skug trifft auf Kreisky und wir bemühen uns, alle entscheidenden Fragen einmal anzuschneiden: Warum »Indie-Scheitern« als Loser-Chic out ist, wie man ein erfolgreicher Schokoladenunternehmer wird und weshalb bewusst gemachte Teeniedramen auch für Mittvierziger wichtig sind. Dies ist zunächst der erste Teil des Interviews, in dem der Titel noch keinen rechten Sinn ergeben will.
skug: Die Platte ist übrigens gut geworden. War ja nicht anders zu erwarten.
Franz Adrian Wenzl (lacht): Ja, ich glaube, wir sind auch ganz zufrieden. Man weiß ja nie so ganz, wie es dann wirkt. Die Kriterien, die man selbst ansetzt, können ja schon wieder völlig überholt sein.
Das Cover mit dem Lucio-Fontana-Zitat ist auch recht schön geworden.
FAW: Wir haben’s ja gar nicht so gern, wenn etwas so deutlich erkannt wird. Durchaus soll ein Wissen über gewisse Signale vorausgesetzt werden, aber eine pure Kopie wollten wir natürlich nicht machen.
Hinter den Messerschlitzen der Leinwand blitzen die Augen der Bandmitglieder hervor. Sehr effektvoll. Bei Fontana hat man nur das Nichts gesehen. Aber das waren die existenzialistischen 1960er-Jahre.
FAW: (lacht) Bei uns sieht man auch das Nichts. Zumindest sieht man nicht wahnsinnig viel. Lasche, österreichische Burschen, die ein bisschen Musik machen.
Beginnen wir mit einer deskriptiven Frage, die vermutlich schwer zu beantworten ist. Wolfgang Bauer hat einmal gesagt, er habe immer über jene Leute geschrieben, die so waren, wie er unbedingt nicht sein wollte. Gilt das für Kreisky auch?
FAW: Jein. Ich schreib über Leute, die ich nicht sein möchte, die ich aber in mir schlummern fühle. Ich suche Charaktereigenschaften oder Gedanken, die ich in mir finde, die ich eher nicht ausbauen möchte. Es geht auf jeden Fall aber nicht um andere Leute, sondern eher um Aspekte, von denen ich denke, dass die meisten Menschen sie teilen. Wenn es bei Kreisky um unangenehme Figuren geht – das kommt oft vor, wenn auch nicht immer – dann beinhalten die überspitzte Teilaspekte der eigenen Persönlichkeit, sonst wäre es ja auch emotional nicht nachvollziehbar.
Kreisky erscheint hier oft doppeldeutig. Ihr prangert Dinge an und gleichzeitig spielt ihr Charaktere, die nicht sehr sympathisch sind.
Helmuth Brossmann (lacht): Sehr selten sind die sympathisch.
In dem Song der neuen Platte »Oh nein, die verlieben sich«, da spricht ja eigentlich ein Stalker, der zu einer Frau, die ihn zurückweist, sagt: »Aus dir spricht der Alkohol«.
HB: Das kenne ich aus meinem Teenager-Ich.
FAW: Ich kenne nichts anderes aus meinem Teenager-Ich. Klar, diese Figur ist nicht nett. Aber aus dieser Emotion des Enttäuschten versuche ich eine kleine, persönliche Geschichte zu machen, die dann auch wieder auf etwas Größeres umgelegt werden kann. Dadurch entsteht dann gefühlsmäßige Identifikation. Das haut bei dem Song ganz gut hin.
Das Verlassen und Verlassen-werden ist so ein typisches Indie-Thema, das auf der neuen Platte auch wieder seinen Auftritt hat. Man bekommt nicht den Eindruck, es würden hier rein erfundene, kosmische Spekulationen miteinander verwoben werden, sondern es wird eher »aus den eigenen Defiziten Kapital geschlagen«, wie das Frank Spilker von den Sternen einmal nannte.
FAW: Das hat er über Die Sterne gesagt? Mhm, ja, die Herangehensweisen sind hier ähnlich. Ganz klar.
HB: Auch was die Musik betrifft.
FAW: Man muss aus irgendetwas schöpfen. Sonst besteht die Gefahr, man blickt durch eine Scheibe, die kein dreidimensionales Bild ermöglicht. Das mit dem Verlassen, ja, vielleicht ist das ein Indie-Thema, weil es dann diesen Loser-Chic gibt. Es gibt da diesen durchaus reizvollen, aber auch schon unangenehm überholten Chic des Scheiterns. Eigentlich will ich das gar nicht mehr so viel haben.
Klaus Mitter: Jaja, nach dem ganzen »Scheitern als Chance« und »aus Fehlern lernt man« …
FAW: … das ist ja richtig. Das ist wieder was anderes. Ich meine die Schönheit des Scheiterns und das als eigentlicher Weg, das hat zwar Grandezza, die ich zwar verstehe, die auch einen gewissen Sinn hat, gerade wenn man sie gegen ein – plakativ gesagt – neoliberales Denken stellt. Aber als Chic kommt es mir überholt vor.
KM: Ja und ich erkenne gerade das Neoliberale darin, dass viele das wie eine Monstranz vor sich hertragen und sagen: »Wir können ja auch scheitern!« Sie sagen dann »Hu, wir sind so edgy, wir können da jetzt runterfallen und scheitern, aber wir haben das schon im Hinterkopf und haben das nächste Kapitel bereits vorausgedacht.« Das ist so stark von der Wirtschaft aufgesogen worden, dass man das alte Projekt freimütig als gescheitert hinstellt und damit sagt, das neue ist jetzt aber viel besser. Das ist eine Plattitüde, zu sagen, ich werde durch mein Scheitern besser. Das muss überhaupt nicht wahr sein.
FAW: Ja stimmt, nur ich glaube, wir reden von zwei komplett verschiedenen Dingen. In der Wirtschaft hat man zum Beispiel den Zotter, der ist in Graz mit seiner Konditoreikette viel zu schnell gewachsen und das war zu wenig durchdacht … kommen wir jetzt eigentlich vom Thema ab?
Nein, nein, das ist sehr interessant. Klären wir zunächst die Geschichte des Schokofabrikanten …
FAW: Genau, dann hat er das mit der Schokolade aufgebaut und hatte aus seinen Fehlern gelernt. Da mag etwas Wahres dran sein. Man soll Menschen wieder eine Chance geben. Wenn bei einer Band mal eine schlechte Platte rauskommt, ist das nicht so schlimm, es kommt schon wieder eine bessere. Natürlich wird diese Aussage durch die Wiederholung zur Plattitüde, klar, aber das Scheitern, das ich zuerst gemeint habe, ist dieses »Indie-Scheitern«, dieser Chic des Nix-Wollens. Das kommt mir als Attitüde überholt vor. Mag schon sein, dass das Verlassenwerden so ein Indie-Thema schlechthin ist, mich interessiert mehr so diese Treulosigkeit oder das Gefühl der Treulosigkeit in den Songs der Platte, wo Situationen des Verlassenwerdens vorkommen. Bei drei Liedern der Platte würde ich sagen, dass es das Thema ist. Also dass man sich an wen gehängt hat, der das dann einfach nicht bietet. Manchmal sogar bei Pferden (lacht).
KM: Da wird man manchmal sogar von einem Tier verlassen. Im Indie ist das Verlassen einfach deswegen ein starkes Thema, weil die Indie-Artists einfach Mitt- oder Endzwanziger sind und in dem Alter verlässt man oder wird man einfach oft verlassen.
FAW: Völlig legitim und besser als gleich mit der griechischen Mythologie aufzufahren.
KM (lacht): Das macht man dann ab Vierzig. Die Indie-Musiker werden ja logischerweise auch älter.
Die, die drüber schreiben, übrigens auch. Wie muss das wohl für Tocotronic sein, wenn man mit knapp Fünfzig singt »Heute morgen, als ich aus der Schule kam«?
HB (lacht): War ja, als es geschrieben wurde, auch schon retrospektiv.
FAW: Außerdem macht das nichts. Wir machen auch immer ein oder zwei Teenie-Songs – auf der neuen Platte gibt es leider keinen. Aber sonst machen wir das, weil das so ein pop-mythologischer Fixpunkt ist. Wir definieren uns ja grundsätzlich als Männerband oder zumindest als Erwachsenenband und wenn wir mit erwachsenen Themen arbeiten, dann finde ich es trotzdem immer ganz gut, wenn man ganz bewusst so ein bissl Teenagerdramen bearbeitet.
KM: Die eigentlichen Teenie-Songs schreiben wir noch, dann, wenn unsere eigenen Kinder in dem Alter sind.
FAW: Der Song »Saalbach-Hinterglemm« kommt zumindest teilweise thematisch dahin. Der Erinnerungsraum, in dem er spielt, ist der eines Jugendlichen.
Seltsamerweise fällt mir jetzt The Who ein. Die haben in Songs und Äußerungen diese Diskrepanz thematisiert, dass sie Teil einer Jugendkultur sind, dass sie aber damit reich geworden sind.
FAW: Ah ja. Das ist ein Grundproblem in vielen Kunstarten. Von Woody Allen gibt es ein sehr langes Interview, in dem er sich der Frage stellt, was macht ein Komiker, wenn er berühmt ist? Er ist vorher quasi auf der anderen Seite, als Underdog macht er sich lustig über die Mächtigen und wenn er erfolgreich ist, dann sitzt er plötzlich bei Staatsoberhäuptern mit am Tisch. Mit Sarkozy beim Tee – gut das war recht spät, aber trotzdem stellt sich die Frage, wo geht man dann noch hin. Das ist allerdings unser Problem noch nicht. Wir haben uns von unserem Publikum rein altersmäßig entfernt, aber soziologisch kaum.
Den Erfolg bloß nicht übertreiben.
FAW (lacht): Genau, wir sind vorsichtig und sehen die Gefahren.
Ein Kreisky-Spezifikum scheint darin zu liegen, dass die Gitarre gerne die Texte konterkariert. »Menschen brauchen Liebe« lauten die Lyrics und dazu gibt es dann ordentlich distortete Klänge. Wie entsteht das? Kommt zuerst die Poesie und dazu wird gecrasht oder kommen die zarten Verse zu den rauen Klängen in den Sinn?
FAW: Das entsteht meistens gleichzeitig. Wir jammen im Proberaum so dahin. Ich hab dann schon eine Mappe mit so zwanzig A4-Zettln voll mit Textfetzen und Ideen. Die blättere ich dann durch und schaue, was so passen könnte. Das ist dann immer intuitiv. Es gibt ja mehrere Möglichkeiten, mit einem Text auf Musik zu reagieren. Dabei ist das Entscheidende, ob es überhaupt reagiert. Die Frage ist ja unsinnig, wenn Texte für sich hergenommen werden und dann überlegt wird, wie war Falco als Lyriker. Aber das ist irrelevant, weil es Falco-Texte ohne Musik nicht gibt. Die Bedeutungseinheit von Musik und Text ist nicht wegzudenken. Dadurch ist die Frage immer, was mache ich mit dem, was mir die Musik an Inhalt gibt. Das kann natürlich unterstützt werden bei so Liedern, wo zum Beispiel geschimpft wird. Ich denk mir dann oft, welche Haltung muss ich auf der Bühne einnehmen, damit das zur Musik passt. Dann brauch ich nur mehr zu schauen, welche Worte gehören in den Geisteszustand, den ich einnehme, wenn ich da vorne auf der Bühne stehe. Das ist eine Möglichkeit, die andere ist natürlich das Konterkarieren und der Text bietet eine ironische Ebene zur Musik. Gegenpole sind wichtig, man will die Sache ja nicht zu eindimensional machen, damit das Album nicht nach dem ersten Hören entschlüsselt ist.
Die Band bekommt also keine Texte vorgelesen, zu denen sie dann spielt.
KM: Nein, es entsteht gemeinsam. Wir haben auch immer die ganzen Zwischenversionen rumkugeln. Bei früheren Alben sind Zeilen aus einem Text in drei verschiedenen Nummern aufgetaucht. Das ist zu Beginn noch ein offenes System. Bei diesem Album ist aber alles, was zumindest die Musik anbelangt, sehr schnell vonstattengegangen. Wir haben ein Studio-Set-up geschaffen, in einem Nichtstudio, wo wir zugleich schreiben und aufnehmen konnten. Früher haben wir im Proberaum geschrieben und es im Studio nur mehr reproduziert.
FAW: Viele Texte waren dann gleich da oder zumindest die Art der Texte war bald klar und den Themen geschuldet. Da ist sehr viel schnell passiert, das dann wirkte. Man hätte theoretisch an manchem mehr feilen können, aber es ging uns um eine Direktheit. Da kann dann auch so ein bissel ein schiefer Reim rein, der tut dem Ganzen ganz gut, als ein Direktheitsmarker. Manchmal passieren dann ganz absonderliche Sachen. Zum Beispiel gibt es eine Stelle in »Ein braves Pferd«, die ist mir fast peinlich, weil sie so ein plakativer Effekt ist. Da ist ein Loch in der Musik und da kommt dann das Wort »Arschloch« rein. »Was bist du denn für ein Arschloch?« Ich dachte, ah, der Text passt ganz gut zu diesem Hillbilly-Rhythmus. Ich habe dann lachen müssen, weil genau das Wort in die Pause rückt. Das war Zufall und das haben dann genau so gelassen.
KM: Das war großartig.
FAW: Es ist ein bisschen so ein billiger Effekt, so ein wenig Ärzte, »Schrei nach Liebe«. Aber das war irgendwie gut, das macht es aus, dass auf der Platte so ein gewisses albernes Element ist. Mehr als auf den letzten Platten, das macht es angenehm.
Bei uns sind die Interviews leider meistens sehr lang. Teil 2 findet sich hier.
Kreisky: »Blitz« (Wohnzimmer Records) erschien am 16. März 2018.
Kreisky auf Tour:
12.04.2018 Graz, PPC
13.04.2018 Innsbruck, PMK
14.04.2018 Linz, Stadtwerkstatt
19.04.2018 Wien, WUK
07.05.2018 München, Milla
09.05.2018 Hamburg, Häkken
10.05.2018 Berlin, Berghain Kantine
11.05.2018 Köln, Subway
12.05.2018 Stuttgart, Merlin
Link: www.kreisky.net