Free-Jazz, Avantgarde, Freie Improvisation … Für Begriffe und Zuschreibungen hatte Peter Brötzmann – eine Quelle der Inspiration auch für skug, siehe Interview mit David Krispel für die Titelstory der Printausgabe #88, 2011 – nicht besonders viel übrig. Warum auch. Doch klar ist, dass sein Antrieb ganz tief aus dem Blues kam. Er spielte zugleich mit und gegen den Blues. Und sehr früh fand er seine ganz eigene Sprache, diesen seinen Blues auszudrücken und gegen ihn anzuspielen, indem er einfach mit Vollgas und maximaler Energie und ohne Einschränkungen alles rausließ. Am Saxofon oder mit der Klarinette. Aggressiv und voller Gefühl. Er selbst war eigentlich ausgebildeter Maler und Grafiker (und hat einen Großteil des Artworks selbst gestaltet), seinen unverwechselbaren Sound entwickelte er der Legende nach im Heimatort Wuppertal in einem alten Weltkriegsbunker.
Radikalisierung des Jazz
Wie selbstbewusst und eigensinnig er bereits in frühen Jahren seine radikalen Vorstellungen vertrat, zeigt ein Video, das 1967 vom WDR aufgenommen wurde und eine Art Duell zwischen dem biederen Klaus Doldinger auf der einen und Peter Brötzmann mit Peter Kowald und Aldo Romano auf der anderen Seite darstellt. So unangenehm, so spannend. Die Bilder sprechen für sich, aber auch für Brötzmann und gegen ein verstaubtes, eingebildetes, nachkriegsdeutsches Establishment, das nicht fähig und willens war, outside the box zu denken und zu sehen, was für ein Gigant da vor ihnen spielt. Brötzmann ließ die teils »vernichtende« Kritik vor laufender Kamera augenscheinlich kalt.
Man nahm schließlich alles selbst in die Hand. Gemeinsam mit Jost Gebers, Peter Kowald, und Alexander von Schlippenbach gründete Peter Brötzmann 1969 die Free Music Production, kurz FMP, mit der man sich unabhängig um Produktion und Vermarktung kümmern konnte und eine freie Entfaltung der Kreativität ermöglichte. Schnell entstand aus der FMP ein einflussreiches Kollektiv, das über Deutschland und Europa hinaus wie ein Magnet für die krassesten und innovativsten Musikpersönlichkeiten fungierte. Ein Blick in den Katalog zeigt das sehr eindrucksvoll.
Energetisches Zusammenspiel
Brötzmanns über die Jahrzehnte eingegangene Kollaborationen sind in ihrer Vielzahl erstaunlich, in ihrer Verschiedenheit aber einmalig. So expressiv und laut und stark seine eigene Stimme war, so wichtig war ihm doch auch immer das Zusammenspiel mit anderen Künstler*innen, die Inspiration und das gemeinsame Schaffen einer ganz individuellen Energie. Seine vielen in ihrer Ausrichtung zum Teil stark divergierenden Projekte sind zugleich Ausdruck seiner Begeisterung und Neugierde wie auch seiner Fähigkeit, sich in alle möglichen Konstellationen hineinzufühlen. Ob im Chicago Tentet/Octet, im Trio mit Full Blast, im Quartett mit Ronald Shannon Jackson, Sonny Sharrock und Bill Laswell als Last Exit, im eher sanften Duo mit Heather Leigh oder mit dem Nicht-von-dieser-Welt-Musiker Keiji Haino. Bis zum Ende blieb Brötzmann unermüdlich. Zuletzt erschien auf Trost seine Kollaboration mit Oxbow, einer Live-Aufnahme vom Moers-Festival.
In seinen späteren Jahren bekam Peter Brötzmann dann auch die Anerkennung derer, die am Anfang seiner Karriere seiner Art zu spielen noch so skeptisch bis ablehnend entgegenstanden. Diverse Preise wurden überreicht. Aber das ließ ihn vermutlich ebenfalls kalt. Bis zum Ende blieb er sich und seiner beneidenswerten No-Bullshit-Philosophie treu. »All good and nothing to complain«, ließ er ausrichten, kurz nachdem er von einer Reise nach Warschau und London in seine Heimat zurückkehrte, infolge derer er einen Zusammenbruch erlitt, der eine Re-Animation erforderte. Kurz darauf starb er.