Immerhin sind auch seine ersten beiden Releases Kompendien von Stücken, deren Ich-Erzähler in gnadenloser Klarheit große Gefühle einer Existenz besingt. Ein Sammelsurium von offen gezeigten Freuden, Verletzungen, Traurigkeiten und schmerzlichen Trennungen.
Kein Zyniker, kein Schmachtender, sondern ein erfahrener Reisender und Weltenbummler in Sachen Liebe und anderer Demütigungen, gibt uns Auskunft über die bizarren Landschaften zwischen Libido, Amor, Verlust und Sehnsucht. Und gewährt uns persönlich Einblick in seine Journale.
Wir liefern den Soundtrack und erlauben uns topographische Hinweise. Scott in elf neuen Songs.
1 »Black Bird«: »I’m a little blackbird nested in the dark«
Aufgewachsen als echtes Buschkind auf einer Farm down under, sagt Scott, seine Kindheit war wunderbar. Schön, ländlich, sehr ländlich »Meine Schwester ist mit dem Pferd zur Schule geritten. Ich ging neben ihr, ohne Schuhe. Ich habe nie Schuhe getragen.« Zugleich war die Idylle isolierend, und wurde vor allem bedrückend als Teenager »und da rede ich noch gar nicht von der Sache mit dem Schwulsein. Aber ich hatte nichts was mir hätte helfen können zu verstehen, was ich fühle«. Was bleibt ist die Landflucht: erst nach Sydney, dann New York. 2000 trifft er auf Spencer Corbin, den ehemaligen Drummer von Morrissey, und veröffentlicht mit ihm als ELVA SNOW, »keine Ahnung was der Name soll, wir haben ihn uns beim Trinken ausgedacht«, eine erste EP, die Glitterhouse 2010 neu veröffentlicht. Für die japanische Anime Serie Ghost In The Shell macht er den Abspannsong. Mit dem Soundtrack zu Cameron Mitchell’s traurig ironischem Queer-Film »Shortbus« aber gelingt sein Durchbruch, wenn auch nur im kleinen Kreis.
2 »True Sting«: »I could tell a tale of a truth that failed«
»Shortbus hat mich viel selbstbewusster gemacht. Erst suchte ich nach zum Skript passenden Texten, dann hab ich geschrieben, was mir einfiel und in mir ist. Das war mein Job.«
Erstmals geht es sich finanziell aus, keine miesen Jobs mehr machen zu müssen. Das Ende des Scheiterns und das Bekanntwerden als schwuler Singer-Songwriter in der New Yorker Musikszene. So intim-persönlich seine Aussagen als Sänger sind, so wenig sind sie die ganze Wahrheit über ihn: »Meine Musik ist nicht alles was ich bin. Sie ist bloß ein Teil dessen, was ich gerne zeige. Selbstbesessen wie ich bin.«
3 »Felicity«: »When friendship becomes family, it helps me with the mystery«
Scott schätzt nicht nur seine Wegbegleiter, den Produzenten Mike Skinner und die Musiker Eugene Lemcio und Clara Kennedy, sondern auch seine Community, inklusive der Zuhöhrerschaft. »Seltsamerweise sind die Leute in Europa viel offener für gefühlvolle Inhalte und sensibler als in den USA. Obwohl die meisten hetero sind, mögen sie meinen Themen. In den USA bin ich ein schwuler Künstler und in Europa einfach ein Singer-Songwriter. Was mir wirklich lieber ist.«
4 »Duet«: »It’s wasted time to believe in me«
Oder auch nicht, denn Glitterhouse steht voll hinter ihm, nachdem er prompt mit dem Shortbus- Soundtrack als einzige Referenz ankommt, und gibt ihm einen Vertrag für drei Alben »der nun erfüllt ist. Was in einem Jahr ist, weiß ich nicht, ich will bloß den Luxus halten, keine beschissenen grindigen Jobs machen müssen. Dafür bin ich ihnen noch immer unendlich dankbar. Ich habe drei Jahre nicht mehr gejobbt, diese Möglichkeit hatte ich vorher nie.«
5 »Buried Alive«: »And I’ve buried what has died alive«
Seine Glaube an Liebe hat Scott nicht von Instutionen: »Religiöse Organsiationen ziehen uns runter, ich glaube nicht an Gott, obwohl ich oft darüber singe. Also eher über die Schikanen der Kirche gegenüber den Menschen, und dass wir stärker sein müssen als die. Ich wurde mit einem derart negativen Einfluss eines Gottes großgezogen. Nein, ein Leben in Angst ist kein ganzes Leben. Weg damit. Das weiß ich jetzt.«
6 »Devils Only Child«: »And the signs like the blood stained marks upon my door«
Scott verrät niemandem sein Alter. Geboren wurde er im Sternzeichen des Löwen, »die sind ja wahre Selbstdarsteller. Das hab ich ja auch in mir und versuche, das halt etwas zurückzuhalten«. Vergleiche mt David Bowie und anderen schmeicheln ihm: «Das ehrt mich total, wenn ich mit denen gleichgestellt werde. Alle erwarten von mir, dass ich runterrattere, wer mich beeinflusst. Ich habe niemals versucht, jemanden nachzueifern oder zu kopieren. Meine musikalischen Einflüsse kommen höchstens unterbewusst durch. Bei Gallantry’s hab ich oft Burt Bacharach im Hinterkopf gehabt, das war’s auch schon. Ich liebe Coverversionen. Ein wirklich guter Popsong ist Schwerarbeit; es ist auch für mich viel einfacher Songs anderer Leute zu singen.« Songs von Frank Sinatra, Neil Young, Radiohead – »denn ich liebe kommerzielle Musik«, grinst er.
7 »Sinking«: »This death wish is a prison«
Als bekennender Homosexueller, der »zum Glück« nicht von Transgenderproblematiken betroffen ist, muss sich Scott Zeit seines Lebens mit dem Tod auseinandersetzen. »Dreißig Jahre Aids sind dreißig Jahre meines Lebens. Als ich zum ersten Mal davon hörte, war ich sehr jung und dachte: Hilfe! Schwul zu sein bedeutet zu sterben! Und früher starben die Leute um mich wie die Fliegen, bis die Safer-Sex-Kampagnen kamen, und die besseren Medikamente. Obwohl die heute 25-jährigen nachlässig sind, sie glauben AIDS sei ein Problem der Älteren. Das ist gefährlich zu wenig Bewusstsein.« 2010 nehmen die Selbstmorde junger Homosexueller an Schulen in den USA dermaßen zu, dass das »It’s getting better Project« etabliert wird. In YouTube-Videos, bei Konzerten und Interviews erklären Schauspieler, Musiker, und sogar Barack Obama den Kids, dass sie bloß die Highschool überleben sollten, weil es dann besser wird. Im erwachsenen Leben. »Das ist ein großes Thema für mich. Mein Onkel brachte sich um, weil er schwul war. Ich kenne das Gefühl verachtet zu werden und alleine zu sein. Seltsam nur, dass nun, zumindest in den Medien, so getan wird, als wäre dies ein neues Phänomen. Teenager-Selbstmorde hat es immer schon gegeben, ebenso wie das bashen schwuler Mitschüler.«
8 »The Wonder Of Falling In Love«: »A thousand million butterflies make me smile«
Solche Songs sind Begleiter und Tröster, aber wie geht die Liebe? »Ich bin Single und sehr froh darüber. Es gibt so viele Theorien über die Liebe, wir sollten wohl einfach alle liebende Freunde sein. Aber love is love. Ab dem Moment, wo du dich aus Liebe anfängst zu sehnen und zu verzehren hast du verloren. Für eine Beziehung sollte man stark genug sein, ich war immer extrem unsicher mit mir selbst. Mit dem Alter kam das Selbstbewusstsein, ich brauche nun niemanden anderen mehr, um mich als ganzes Wesen zu fühlen. Ich wünsche mir für mein Leben viel mehr Liebe, aber eben nicht mehr nur als eine Sache zwischen Zweien. Dabei habe ich es gut, denn überall wo ich hinkomme, egal wo auf der Welt, weiß ich, dass da tolle Leute sein werden. Weil ich Liebe streue, nach dem Motto kill them with kindness.«
9 »Seedling«: »All the way down again«
Das ausgiebige Touren durch Europa könnte eines Tages in den USA fruchten. »Anthony hat das geschafft, aber das ist echt harte Arbeit, ich muss nicht in den USA auftreten. Aber vielleicht gehe ich für ein halbes Jahr zurück in den Busch. Ich mag das Landleben, und es scheint, als könnte ich es langsam wieder brauchen.«
10 »Sweet Kiss In The Afterlife«: »To be Gallantry’s favorite son«
In den USA ist jeder irgendwie Künstler, aber ist Scott Matthew einer? Mitnichten: »Dieses ganze Künstlergetue ist überbewertet und dient den Leuten bloß dazu, sich schlecht zu benehmen und arrogant zu sein. Dabei hat man NIE das Recht, sich böse aufzuführen. Mich langweilt und nervt das. Ich werde auch nie ein Popstar sein, was meine Arbeiten angenehm druckfrei macht. Unser Publikum in Europa wird uns folgen, in den Staaten sind wir schon vernachlässigt.«
11 »No Place called Hell«: »Are you scared cause you’re losing control«
»Angst, ja, fürchterlich. Ich war so schüchtern und ängstlich, und unsicher, aber es wurde immer besser. Es gibt für jeden Momente und Situationen, in denen sich plötzlich etwas ändert. Ich bin selbstbewusst wie noch nie, und das kam nur vom Performen.«
Bonustracks
Stille, Konzentration in höchster Form, Spannung im Höchstbereich: Scott Matthew präsentierte Ende Mai 2011 im Radiokulturhaus ziemlich alle Songs des aktuellen Albums, aber auch viele Songs der Vorgängeralben. Fast dramaturgisch konzipiert reiht sich Altes und Neues zum perfekten Kreis. »Es ist ernsthafte Musik, hoffe ich immer; eine Balance wie zwischen Ying und Yang, dem Licht und dem Dunkel. Klar sind auf dem neuen Album mehr Sonnenstrahlen, aber der Schatten, das Dunkle, das ist meine Handschrift.«
An allen drei Alben sind nahezu die gleichen Musiker beteiligt. »Ich spiel‘ zwar unter meinem Namen, aber in Wahrheit sind es immer Kollaborationen. Ich bin Singer/Songwriter, weder Komponist, noch Arrangeur ?? Mein diesbezügliches Talent ist sehr beschränkt, ich verlass‘ mich auf andere ?? Ich komm‘ mit meinen Vorstellungen, Spencer Cobrin und Mike Skinner machen die Arrangements und ich überlasse ihnen auch alles andere.« Eine Arbeitsteilung, die sich bei allen drei Alben bewährt: Kammermusikalische Kompositionen, die zeitlos wirken, sich aber nie in »It’s – all – one song« (Neil Young) ermüden. Als »quiet noise maker« sieht sich Scott selbst, als Wehklagender, als Verletzter, dessen Trophäen Narben sind. Sowohl die textliche als auch die musikalische Kontiunuität zeichnen die drei Alben aus: »Abandoned«, »In The End« oder »Little Birds«, Highlights des ersten Albums, finden in »White Horse« und »Friends and Foes« im »Ocean«-Album würdige Nachfolger. Wer Liebe und Verlust, Freundschaft und Gemeinschaft als Hauptthemen seines Lebens und seiner Musik auswählt, schließt den Faktor »?berraschung« vorsätzlich aus. »Oberflächlich gesehen wirkt alles autobiographisch, das heißt, mir geht’s immer mies. Aber das ist falsch. Ich mache nicht traurige Musik, sondern ich sehe bloß Melancholie als wunderschönen Wesenszug.«
Das englische Wort ??gallantry?? kennt im Deutschen keine sinngemäße eindeutige ?bertragung, daher brauchen wir jemanden, der uns an all die Tugend, Ritterlichkeit und Opferbereitschaft erinnert, die in diesem Wort steckt.
Der Galanterie liebster Sohn ist einer, der das Leben mittlerweile gelassen fließen lässt, und tatsächlich voller Liebe ist. Die sich in ehrlicher Freundlichkeit gegenüber so ziemlich jedem anderen zeigt. Das könnte man naiv und schwelgerisch nennen. Oder einfach annehmen, ein bisschen staunend, und lernen. Spread the word.
»Scott Matthew« (2008, Glitterhouse/Hoanzl)
»There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage That’s So Violent To Cross It Could Mean Death« (2009, Glitterhouse/Hoanzl)
»Gallantry’s Favorite Son« (2011, Glitterhouse/Hoanzl)
Scott Matthew Herbsttour 2011
15. 11. Graz/PPC
16. 11. Wien/WUK
30. 11. Innsbruck/Weekender
01. 12. Linz/Posthof
02. 12. Salzburg/ARGE
03. 12. Ebensee/Kino
Fotos: © Magdalena Blaszczuk