Goldene Figuren sind vorne auf der mächtigen Brooklyn Public Library drauf. Der Central Library, denn es gibt allein in Brooklyn sechzig Bücherei-Filialen. Eine Terrasse führt auf mehreren Ebenen zum majestätischen Eingang mit den schweren Holztüren hinauf. Sonnig und windig ist es an diesem New Yorker Herbsttag. Afroamerikanische Mädchen hüpfen über die Springbrunnen seitlich der Terrasse, ihre hellblauen Schulkleider flattern. Die Lehrerin filmt sie mit dem Handy, während die Girls euphorisch Arm in Arm zu dritt oder viert in die Luft springen. Das 1941 in einer Variante des Art Deco errichtete Gebäude soll ein offenes Buch darstellen, mit Buchrücken und den beiden Gebäudeflügeln als Buchteilen. Ein Flügel zieht sich zur Flatbush Avenue hin, der andere Richtung Botanischer Garten. Die 15 Skulpturen stellen amerikanische Autor*innen dar.
In der riesigen Eingangshalle mit Holztäfelung gibt es das Café Emma’s Torch, in dem augenscheinlich einige Obdachlose sitzen. Eine »homeless person« zieht sich gerade die rote Jacke aus und ein elegantes graues Hemd an, alle Stühle rund um ihren Tisch sind mit Kleidung belegt. Großformatige Kinderbücher in niedrigen Regalen, ein Schild »Bitte zu beachten, dies ist die bevorzugte Area von Jugendlichen«. Mütter mit Kinderwägen. Die vornehme Dame am Eingang, der ältere Herr unter dem Schild »Returns«, die zwei jungen Männer bei der Information – alles Afroamerikaner*innen. Auch der Rollstuhlfahrer, der mit einem Haufen Bücher auf dem Schoß herumkurvt. Der einzige Weiße in der Central Library schenkt Kaffee aus. Sie hätten wirklich viele Obdachlose in New York und er kenne keine einzige Obdachlosenzeitung für sie, sagt der ältere Herr mit Brille. Kurzes Nachdenken. »You could come over here and do one!«, strahlt er. Es gäbe sicher genug Schreibende aller Generationen in dieser schönen Bücherei, genug Platz für Workshops und Obdachlose, die Geld brauchen. Der freundliche Herr würde sicher gerne den Vertrieb übernehmen.
Blessed are the sissies
Vier Kapuzenjungs, die in designten Ei-Sesseln aus Plastikschnüren herumlungern, in Embryohaltung in ihr Handy vertieft. Durch die gläserne Fassade des Brooklyn Museums, des zweitgrößten Kunstmuseums New Yorks, sieht man die typischen Backsteinhochhäuser aus den 1920er-Jahren. In der Eingangshalle steht ein riesiges Waschbecken, aus dem braunes Wasser läuft. Hinter dem weitläufigen Prospect Park, der von einer privaten Initiative betrieben wird, befinden sich in dem Beaux-Art-Gebäude aus 1823 komplett unterschiedliche Kunstsammlungen: Im Erdgeschoß Papierarbeiten von Kandinsky oder Toulouse-Lautrec. Oder Paul Klees »The Saint of the Inner Light« (1921) – die Augen geschlossen, denn der Heilige schaut auf die innere Realität, nicht die äußere.
Mit dem Lift hinauf in die feministische Abteilung im vierten Stock steht Audre Lordes Ausspruch »Revolution is not a one-time event« an der Wand. Ein Bild in Glitzer, dabei steht: »I’d rather be beautiful than male«. Ein Film zeigt die Polizeigewalt 1969 zum »Stonewall Inn«. »Blessed are the sissies. Blessed are the gender illusionists«, beginnt eine lange Liste mit Blessings. »Art 50 Years after Stonewall« heißt die Ausstellung. »The works are anti-assimilationist in approach«, steht in der Erklärung. Im Zentrum der Ausstellung umkreisen Besucherinnen staunend die gewaltige Festtafel von Judy Chicago, mit den Keramiktellern und den Widmungen an 39 große Feministinnen. Ein Teller mit Keramikblüte ist zum Beispiel Georgia O’Keeffe gewidmet, ein dreieckiger mit Goldschrift Virginia Woolf. »The Dinner Party« nennt sich die Installation. Judy Chicago war eine Ikone der feministischen Kunst der 1970er-Jahre.
Jamie Lee Wounded Arrow
In einem Extrazimmer der Feminismus-Abteilung wird der 27 Trans-Personen gedacht, die allein im Jahre 2016 in New York ermordet wurden. »I am a black Trans Femme«, schreibt eine, »I often wonder, when is my body my own.« Die Namen der zwölf getöteten Transgender Women of Color werden angegeben: Jamie Lee Wounded Arrow hieß eine. Nicht wenige arbeiteten als Prostituierte. Ein Täter mordete nach eigenen Angaben, weil seine »pride at stake« gewesen sei und seine Freunde ihn auslachten. Es gibt einen Konflikt mit dem Begehren, steht in einer Erklärung der Morde, die Mörder schämen sich, weil sie Trans-Personen begehren, wenn ihnen ein Transgender-Körper Lust verschaffte. Der Poet Plaudia Rankini schreibt über die zusätzliche Polizeigewalt gegen Trans-Personen: »Because white men cannot police their imagination, black people are dying.« »Some of us live and thrive because we are desired; none of us should die because of that«, stand in der »New York Times« in einem Essay über Transgender. Sehr traurig, diese Sammlung an Aussagen, dieser Gedenkraum, aber wie mutig von einem Museum, so nah an zeitgenössischen Ereignissen zu bleiben. Fazit: »This is an emergency. And we must do something about it.«
Die Holzstiege hinunter liegen eine Etage unter dem Feminismus unerwartet echte ägyptische Mumien in Glaskästen. 4.000 Jahre alt. Die präsentierten Schriftrollen mit den Ausschnitten aus dem Buch der Toten klingen aber irgendwie ähnlich wie oben. »I am a swallow. I am a scorpion, the daughter of Re. How sweet are your odors. The flame that comes forth.« Neue Forschungen durch feministische Archäologinnen haben ergeben, dass eine Frau in »ancient Egypt« erst in einen Mann »verwandelt« werden musste, um wiedergeboren zu werden. Deswegen zeigten manche Mumien eine rote Gesichtsfarbe, diese wären die als Männer verkleideten Frauen. Im Café an der Rückseite des Brooklyn Museums kann man dann einen Plastiksalat essen, Besucher*innen beobachten, die im Garten auf antiken Säulen sitzend in der Sonne Bücher lesen, das Plastikgeschirr in einen Plastikkübel schmeißen und anschließend durch den Prospect Park, den Central Park von Brooklyn, wandern.
Links:
https://www.brooklynmuseum.org/
https://www.bklynlibrary.org/locations/central