Mick Harvey, der an der Seite Nick Caves von den Boys Next Door über Birthday Party bis The Bad Seeds als Musikdirektor wirkte, emanzipierte sich bereits ab 1995 solo mit einem großartigen Werkkanon. Ausgangspunkt waren »Intoxicated Man« (1995) und »Pink Elephants« (1997), worauf der bald 65-Jährige Songs von Serge Gainsbourgh in einer Art swingendem Varieté Style ins Englische übertrug.
Zum vierteiligen Zyklus »Serge Gainsbourg in Translation« zählen noch »Delirium Tremens« (2016) und »Intoxicated Women«, worauf er sich mit Xanthe Waite, Jess Ribeiro, Andrea Schroeder und einigen Sängerinnen mehr auf jene Lieder konzentrierte, die Serge Gainsbourg in den 1960er-Jahren für berühmte Interpretinnen wie France Gall, Juliette Greco oder Janie Birkin komponierte. Eines der schönsten Duette, ursprünglich für Brigitte Bardot geschrieben, ist jenes mit der leider bereits 2021 verstorbenen Anita Lane, das allerdings vom ersten Gainsbourgh-Coveralbum stammt.
Duett mit Amanda Acevedo
Sein Faible für Duette gipfelt beim auch in der Band von PJ Harvey wirkenden Australier neuerdings in einer Kollaboration mit der mexikanischen Sängerin Amanda Acevedo. 2023 wurde ihr gemeinsames Duo-Album »Phantasmagoria in Blue« veröffentlicht. Der Rezipient fühlt sich beim Hören an Lee Hazlewood und Nancy Sinantra erinnert, und weniger geht es darin um Glanz und Gloria, denn um das Vertonen der Verlassenheit von Glück, insbesondere mit betörend melancholischen Streicherarrangements, etwa in »Milk & Honey« von Jackson C. Frank:
Gold on silver is the autumn
Soft and tender are the skies
Yes and no, are the answers
Written in my true love’s eyes
Autumn’s leaving and winter’s coming
I think that I’ll be moving along
I’ve got to leave her and find another
I’ve got to sing my heart’s true song
Harvey und Acevedo schaffen in ihren Noir-Balladen nichts weniger als die Neuinterpretation der Abgründigkeiten in den Liedern ihrer Lieblings-Songwriter. Weshalb sie gemeinsam einen neuen Zyklus begründen: »Golden Mirrors« ist der Startschuss zur Serie »The Uncovered Sessions«. Deren »Vol. 1« ist gänzlich Jackson Carey Frank, einem eher nur in Fankreisen bekannten US-Songschreiber, gewidmet. Wie der Zufall so will, meldete sich ausgerechnet in der Woche des Single-Releases von »Milk & Honey« ein italienscher Freund von Mick Harvey, der für ein Jackson C. Frank Tribute namens »Love & Thunder« um weitere Songinterpretationen anfragte.
Die Tragödie von Jackson Carey Frank
Ein dunkler Schatten lag seit der Kindheit über Jackson C. Frank, geboren 1943 in Buffalo, New York. In der Schule des Elfjährigen explodierte ein Ofen, 15 seiner Mitschüler überlebten nicht, die Narben seiner zu 50 Prozent verbrannten Körperoberfläche sollten sich auch tief in seine Seele einbrennen. Eine von einem Lehrer im Krankenhaus geschenkte Gitarre legte die Schienen für ein Musikerleben. Eine Entschädigung von 100.000 US-Dollar ermöglichten ihm, in Londons Folkszene einzutauchen, doch sollte wegen seiner mentalen Probleme (Depressionen aufgrund Schizophrenie) sein 1965 von Paul Simon produziertes, schlicht nach ihm betitelte Album, auch das letzte bleiben.
Beziehungen mit Sandy Denny oder Elaine Sedgwick, der Schwester von Edie Sedgwick (Andy Warhol’s Factory) zerbrachen, und nach seiner Rückkehr nach Woodstock gab es häufig Einweisungen in die Psychiatrie. Wenngleich der eher eintönige Klang seiner akustischen Klampfe dem Folk jener Zeit entsprach, so sind es die Lyrics, denen viel psychological angst innewohnt, die auch anno 2025 große Kraft entfalten. Pure Melancholie steckt in Franks Liedern, und Harvey und Acevedo offenbaren mit ihren prächtigen Arrangements und (Duett-)Gesängen die undurchdringliche Weis-, Abgeklärt- und Abgründigkeit von Franks Lied-gewordenen Poemen.
Franks elf Songs entfalten dank Harveys Arrangierkunst eine grandiose, dramatisch zugespitzte Wucht, die vergessen macht, welch Düsternis verhandelt wird. Umso schöner, wenn dieser einmalige atmosphärische Klang mit Acevedos schwebender, ausdruckstarker Stimme zu einer beinahe Wall of Sound auftrumpft. Westernstyle E-Gitarren bohren, gefährliche Orgeldrones à la Anna von Hausswolff schlingern, Violinen flirren.
The world that comes apart
Misery okkupierte zusehends Jackson C. Franks Leben, und doch und auch deswegen schrieb er glasklare Songs wie das häufig gecoverte (u. a. von Simon & Garfunkel, Bert Jansch und Mark Lanegan) »Blues Run The Game«, worin Harvey souverän allein das Leid und die Sehnsucht, davon wegzulaufen, besingt. Worauf Acevedo unglückselig »Want To Be Alone (Dialogue)« raunt. Franks Song-Vermächtnis lässt sich in Gedankenspielen in »My Name Is Carnival« jedoch noch weiter dehnen:
Without a thought of size
You come to hypnotize the danger
The world that comes apart
Has no single heart when life is stranger
Wheel and call, clawed dreams all
In the name of Carnival
Wenn nicht nur private Welten aus den Fugen sind, sondern auch eine immer gesetzlosere Welt, dann können Mick Harvey und Amanda Acevedo eines perfekt: Gänsehaut erzeugen gegen solches Unbehagen und die Schwermut darüber spürbar machen. Am Mittwoch, dem 9. April 2025, um 22:00 Uhr live in der Roten Bar im Volkstheater Wien, verstärkt um ein lokales Streichquartett!
