Christa Urbanek © Greindl
Christa Urbanek © Greindl

Leiwande Geschichten

Der neu gegründete Wiener Verlag Leiwand erinnert mit »Unikat. Geschichten von und über Christa Urbanek« an eine Ausnahmekünstlerin der Kleinkunst-, Theater- und Rockbühnen.

Wahrscheinlich erlebten viele »die Christa« (mit ihrem Nachnamen angesprochen zu werden, schätzte sie gar nicht) zum ersten Mal auf einer Bühne, ohne sie zu erkennen: als Drahdiwaberl-Akteurin mit schwarzer SM-Maske inmitten einer Mulatschag-Bühnenorgie. Diesbezüglich lohnt sich auch ein Blick auf Stefan Webers liebliches Coverfoto für die »Dirty Rhymes And Psychotronic Beats« EP der Wiener Death-Metal-Pioniere Pungent Stench. Nun kann man freilich geteilter Meinung darüber sein, ob Drahdiwaberls in regelmäßigen Konzertabständen zelebrierter Bühnenexhibitionismus irgendwann noch zu mehr als der voyeuristischen Befriedigung des Publikums taugte. Für Christa, die von 1985 bis 2006 immer wieder mitmachte, war es jedenfalls auch eine lustvolle Seite ihrer ganz persönlichen Libertinage. Und darum ging es auch in ihren ab 1999 performten, treffend als Realsatiren bezeichneten Soloprogrammen »Unikat« und »Remasuri«.

Das Leben

1947 geboren, hatte Christa als Angestellte der Pensionsversicherungsanstalt einen ebenso unglamourösen wie sicheren Job, um als Alleinerziehende mit zwei Töchtern durchzukommen. In ihrer persönlichen Emanzipationsentwicklung spiegeln sich die sozialen Bewegungen von Feminismus bis Umweltschutz (von Weber wurde sie am »Gschnas der Aubesetzer« angetanzt) wider; Kämpfe für ein besseres Leben, für mehr Rechte und Freiheiten, die von den Rechtsextremen und selbsternannten »Normalen« der »Mitte« samt ihrer repressiv-reaktionären Leid- und Neidkultur wieder bedrohter denn je erscheinen. Christas Schilderungen ihres Wegs zu mehr Selbstbewusstsein ab den späten 1970er-Jahren sind auch anschlussfähig an gegenwärtige Diskurse mit Schlagwörtern wie der Überwindung von »Body-« bzw. »Fatshaming« und mehr »Sexpositivity« – insbesondere auch für ältere Menschen. Apropos Alter: Dazu schrieb sie 2011: »Wia leicht kaun’s do passieren, dass des leben zum friedhof da vapasstn gelegenheiten wiad!!!« Christa setzte in ihrem Leben nicht nur viele Rufzeichen, um genau diesem Schicksal zu entgehen. Selbstbestimmte weibliche Sexualität verstand es auch schon in der Zeit vor Online-Dating, sich Kontaktanzeigen gezielt zunutze zu machen. Und Christa machte damit nicht nur befriedigende Erfahrungen; auf diesen baute sie auch ihr Soloprogramm »Unikat« ab 1999 erfolgreich auf.

Das Buch

Während es auch noch von den niveaulosesten Kabarettist*innen und Comedians jede Menge Material in verschiedensten Formaten gibt, sind von Christas Programmen nie offizielle Mitschnitte oder ganze Texte veröffentlicht worden. »Unikat« hilft, diesen eklatanten Mangel ein wenig zu beheben. Das Buch ist schon aufgrund von Christas Originaltexten lesenswert. Wer sie mit ihren Programmen und Lesungen live erlebt hat, wird sich anhand des Gedruckten an etliche Pointen erinnern. Ob in Schriftsprache oder Dialekt (und bis auf den Satzbeginn in konsequenter Kleinschreibung) – Christas Stimme spricht unverzagt lebendig, ganz direkt zu den Lesenden. Wer sie erst jetzt kennenlernt, wird eine starke Persönlichkeit entdecken, von der man wünscht, sie zumindest auf den Bühnen erlebt zu haben; von der man sich gerne den gegenwärtigen Wahnsinn kommentieren lassen und noch viel mehr lesen möchte. Viel Originaltext gibt es ja nicht, »denn ich bin eine ganz faule sau, wenn’s ums schreiben geht – wie man ja auch daran sehen kann, dass ich das schreiben meiner eigenen autobiografie großteils anderen überlasse«, so Christa.

Der Verlag

2014 sprach sie die erste Einladung aus, Texte über sich verfassen zu lassen. Etliche ihrer Wegbegleiter*innen nahmen diese Einladung über die Jahre an. Und so werden Christas Erzählungen von Erinnerungen und freundschaftlichen Widmungen umrahmt. Für nicht ganz Eingeweihte wäre ein kleines Glossar mit Kurzbiografien der Beitragsspendenden ergänzend noch hilfreich gewesen. Wie dem auch sei; Christa hatte definitiv vor, noch selbst aus ihren Memoiren vorzulesen. Leider erlag sie im März 2021 ihrem Krebsleiden. Auch Karl König, der ihren Auftrag, das Buch fertigzustellen, freundschaftlich angenommen hatte, verstarb überraschend im Februar 2022. Seiner Schwester Heidi König-Porstner ist es zu verdanken, dass dieses Buchprojekt, zehn Jahre nach Christas Initialzündung, doch noch abgeschlossen werden konnte. Dafür gründete sie frisch den Leiwand-Verlag (Website ist noch under construction).

Heidi König-Porstner, Monika Urbanek (Hg.): »Unikat. Geschichten von und über Christa Urbanek«, Leiwand Verlag, Wien 2024, 140 Seiten, € 21,50 © Erich Tiefenbach

Buchpräsentation am 15. September ab 20:00 Uhr, Aera, Gonzagagasse 11, 1010 Wien. Mit: El Awadalla, Tanja Ghetta, Maria Sukup, Claus Tieber, Sonja Penz, Richard Weihs u. v. a. Moderation: Heidi König-Porstner. Kartenreservierung (€ 10,00) und Buchbestellung (€ 21,50) per E-Mail an: leiwandverlag@gmail.com.

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