»Wenigstens Möbel könnten sie haben«, dachte sich die amerikanische Designerin Louise Brigham über die Arbeiter eines Kohlebergwerkes auf Spitzbergen, einer norwegischen Insel. Das Kohlecamp war acht Monate lang durch Eis von der Welt abgeschnitten. Brigham war an diesem abgelegenen Ort zu Besuch. Das einzige Möbelmaterial waren die Holzkisten, in denen Vorräte geliefert worden waren. Brigham erfand Brettermöbel, die sie 1919 in ihrem Buch »Box Furniture«, beschrieb. Die zum Bauen notwendigen Werkzeuge wurden auch aufgelistet. In der Ausstellung »Here we are! Frauen im Design, 1900 – Heute« im Möbelmuseum Wien ist gerade ein Buchexemplar zu sehen. »Eigentlich gelten Männer als Erfinder der billigen Brettermöbel«, erklärt der engagierte Ausstellungsführer Bernd Remsing, der auch literarisch tätig ist. Später wiederholte Louise Brigham den Bau ihrer Brettermöbel in New York. »Sie organisierte regelrechte Straßenfeste, auf denen Möbel gebaut wurden«, so Remsing.
»Um 1870 beschränkte sich das bürgerliche Frauenideal auf Repräsentationszwecke, ansonsten leiteten sie ihre Dienstboten an«, meint Bernd Remsing. »Wenn sie doch Hausarbeit machten, dann quasi heimlich und nur typisch weiblich konnotierte Tätigkeiten wie klöppeln.«. Da ihnen der Beitritt in politische Vereine verboten wurde, gründeten Frauen ab den 1860ern Bildungsvereine und Kunstgewerbe-Schulen. »Unter dem Deckmantel solcher Vereine ging oftmals auch die politische Emanzipationsarbeit weiter. Die Schulen wiederum eröffneten nach und nach tatsächlich Wege in die berufliche Selbstständigkeit«, berichtet Remsing. Die ersten Designerinnen kamen damals aus diesen Zeichenkursen für höhere Damen: »Manche riskierten ihren beruflichen Erfolg, wenn sie in die Frauenbewegung gingen, denn damit waren sie für patriarchal-konservative Auftraggeber gestorben. Bei den Jahrgängen vor und um 1880 kommt es zu richtigen Tragödien. Frauen, die sich etwa den Suffragetten anschlossen, gingen durch berufliche, politische und polizeiliche Höllen.« Um 1900 wird die Frauenbewegung durch die Reformbewegung verstärkt. »Gertrud Kleinhempel stand sogar namentlich im Katalog der Deutschen Werkstätten Hellerau, deren Gründer Karl Schmid selbst in der Reformbewegung engagiert war.«
Das große Geld
Eine erste Hoffnung für Frauen, die Architektinnen werden wollten, bot die Gründung des Bauhauses, in dem ja ursprünglich ohne Ansehen des Geschlechts ausgebildet werden sollte. Bauhaus-Chef Walter Gropius änderte flott sein Programm, als unglaubliche 70 Prozent Frauen ins Bauhaus aufgenommen werden wollten. Für diese weiblichen Wesen gab es rasant allein die Textilklasse. Nur eine einzige Frau namens Marianne Brandt schaffte es in die Metallklasse! »Dort versucht man sie zu Tode zu langweilen«, lacht Remsing. »Sie glaubt aber, dass der Ablauf so gehört und wird schließlich zur Meisterin der Metallklasse. Brandts Metallarbeiten spülen dringend benötigtes Geld in die Bauhaus-Kassen. Sie hatte schon Verträge für die industrielle Produktion in der Tasche, während die Herren noch tüftelten!« Lustig die unverwüstliche Wurfpuppe von Alma Siedhoff-Buscher, die finanziell sehr erfolgreich war. Kinder schmissen die robuste Puppe aus Naturmaterialien einfach zu gerne durch die Gegend.
In der Ausstellung ist ein wunderschöner Teppich mit lauter blauen kleinen Karos von Gertrud Arndt zu sehen, die Architektin werden wollte und von Gropius schnell in die Webklasse abgeschoben wurde. Die hoffnungsfrohen Designerinnen verwendeten zum Beispiel Kunstfasern für die industrielle Produktion, um die alte Teppichweberei mit der Moderne zu verbinden. Die Meisterin dieser Klasse, Gunta Stölzl, arbeitete ebenfalls an industrietauglichen Verfahren und Stoffen, sah sich wegen Bauhaus-interner Konflikte aber 1931 zur Kündigung gezwungen. Sie flüchtete bald darauf vor den Nazis in die Schweiz, wo sie ihre Kenntnisse zur Gründung einer erfolgreichen Textilfirma einsetzte. Ein Geschirrset in Korallenrot und Türkis der ungarischen Designerin Eva Zeisel ist ebenfalls ausgestellt. Zeisel wusste schon früh: »Die Hitlerei wird kommen« und flüchtete erst nach Moskau, wo sie bald als künstlerische Leiterin der staatlichen Keramikindustrie arbeitet – doch dann verdächtigt man sie, ein Attentat auf Stalin geplant zu haben! Zeisel emigriert in die USA und realisiert 1946 eine Ausstellung im MOMA in New York.
Besessen von der Villa E 1027
Eine andere Designerin, die fast alle Möbeldesigns für das Le-Corbusier-Studio in Paris entwarf, war die Sozialistin Charlotte Perriand. Ihr Werk wird erst in den letzten Jahren aufgearbeitet. Ihr drehbarer Sessel B 302 wurde bereits 1927 entwickelt. Ihr schwarz-rotes Regal, das sie für Maison de la Tunisie (Cite universitaire 1952) entwarf, war legendär. Farbige Aluminiumtafeln lassen sich verschieben und so können zum Beispiel gewisse Bücher aus der Sichtweite verschwinden. Von 1940 bis 1946 lebte Perriand in Japan, ließ sich von dieser Tradition stark inspirieren und beeinflusste umgekehrt das japanische Design.
Le Corbusiers Leben war angeblich schicksalshaft mit der Arbeit einer anderen Frau verknüpft: der irischen Architektin und Designerin Eileen Gray. Sie realisierte ab 1925 an der französischen Riviera ihr erstes Haus – das E1027. Gray integriert eigens erfundene Einbaumöbel und passt ihr Haus der Umgebung und dem Meer an. Le Corbusier, der eigentlich für »Wohnmaschinen« eintrat, war dermaßen fasziniert von ihrem Bau, dass er nicht nur oft dort zu Besuch war, sondern sich nach ihrem Auszug mit farbigen Wandmalereien verewigte. Eileen Gray lehnte seine Bilder in ihrem Haus ab. Sie betrachtete Häuser nicht als Maschinen, sondern »als Erweiterung, als Befreiung« des Menschen. Zusätzlich kaufte sich Corbusier oberhalb ihres Grundstücks selber ein Stück Land, auf das er eine Holzhütte stellte. »Le Corbusier ertrank 1965 im Meer, durch einen Herzanfall – in der Bucht vor dem Haus von Eileen Gray, also möglicherweise mit Blick auf das E1027«, so Bernd Remsing. Eileen Gray selbst wird 98 Jahre alt. Die Ausstellung im Möbelmuseum Wien ist noch bis 1. September 2024 zu sehen. Schnell noch anschauen!