A sign shows the direction to Utoeya island in Tyrifjorden lake near Sundvollen July 30, 2011. Norwegians united in mourning on Friday as the first funerals were held a week after anti-Islam extremist Anders Behring Breivik massacred 77 people in attacks that traumatised the nation.   REUTERS/Wolfgang Rattay  (NORWAY - Tags: CIVIL UNREST CRIME LAW)
A sign shows the direction to Utoeya island in Tyrifjorden lake near Sundvollen July 30, 2011. Norwegians united in mourning on Friday as the first funerals were held a week after anti-Islam extremist Anders Behring Breivik massacred 77 people in attacks that traumatised the nation. REUTERS/Wolfgang Rattay (NORWAY - Tags: CIVIL UNREST CRIME LAW)

Männliche Lust am Töten: Klaus Theweleits »Das Lachen der Täter«

Klaus Theweleit über die Universalität lachender Mörder, die im Namen eines höheren Prinzips handeln. Normalos in gepanzerten Männerkörpern sind zu allem fähig, wenn man sie lässt.

»Männerphantasien« – als diese fulminante Theorie-Erzählung 1977 in zwei dicken Bänden erschien, sorgte sie nicht nur in linksalternativen Kreisen für höchste Furore. Diese publizierte Doktorarbeit des jungen Soziologen Klaus Theweleit galt auch in akademischen Zirkeln als, nun ja, Sensation: Der frisch gebackene Dr. soc. durfte nämlich trotz »summa cum laude« nicht einmal ein Proseminar an seiner Freiburger Uni abhalten. Und zwar aufgrund von, so die Professorenschaft, »ungezügelter Intelligenz«. Eh keine schlechte Begründung, denn das, was Theweleit da dem ehrwürdigen Leistungsnachweis »Dissertation« zumutet, sprengte tatsächlich alle bis dato festgelegten Grenzen: Theweleit mischte in seinen ohnehin neuen Wissenschaftssound nicht nur autobiographische Erzählungen und politische Kommentare, sondern reicherte seine ›Diss‹ auch noch mit Bandfotos, Comics, seltsamen Karten und wild assoziierten Quellen an. Mit diesem unerhörten Instrumentarium analysierte Theweleit die faschistischen Männer- und Gewaltphantasien in mehr als 250 Romanen, vorwiegend aus der Freikorpsliteratur der 1920er Jahre, sowie aus anderweitig dokumentierten Erinnerungen von Kriegsteilnehmern. Und dabei stieß er zum ersten Mal auf das Lachen der Mörder, auf das Auslachen der Opfer und auf die diversen Feierrituale der Schlächter.

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Klaus Theweleit (© privat)

Fast vierzig Jahre später kommt Theweleit wieder auf den Tätertyp des lachenden Killers zurück, der ihn, wie es scheint, ohnehin nie wirklich verlassen hat. Aber erst Anders Behring Breivik und die US-Foltersoldatin Lynndie England, erst die Morde der NSU und die Hinrichtungsvideos des ISIS mussten kommen, dass Theweleit wieder ein Buch zum Thema Tötungslust anging. »Das Lachen der Täter: Breivik u. a. – Psychogramm der Tötungslust« birgt härtesten Stoff.

Universeller Tätertypus

Als Anders Breivik am 22. Juli 2011 auf der norwegischen Insel Utøya in einer Stunde 69 Menschen erschoss, hörten die Kids, die sich vor ihm in Sicherheit bringen konnten, hinter sich das aufgekratzte Gelächter des Massenmörders. Breivik brüllte vor Freude wie ein Fußballfan, wenn seine Mannschaft ein Tor schießt, sobald er wieder jemanden getroffen hatte. Und lachend rief er, wie Kinder beim Fangenspielen: »Ihr entkommt mir nicht!«.

Später vor Gericht sah man ihn dann dauergrinsen. Alle im Saal Anwesenden waren schwer irritiert von diesem Grinsen: Anwälte, Richter, Journalisten, Gerichtspsychiater – von den Angehörigen der Opfer ganz zu schweigen. Nach den Gründen für sein Dauerlächeln gefragt, antwortete Breivik, er lächle über die Psychiater, die ihn für unzurechnungsfähig erklärt hatten.

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Zeichnung: Benedikt Haid

Klaus Theweleit sammelt seit Jahren Belege für die männliche Lust am Töten. Er findet es in der Raserei des Pol Pot-Regimes, beim Genozid in Ruanda, bei südamerikanischen Folterknechten, im Jugoslawien-Krieg, massenweise bei gewöhnlichen Nazis, bei noch gewöhnlicheren GIs und in den höhnisch inszenierten Tötungsvideos des Islamischen Staates. Und Theweleit macht sich nicht daran, die Unterschiede der grinsenden und lachenden Mörder herauszuarbeiten, sondern er will das Gemeinsame, die Grunddisposition dieses bestimmten Tätertypus erforschen. Denn bei allen religiösen, ideologischen und kulturellen Differenzen eint diese todesgeilen Dominanzmännerkörper mehr als ihnen selbst lieb sein würde. Für Theweleit ist dieser Herrschaftstyp mit seiner Dauerangst, psychisch zu fragmentieren, ein universeller Charakter. Darum schreibt er – vordergründig schwer nach Verallgemeinerung klingend -, Breivik sei »strukturell patriarchalischer Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektiererischer SS-Mann«.

Morde als Fest der Freude

Da schluckt man zuerst einmal. Doch dann untersucht der Soziologe die strukturellen Gemeinsamkeiten genauer – und die Universalität und gemeinsame Identität der lachenden Mörder erscheint plötzlich plausibel. Sie alle töten im Namen eines höheren Prinzips, egal ob dieses Allah oder Rassenreinheit heißt, alle brauchen sie das Kollektiv, um sich lachend über die anderen zu erheben. Selbst der Einzeltäter Breivik sieht sich als kämpfendes Mitglied der Tempelritter. Und alle zelebrieren ihre Taten als Freudenfest. Selbst die lustfeindlichsten Dschihadisten posieren mit jubilierend ausgestreckten Armen vor den von ihnen Gekreuzigten, Geköpften und sonst wie Gemordeten. Die entscheidende Frage dabei sei, so Theweleit, ob eine Gesellschaft, ein Regime diesem vorwiegend jungen gepanzerten Männerkörper freien Lauf lasse, sie womöglich gar zur Tötungslust aufstachle oder deren destruktives Potential in Schach halten könne. Denn es seien nicht die Wahnsinnigen, die zu allem fähig sind, sondern die Normalos – wenn man sie nur lässt.

Im friedlichen Norwegen bleibt einer wie Breivik isoliert, Gleichgesinnte hätte er für sein Morden nicht gefunden. Aber es gibt Tausende von Irakern oder afrikanischen Soldaten – Kindersoldaten -, die darauf aus sind oder gar darauf angewiesen sind, in Gebieten mit einem Machtvakuum ihrer Gewalt freien Lauf zu lassen. Den kleinsten Trost anbietend, meint Theweleit unlängst in einem Interview mit der »FAZ«: »Man kann nur Sorten von Umgebungen schaffen, in denen sich so etwas nicht anbietet. Wenn die Umgebung nicht mitmordet und mitfeiert, ist der Triumph sehr eingeschränkt.«

Klaus Theweleits abgründige Analyse basiert auf einer Frühlingsvorlesung des Autors vom März 2014 im Grazer Kulturzentrum der Minoriten. Schöner Sammeltitel der dortigen Vorlesungen: »Unruhe bewahren«. So heißt auch die Reihe im Residenz Verlag.

Für skug adaptierte Fassung eines Radiomanuskripts (FM4-Im Sumpf)

Klaus Theweleit: »Das Lachen der Täter: Breivik u. a. – Psychogramm der Tötungslust«
St. Pölten: Residenz Verlag 2015, EUR 22,90

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