Wenn sich der Künstler Patrik Huber eine Performance aus dem Leib reißt bzw. auf den Leib schreibt, dann kann das schon mal durch Mark und Bein gehen. So geschehen im 2005 uraufgeführten Stück »Welcome at Bonesmasheryman«. Im aktuellen Stück »Hades 2.0 – River full of bones« wird – fernab jeglicher diesseitiger Aquagymnastik – rezitierend, assoziierend und songhaft changierend ein Auf- und Abtauchen im Wasser des Grauens, im mythologischen Styx, praktiziert. skug beleuchtet im Interview Schattenseiten, zieht am dunklen Leidfaden, um den »Schleier des Unsichtbaren« des Theaters zu lüften.
skug: Dein neues Stück scheint einem wilden Assoziationsrausch entstiegen zu sein. Davon animiert, gelangt man frei assoziiert wild zu Oscar Wilde, vom dem diese sinistre Sentenz zu stammen scheint: »Was die Menschen Schatten nennen, ist nicht der Schatten des Körpers, sondern der Körper der Seele.« Welche Körper werden in deinem Stück verschattete Zwischenwelten durchwandern?
Patrik Huber: Meiner Figur geht es um Fleisch. (Zitiert aus dem Textkonvolut:) »Fleisch, auf Körper gehauen. Hemd und Krawatte. Den Hammer um den Kopf und draufgehauen.« Aber im Unterschied zum »Boneshmasheryman«, dem Knochenzertrümmerer, der den Menschen den Tod gebracht hat und aus dem eigenen Tötungsprozess nicht herauskommt, ist es nun eine mythologische Figur. Beim aktuellen Stück scheint der Protagonist den Göttern Zeus und Hades zu entfliehen, die für Leben und Tod stehen, er treibt im Zwischenfluss Styx dahin, Erkenntnisse und Zerwürfnisse tauchen dabei immer wieder auf.
Vom Schein zum Licht und wieder zurück. Der US-amerikanische Lichtdesigner Richard Kelly hat das Licht in drei Komponenten unterteilt: »Das Licht zum Sehen, das Licht zum Hinsehen und das Licht zum Ansehen.« Könnte man diese drei Komponenten auch auf die Schattenseiten deines Stückes anwenden?
Ob Sehen, Hinsehen oder Ansehen: Der Protagonist ist in den Hades hineingefallen. Aber die Unterwelt ist ja per se nichts Schlechtes. Und auch Hades, der Herr der Unterwelt, ist ja grundsätzlich kein schlechter Gott. (Es folgt ein weiteres Zitat aus dem Text:) »Längst Gewesenes täuscht von der Zukunft fern. Kein blasser Schimmer …« Das ganze Geschehen passiert ja wie in einem abstrakten Rausch … »Langes Atmen. Das Zerwürfnis entblättert sich, bleibt mir treu. Nackt drängt sich die Wahrheit als Frage auf. Mein Gebet liegt zugrunde. Langes Atmen. Mein Herz denkt. Furios inszeniert das Ende. Lange bleibt das nicht mehr so …«
Deine Assoziationen werfen lange Schatten. Und der Begriff Schatten öffnet weite Assoziationsräume. Bereits die ursprüngliche Verwendung des Wortes war semantisch weit gefasst. Der Ausdruck »scato« war seit dem 8. Jahrhundert in der althochdeutschen Sprache gebräuchlich, es bedeutete sowohl Schatten als auch Schutzmantel, Schrecken oder Widerschein. Welche Schattendefinitionen würdest du heranziehen?
Es bedingt sich, überall wo Licht ist, ist auch Schatten zu finden. Das Licht ist die Emotion und die Freude, der Schatten das Gedankliche, Abwartende. Die Gedanken sehen auch die dunklen Bereiche im Licht. Ich habe gerade folgendes Bild im Kopf: Der Schatten sitzt so da und schaut und beobachtet die lichte Emotion, die Freude.
Machen wir einen Gedankensprung durch die Jahrhunderte. In der Mitte des 18. Jahrhunderts, in der kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik, wird das Dunkle, das sanfte Zwielicht des Mystischen, das Wunderbare und Übersinnliche wieder leidenschaftlich herbeigesehnt. Wieviel Romantik steckt eigentlich in »Hades 2.0«, dessen Name ja eher nach einer Upgrade-Version einer Unterwelt-Software klingt?
Es ist nicht humorig und auch nicht romantisch. Es ist nicht klar ersichtlich, worum es in dem Stück geht. Worauf zielt dieses Dahintreiben ab? Das Stück birgt daher etwas Mystisches. Mich interessieren Stücke, die eine gewisse Mystik in sich bergen, die dir nicht die Welt erklären wollen, sondern Umschweifungen. Mich interessiert ja auch Theater, das einen Schleier des Unsichtbaren mit sich zieht. Zu »Hades 2.0«: Das wirkliche Drama ist ja dieses Dahintreiben im Styx, und nicht der Aufenthalt im Hades, in der Zwischenwelt.
In der Architekturtheorie spricht man bei der architektonischen Inszenierung von Licht und Dunkelheit auch von »narrativen Schatten«. Diese Transition wird häufig durch ein Portal umgesetzt. Wer durch das Portal zur Gartenanlage der kaiserlichen Katsura-Villa in Kyoto schreitet, wird der Legende nach vom Schatten gewaschen. Wird das Publikum von »Hades 2.0« auch mögliche psychische Reinigungseffekte spüren können?
Mir gefällt das Poetische an dem dahingleitenden Stück. Diese vermeintlich schöne Sprache ist aber nicht leicht zu durchblicken. Da gibt es nichts klar Deutbares. Ich versuche dramaturgisch, mit der Dynamik eines Rezitativs einen Sog zu entwickeln.
Die Geschichte der bildenden und darstellenden Künste, wie auch der Literatur und der Musik, wären ohne das Stilmittel und das Motiv des Schattens nicht sehr ansehnlich. Aus welchen künstlerischen Quellen speist sich der »River full of bones«?
Aus der Verliebtheit ins Dahindriften.