. Die politische Philosophin Judith Butler argumentiert deshalb in ihrem Buch »Who’s Afraid of Gender?« (2024), dass es sich um eine phantasmatische Politik handle: »Progressive Gesetzgebung zu widerrufen mag ein Backlash sein, aber Backlash beschreibt nur das reaktive Moment dieser Szene. Das Projekt, die Welt einer Zeit vor ›Gender‹ wiederherzustellen, verspricht die Rückkehr zu einer patriarchalen Traum-Ordnung, die vielleicht nie existiert hat, aber die Gefilde der ›Geschichte‹ oder der ›Natur‹ bewohnt.« Rechte Demagog*innen behaupten dasselbe wie ihre Ankläger*innen: Es kann wieder werden, wie es war. Wie in den goldenen 1950ern, wie in den finsteren 1930ern. Beide belügen sich selbst. Klar, es gibt keinen linearen Fortschritt. Aber es gibt auch kein Zurück.
Emanzipation ist ein Jahrhundertprojekt
Trump, Kickl & Co. sind nicht plötzlich erfolgreich. Sie stehen am (vorläufigen) Ende von rechter Politik als dem fieberhaften Versuch, mit der Umwälzung traditioneller Lebensweisen fertigzuwerden. Sie bedienen Strategien, die über Jahrzehnte vorbereitet, ausgetestet und von Medien mitgetragen wurden. Nehmen wir die von Donald Trump: Bereits Richard Nixon hatte in den 1960ern versucht, sich als Vertreter der hart arbeitenden »normalen« Massen gegen die Eliten aus dem Nordosten zu inszenieren. Auf Betreiben seines Beraters Kevin Phillips spielte er gezielt ethnische, rassistische und regionale Gegensätze aus. Nixons Kampagne von 1968 nimmt fast alle »key issues« von Trump vorweg. Aber auch Trumps scheinbar irrationaler Stil kam keineswegs aus dem Nichts.
Donald Trump hatte ein erfolgreiches europäisches Vorbild in Silvio Berlusconi. Slavoj Žižek prognostizierte schon 2009: »Italien unter der Führung von Berlusconi stellte eine Art Versuchslabor für unsere Zukunft dar. Was Berlusconi als politisches Phänomen so interessant macht, ist die Tatsache, dass er als mächtigster Politiker seines Landes zunehmend schamlos agierte: Nicht nur, daß er juristische Ermittlungen über seine kriminellen Machenschaften einfach ignorierte oder politisch neutralisierte; er unterminierte auch grundsätzlich die systematische Würde des Staatsoberhauptes. Berlusconi hat diese praktisch abgeschafft: In Italien wurde die staatliche Macht direkt vom gemeinen Bourgeois ausgeübt, der die schmutzige Wäsche seiner privaten Ehekonflikte im Stil einer vulgären Reality-Show vor Millionen von Menschen wusch.«
Politik wie Trash-TV zu betreiben, funktioniert nur, wenn Beteiligten so tun, als wäre jede Entwicklung neu und aufregend. So wird jede theatralische Geste zum noch nie dagewesenen Bruch mit bestehenden Konventionen. Donald Trump bedient diesen staatlich-medialen Komplex sehr geschickt. Einen klaren Kopf zu bewahren bedeutet, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen. Politisch handeln heißt, in Jahrzehnten zu denken. Legislaturperioden sind ein schlechtes Maß dafür, den (Miss-)Erfolg emanzipatorischer Prozesse zu beurteilen. Das Superwahljahr brachte bittere Niederlagen für die parlamentarische Linke. Doch ist es auch eine Niederlage für die Linke als solche? Wer weiß. Emanzipation besteht nicht darin, einen Gegner zu bekämpfen, sondern egalitäre Selbst- und Weltverhältnisse zu ermöglichen. Wer dafür Kriegsmetaphern verwendet, hat schon verloren – aus dem Blick verloren, worum es geht.
Emanzipation ist vielfältig
Emanzipation hat nicht nur eine Form. Suche solche, die dir entsprechen! Die dir den Mut geben, in den nächsten Jahren nicht zu resignieren. Die dir Lust machen, anderen als Gleiche zu begegnen. Musik und Kunst können ihre Rezipient*innen auffordern, anders auf die Welt zuzugehen. Wer einen guten Roman liest oder Film sieht, lässt sich auf neue Sichtweisen ein. Manche finden emanzipatorische Momente beim Sport, in der Natur oder in Beziehungen. Nicht immer ist klar, wohin das führt. Nur eines ist sicher: Wenn es um Gleichheit geht, zählt jede Perspektive. Kreative Initiativen können dich dabei unterstützen, sie zu artikulieren, z. B. die »Demokratie Schreibwerkstatt« des Untergründlich-divers-Teams in Zusammenarbeit mit dem Verein Grätzelmixer am Samstag, dem 9. November ab 15:00 Uhr an der Bloch-Bauer-Promenade 28, 1100 Wien.
Dabei ermutigen wir alle Interessierten, ihre Gedanken, Meinungen und Ideen zu Papier zu bringen. Du verdienst es, gehört zu werden! Wir wollen dich dazu bewegen, deine Gedanken zu teilen, um zu einem vielstimmigen und inklusiven Diskurs beizutragen. Wie immer gratis und niederschwellig. Ab 17:00 Uhr spreche ich dann mit Philipp Pollak, dem Herausgeber und Chefredakteur der ungarisch-slowakischen Zeitschrift »Kompromisszum«, über Pressefreiheit und den erstarkenden Autoritarismus. Den Abend lassen wir mit Getränken und Musik ausklingen. Interessiert? Dann kommt vorbei, wir freuen uns auf euch!
Link: https://www.graetzelmixer.at/event/demokratie-schreibwerkstatt-graetzelfokus/