Louise Bourgeois im Atelier ihrer Wohnung in der 142 East 18th Street in NYC, um 1946 © Foto: The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023 und VAGA at ARS, NY
Louise Bourgeois im Atelier ihrer Wohnung in der 142 East 18th Street in NYC, um 1946 © Foto: The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023 und VAGA at ARS, NY

Louise Bourgeois: »The chosen one«

Sie würde keine Bilder suchen, keine Ideen, sondern die Rekreation von Emotionen versuchen, erklärte sich Louise Bourgeois einmal. Im Unteren Belvedere sind in der umwerfenden Ausstellung »Unbeirrbarer Widerstand« erstmalig ihre Malereien der 1930er- und 1940er-Jahre zu sehen.

Ihr Gesicht neben einem Hochhaus. Braun, beige, rot. Traurig schaut die Frauenfigur mit aufgestecktem Haar in die Gegend, im Bild schaut alles sehr brüchig aus. In dem Selbstporträt von Louise Bourgeois aus dem Jahr 1940 (Collection East Foundation, New York) gibt es unten im rechten Drittel einen Haufen undefinierbarer Farbflecken. Eine Art Gespensternebel, der die Künstlerin aus Paris bis nach New York verfolgt? Das Hochhaus wirkt wie das Skelett eines Wolkenkratzers. 

Nach dem Tod ihres Vaters verfällt Louise Bourgeois in eine schwere Depression, ähnlich der Depression nach dem Tode ihrer Mutter 1932, wenn auch diesmal etwas leichter. Sie beginnt eine Psychoanalyse bei Dr. Henry Lowenfeld, die über dreißig Jahre andauern soll. Aufzeichnungen zu Träumen und freie Notizen treten an Stelle ihrer künstlerischen Arbeit. Dies geschieht vor allem in der intensivsten Phase ihrer Analyse von 1952 bis 1967, steht in der Ausstellung »Louise Bourgeois: Unbeirrbarer Widerstand« im Unteren Belvedere. Blaue Glaskugeln leuchten in der Sonne. 

»Es lag nahe, in Wien die Psychoanalyse herauszustreichen. Bekanntlich gibt es keine Psychoanalyse ohne Beschäftigung mit der Kindheit«, sagt Direktorin Stella Rollig ironisch. Erstmals wird das frühe malerische Werk von Louise Bourgeois in Europa gezeigt, die Basis für ihren Gang in den dreidimensionalen Raum. Skulpturen, die in ihren Bildern bereits angelegt sind, beginnen, aus dem Schatten zu treten.

Louise Bourgeois, Roof Song, 1947 © Foto: Eeva Inkeri, The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023, Privatsammlung, New Jersey

Die Leere der Angst

»1949 legt sie den Pinsel zur Seite, wird nie wieder zurückkommen«, berichtet eine der beiden Kuratorinnen. Im Belvedere werden auch bisher unbekannte Werke von Bourgeois ausgestellt, wie eine Serie von roten Holzschnitten auf handgeschöpftem Japanpapier aus dem Jahr 2005. Lauter Spiralen, die Unendlichkeit symbolisieren – beziehungsweise gleichzeitig eine »Verengung nach innen«, wie an der Wand steht. 

»Spiral is a vacuum… It represents something… The void, the anxiety void, the void of anxiety«, befindet Louise Bourgeois selber. Auffällig viele Werke tragen ein eigentümliches, stark leuchtendes Rot als Hintergrund, teilweise mit Schwarz vermischt. Dieses Rot erklärt Bourgeois so: »Red is an affirmation at any cost – regardless of the dangers in fighting – of contradictions, of aggression. It’s symbolic of the intensity of the emotions envolved.«

Es ist eine unglaublich schöne Ausstellung. Es geht einem eine Lusterfabrik auf, wie ihr umfangreiches Werk entstanden ist. Endlich sind die Anfänge, die Hintergründe zu sehen. 1938 zieht Louise Bourgeois mit ihrem frischgebackenen Ehemann von Frankreich nach Amerika. Auf dem Dach ihres Hauses in New York hat sie erstmals die Möglichkeit, in großem Format zu arbeiten. Ab 1945 entstehen ihre Personages, totemartige Stelen. 

»I feel so lonely that I am rebuilding these people around me. I ran away from them because I couldn’t stand them and as soon I’m away from them, I start to rebuild them.« Sie suche das Fragile in der Vertikalen, die Balance. »Der Traum interessiert mich überhaupt nicht, ich arbeite wie unter einem Bann, schöpfe direkt aus meinem Unterbewusstsein«, meint sie. Ihr Mann wird indessen der erste Direktor des Museum of Primitive Art, die Werke dort haben bestimmt Einfluss auf sie.

Louise Bourgeois, The Runaway Girl, 1938 © Foto: Christopher Burke, The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023

Sachen zerstören

Obwohl ihr Mann Jude war, waren die Nazis nicht der Grund für den Ortswechsel, meint die Kuratorin, die nicht viel zu Bourgeois Verhältnis zum Zweiten Weltkrieg zu sagen hat. »In Amerika machte sie eine Ausstellung mit geflüchteten Künstler*innen über die Resistance«, erzählt die zweite Kuratorin. Es springt ins Auge, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 die Werke zu schweben und zu hängen beginnen. »Wir gehen in die Luft«, nennt das Stella Rollig in ihrer Ansprache. 

Im Ausstellungsfilm malt Louise Bourgeois mit einem schwarzen Filzstift auf eine Orange. Dann schält sie die runde Frucht nach den Strichen, ohne die Schalen zu trennen. »The past is going to reemerge. My father had a way to cut it«, erklärt sie ihr Tun mit französischem Akzent. Es ergibt sich eine Figur, die dem Engel von Paul Klee ähnlichsieht, den Walter Benjamin auf seiner Flucht mitschleppte. »Alles, was ich sagen will, ist, dass Leute in der Nacht weinen und Sachen zerstören«, sagt sie im Film. Pause. »Because it helps them!« 

Ihre Kindheitsemotionen dürften sie als Erwachsene existenziell verfolgt haben. Als Kind musste Louise Bourgeois mit ihrer Mutter im Ersten Weltkrieg an die Front und von Lazarett zu Lazarett fahren, weil die Mutter Angst hat, dass der verwundete Vater sonst ein Verhältnis mit einer Krankenschwester anfängt. Mit tödlichen Folgen für die Mutter, die sich in diesem Krieg die Spanische Grippe einfängt. Die Tochter muss sie jahrelang pflegen – wahrlich nicht leicht für eine junge Frau. 

Ihr Assistent Jerry Gorovoy, der im Film zu sehen ist, 30 Jahre lang mit der Künstlerin arbeitete und real bei der Belvedere-Eröffnung anwesend ist, befindet im Gespräch, dass Louise Bourgeois in ihrer Familie »the chosen one« war. Ihre Schwester und ihr Bruder erhalten keinerlei Bildung. Louise darf das Tapisserie-Geschäft ihres Vaters übernehmen. Ihre Schwester züchtet später Hasen, ihr Bruder stirbt an den Folgen seiner Schizophrenie. Enkel leben in Brooklyn und in Boston. Leider wird diese umwerfende Ausstellung nirgends anders hingehen.

Link: https://www.belvedere.at/louise-bourgeois-0 

Home / Kultur / Kunst

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
12.10.2023

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