Am 14. Jänner dieses Jahres feierte Nguyên Lê, der in Paris geborene Gitarrist mit vietnamesischen Wurzeln, seinen 60. Geburtstag. Etwa einen Monat später, genauer gesagt am 22. Februar, erscheint bei ACT seine neue CD mit dem Titel »Streams«. Dieses Album setzt die einzige deutlich erkennbare Konstante in Nguyêns Karriere fort: die Veränderung. »Jedes Album, das ich mache, ist so ziemlich das Gegenteil von dem davor, mit seiner eigenen Geschichte«, sagt er über seine eigenen Werke.
Ganz grob ist »Streams« dem Fusion-Genre zuzuordnen. Allerdings geht es weniger um die Fusion von Jazz mit Rock, sondern vielmehr um die Fusion von Jazz mit musikalischen Elementen aus aller Welt. Tatsächlich treten die Rock-Einflüsse nur gelegentlich in Form von verzerrten Gitarrenriffs in den Vordergrund. Viel öfter hingegen wechselt Vibraphonist Illya Amar an die Marimba und bringt damit westafrikanische Einflüsse ein, die durch die Ergänzung von Percussion-Elementen seitens Drummer John Hadfield noch verstärkt werden. Sieben der neun Kompositionen stammen aus Nguyêns Feder, eine von Hadfield und eine von Bassist Chris Jennings. Sie alle vereint ein Sinn für einprägsame Melodieläufe, konterkariert durch sphärische Flächen, die Nguyêns Gitarre häufig hinter sich herzieht. Allgemein ist der Raum, der den Aufnahmen im Produktionsprozess gegeben wurde, ein wichtiger Aspekt, der zum Funktionieren der Stücke beiträgt. »Sawira« ist hierfür ein Paradebeispiel: Über den stoischen, aber unaufdringlichen Achtelpuls der Marimba entfaltet sich ein vertracktes, spannendes Thema, das in ein meisterhaftes Vibraphon-Solo mündet. Hier drängt sich durch die Synthesizer-artigen Flächen im Hintergrund in Verbindung mit den Vibes der Vergleich zu den späteren Werken von Steps Ahead auf, der im Laufe der CD immer wieder auftaucht.
Der Albumtitel »Streams« kann durchaus sinnbildlich für den natürlichen Fluss innerhalb dieser Platte verstanden werden. Keines der Stücke wirkt jemals richtungslos, eckig oder unpassend. Obwohl im Laufe des Albums, teilweise sogar im Verlauf eines einzigen Stückes, viele verschiedene Klangfarben zum Einsatz kommen, ist »Streams« eine in sich geschlossene Einheit, die mit ihrer Vielschichtigkeit beeindruckt. Wollte man ein Stück auswählen, das das Album in dieser Hinsicht am besten repräsentiert, wäre die Chris-Jennings-Komposition »6H55« keine schlechte Wahl. Beginnend mit einem Gitarrenakkord, der sich auf die volle panoramische Breite ausweitet und einen förmlich in das Stück hineinzieht, wird man anschließend durch eine Melodie geführt, aus der man die vietnamesischen Wurzeln des Bandleaders herauszuhören glaubt. Das erste Solo dieser vom Bassisten stammenden Komposition kommt von ebendiesem und der Oktaver-Effekt, den er nach einigen Takten über seinen Bass legt, führt flüssig und schlüssig ein rasantes Nguyên-Solo. Auch hier wird wieder das rasende Tempo der Gitarrenläufe durch die flächige, reduzierte Vibraphon-Begleitung kontrastiert. Dann ein rasanter Unisono-Lauf von Vibes und Gitarre, der fast ein wenig an Return to Forever erinnern mag und schließlich in einem aus dem ersten Thema bereits bekannten Riff endet. Klingt nach einer spannenden Reise? Ist es auch, und steht somit stellvertretend für den gesamten Verlauf eines mächtigen »Streams«, den diese CD verkörpert. Bei »Streams« handelt es sich um eine der fokussiertesten und bestimmtesten Produktionen, die seit einiger Zeit aus dem Hause ACT kommen, und sie verleitet immer wieder aufs Neue zum Tauchen und Erkunden in zuvor unerforschten Tiefen.
Live erleben kann man das Nguyên Lê Quartet außerdem am 10. März 2018, 20:30 Uhr im Porgy & Bess: http://porgy.at/events/9057/