© Bodensatz
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Punk nach dem Stromausfall

Mit 17 Veröffentlichungen in fünf Jahren gehört das Münchner Bodensatz-Label zwar nicht zu den Ultraworkaholics, dafür transformieren sie aber auch nicht die eigenen DIY-Attitude in neuökonomisch/jungunternehmerisches Ich-AGlertum. Ein Text aus skug #66, 2006.

Bodensatz ist anders: »Bei uns ist jede Einzelperson ihre eigene Szene. Bei uns macht auch jeder andauernd eine Szene wegen irgendwelchen Lappalien.« (Benno Zehetmair/Bodensatz) Ein Videotheken-Theken- und EMail-Ferntalk über CDs, Bücher, Videos und Soli-Feste mit Chris Nothaft, Harry ****** und Benno Zehetmair.

Begibt man sich mit mehreren Bodensatz-Leuten in einen auch nur losen Gedankenaustausch, wird schnell klar, dass hier sehr individuelle Schädel am Werkeln sind, die dennoch auch als Kollektivhirn »Bodensatz« bestens funktionieren. Um Big Business geht es dabei sowieso nicht. Denn das sich selber als »Trashlustigkeit« beschreibende und dabei zwischen »den Bereichen Experimental-Elektronik, Midi-Karaoke, Trash, Punk, Sülze, Ukulelen-Gitarren-Pop und Hardcore« verortende Münchner Label lebt vor allem von der eigenen Begeisterung für jede noch neu zu entdeckende wie jede schon länger bei Bodensatz tätige Band. Logischerweise wird dabei vieles privat bzw. aus gemeinsamen Geldtöpfen (Festival-/Party-Einnahmen) finanziert oder von Freunden oder der Familie geliehen. Wobei auch ein in neoliberalen Pop-Republiken scheinbar angestaubter Begriff wie »Solidarität« hier seine praktische Rehabilitierung erfährt.

Rage Against Abschiebung

Auch wenn sie selber Zuschreibungen wie »politisch« gerne sofort vom Tisch wischen (auch weil das eben wieder so ein »Eck« wäre), sind Sampler wie »Heinz K. aus H.« (vgl. skug #64 und mittlerweile ein echter Hit) oder das demnächst erscheinende Hörspiel »LH-588«, neben Mitwirkungen bei Rage Against Abschiebung auch keine Peanuts. Dazu Benno: »Rage Against Abschiebung ist kein Bodensatz-Projekt. Die Gewinne kommen dem Bayerischen Flüchtlingsrat zugute, wo Bodensatz-Gründer Matthias Weinzierl einer der Geschäftsführer ist. 

Aber Rage gab es schon, bevor er dort gearbeitet hat. ›LH588‹ ist dem Sudanesen Ameer Agib gewidmet, der im Lufthansa-Flieger LH588 dank deutscher Brutalo-Polizei und deren Ruhigstellungsmethoden erstickt ist (was in Österreich an den Fall Omofuma erinnert, Anm.). Das Projekt ist tatsächlich aus der konkreten Asylarbeit in der mittlerweile mehr oder weniger aufgelösten Münchener Asylinitiative Deportation Class entstanden.«

Freundeskreis/Bauchladen

Woran einen das ganze Unternehmen Bodensatz sofort erinnert, ist – neben dem »Ideal« eines sich gerne selbstausbeutenden Freundeskreises – ein gut bestückter Bauchladen. Geht es hier doch weniger darum, zwischen verschiedenen, sondern auf ebensolchen Stühlen zu sitzen (auch wenn diese manchmal wackeln). An eine Art »Qualitätskontrolle« sei dabei gar nicht zu denken. Benno: »Wir hauen immer noch alles raus, was uns gefällt. Der Bodensatz wächst eher wie ein Tumor oder Pilz, ziemlich unberechenbar.« Und wenn erweitert wird (etwa um Acts wie Kamerakino oder Umaradum), dann »durchaus nicht wahllos«, so Chris. Weil »verzetteln kann sich nur, wer ein Ziel hat.«

So zeigen gerade die CDs von Chris Nothaft, die von ersten DIY-Werkschauen zwischen Electro-Billy, Metal-Freakout und Akustik-Blues über Glam mit SST kreuzendem Kompliziert-Metal, ohne dabei Metal sein zu wollen (KubeNothaft) reichen, eine Entwicklung auf, die in Form von Gummo (siehe auch Reviews) einen unglaublichen, jenseits jeglichen Spinner/Nerdtums angesiedelten Höhepunkt einer Art von Musik gefunden hat, die wir so eigentlich nur von Bands wie Flying Luttenbachers, Ween oder Bobby Conn her kennen.

Isaac Newton in der Bayern-Disko

Dass es daneben dann aber auch noch Bands gibt, die einen im Guten an die Möglichkeiten bayerischer Abwandlungen der Russendisko-Plage denken lassen, erfreut dabei nur umso mehr. Warum nicht auch mal lachen? Zwischen Privat-TV-Comedy und Fanny Van Dannen muss es ja noch Platz geben. Etwa für Acts wie die Wolf Biermann Explosion, Ähnliche Künstler oder AutoZynik, Raps über Isaac Newton oder Lieder zum Thema Hausstaubmilben. Was dann auch (speziell beim Sampler »Hirn No.1«) nicht selten an Punk nach dem Stromausfall bzw. ein Treffen der Muppet-Show mit FDJ-Dissidentengruppen erinnert (aber auch an die längst verblichenen Düsseldorfer NdW-Heroen O.R.A.V.s). Sounds für die »Amöbe Mensch«. Auch jenseits von Musik. Harry: »Es gibt ja auch die Bodensatz-Theatergruppe Stütze der Gesellschaft. Warum sich selbst einschränken? Wenn du kein Instrument halten kannst, bist du vielleicht ein guter Schauspieler.«

Womit wir nun eigentlich bei den Videos und Kurzfilmen gelandet wären, die mit zum Besten bei diversen Bodensatz-Festen gehören. Wovon bisher aber nur ein paar auch als Labelveröffentlichungen gelten. Etwa »heinz weiss (naredmaned)« zu Heinz K. oder das Highlight »Corona Hoch«, wo man Burschenschaftler beim rituellen Gruppenwixen in Bierkrüge sieht – wer als letzter abspritzt, bekommt das gesamte deutsch-nationale Sperma seiner Volksgenossen vorgesetzt und muss es trinken. Daneben gibt es Comics (»Mafiosi« von Bodensatz-Gründer Matthias Weinzierl) oder den unglaublichen Kunstkatalog »Stätten der Welt« von Holger Dosch mit Fotos der Toiletten der berühmtesten Stätten der Welt (u. a. Riesenrad, Neuschwanstein, Stonehenge, Taj Mahal, Mount Everest, White House).

Felix Austria?

Und dann gibt es noch eine auffällige Affinität zu Österreich. So lesen wir auf der Bodensatz-Website: »Bodensatz im Rhiz (FM Zombiemaus live, Kreisky live, DJ Koarr): rhiz, besoffen, wir sind in wien, sturzbesoffen und haben sage und schreibe eine cd verkauft! wahnsinn gelle.« Was aber erst seit dem »Heinz K. aus H.«-Sampler so sei. Dafür sind mit Karl Kilian, FM Zombiemaus, Bulbul, Dietmar Offenhuber, Hans Platzgumer und Austrofred (der sein erstes Konzert in München auf einem Bodensatz-Fest hatte) durchaus klingende Namen dabei. Zudem sei es ebenso unfassbar wie beeindruckend, »dass es trotz einer so katastrophal schrecklichen Regierung möglich ist, große Summen an Kulturfördergeldern an Land zu ziehen. So etwas wäre in der bayerischen Ficki-Micki-Metropole München gar nicht möglich.« Andererseits, so ekelhaft wie in Wien, »wo alle sich von widerlichen FPÖ-Plakaten beleidigen lassen müssen,« ist es dann doch nicht.

More Info: http://www.bodensatz.de 

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