»Wer weiß, ob wir nicht lange, lang schon sterben? / Der Wolkenball mit uns strebt immer höher. / Die dünne Luft lähmt heute schon die Hände, / und wenn die Stimme bricht und unser Atem steht …? / Bleibt die Verwunschenheit für letzte Augenblicke?« (Ingeborg Bachmann, »Menschenlos«)
Wie können wir Abschied voneinander nehmen? Und besonders dann, wenn wir gerade erst dabei sind, Anfänge zu verstehen? Uberto Pasolinis Film »Nowhere Special« geht diesen Fragen gekonnt auf den Grund, ohne dabei pathetisch oder dramatisch zu sein, und lässt einen trotzdem verstehen, welches Gewicht die eigene Endlichkeit plötzlich im Hinblick auf das Sich-verabschieden-Müssen von ebendieser bekommt.
Die Verwunschenheit letzter Augenblicke
Aufgerollt wird diese Thematik von Uberto Pasolini (der im Übrigen nur den Nachnamen mit Pier Paolo Pasolini teilt) in der Vater-Sohn-Beziehung zwischen Fensterputzer John (James Norton) und seinem vierjährigen Sohn Michael (Daniel Lamont), die in einer kleinen nordirischen Stadt in ihrer Zweisamkeit und in kleinsten Verhältnissen, ergo »nowhere special«, die Zeit miteinander verleben. Sei es der Weg zum Kindergarten oder das gemeinsame Einkaufen: Pasolini bemüht sich in erster Linie einmal, das Besondere menschlicher Beziehung in jenen kleinen Momenten des Alltags und den damit verbundenen »trivialen« Gesten von Liebe einzufangen.
Erst in zweiter Linie wird das Narrativ der beiden Protagonisten langsam verflochten mit den sozialen und lebensweltlichen Umständen, mit denen John konfrontiert ist. Von Anfang an spielt dabei das Sujet des Abschiednehmens eine zentrale Rolle und wird konterkariert mit dem kindlichen Staunen des kleinen Michael, der die Welt ja gerade erst in ihren Anfängen zu verstehen beginnt. Sei es die abwesende Mutter, die aus Heimweh in ihre russische Heimat zurückgeflohen ist und als Leerstelle zu Gesprächen über das Verlassenwerden verleitet. Oder die Sozialarbeiterin, die John dabei helfen will, Adoptiveltern für seinen Sohn zu finden, und dabei John und Michaels Besuche zu immer neuen potenziellen Eltern begleitet, die aber ebenso von der Unsicherheit der Entscheidung über den einen endgültigen Abschied begleitet sind: Immer steht John in der Spannung eines Nicht-akzeptieren-Wollens und eines Bald-akzeptieren-Müssens. Es wird nämlich schnell und im weiteren Verlauf des Streifens in exponentieller Geschwindigkeit klar, dass John mit einer Krebsdiagnose kämpft, die ihn schleichend und doch sichtlich körperlich zugrunde richtet.
»When Dinosaurs Die«
Das Drehbuch zu John und Michaels Geschichte ist dabei einer kleinen Meldung aus der »Daily Mail« entsprungen, die von einem krebserkrankten und alleinerziehenden Vater handelte, der die letzten Monate seines Lebens der Aufgabe verpflichtete, eine Adoptivfamilie für seinen bald halbwaisen Sohn zu finden. Es ist unter anderem auch diesem auf wahren Begebenheiten basierenden Narrativ geschuldet, dass der Film niemals abrutscht und sich in irgendeinem Pathos des letzten Abschieds verliert. Ganz im Gegenteil schafft es Pasolini gerade durch die Darstellung der unermüdlichen Besuche bei möglichen Familien, auch irgendwo interessante Einblicke in britische Familienkonstellationen zu geben, die durch ihren humorvollen Touch dem Streifen fast Aspekte einer Sozialkomödie geben.
Gleichzeitig bleiben die Beziehungsmomente zwischen Vater und Sohn und vor allem die sichtbare Harmonie der beiden Schauspieler der Kern der Story, die einem, begleitet durch die behutsam langsame Dramaturgie, unter Umständen auch Tränen in die Augen steigen lässt. Vor allem, wenn John selbst die Akzeptanz über sein Ende erwirbt, beziehungsweise erkennt, dass nur er für dessen Verständnis im Hinblick auf seinen Sohn verantwortlich ist. So geschehen, wenn er etwa ein Buch mit dem Titel »When Dinosaurs Die« vorliest, das versucht, Michael die Thematik des Todes greifbar zu machen.
Letztendlich ist die Entscheidung für Michaels Zukunft der letzte Abschied und verleitet so auch nach Ende des knapp 90-minütigen Films über die Praxis des Abschiednehmens in all seinen Facetten nachzudenken und sie vielleicht nicht nur im Angesicht des Todes zu begreifen.
Österreichischer Kinostart ist der 11. Februar 2022.