Beate Meinl-Reisinger ist die Hohepriesterin des politischen Blubberblubber. Niemand vermag es, Dampf mit so viel Selbst- und Sendungsbewusstsein abzulassen wie sie. Nach dem Ausscheiden aus den Koalitionsverhandlungen gab sie in der ZiB 2 eine unablässig von neuem startende Spieldose von Andeutungen und Schlagwörtern zum Besten: Wir = »notwendige Reform«, »Erneuerung«, »Leuchtturm«, »Initiative«, »Zukunft Österreichs«. Sie = »Schachern um Pfründe«, »alles bleibt, wie’s ist«, »Stillstand«. Und sie besitzt bewunderungswürdige Chuzpe, nach dem Abbrennen dieses Feuerwerks populistischer Knallfrösche ihren Verhandlungspartnern auch noch Populismus vorzuwerfen.
Kein Mensch mit politischem Verstand kann nur einer einzigen der leeren Hülsen Meinl-Reisingers Sinn abgewinnen. Es sind reine Emotionstrigger, um die subkognitive Ebene anzusprechen, jene, welche uns nach dem Vorbild der Werbepsychologie Politiker, aber auch Feuilletonisten und Medienpolitologen seit Jahrzehnten als den Ort des politischen Bewusstseins eingeredet haben, auf dass wir wahre Sachanalyse als abgehoben und wenig unterhaltsam, Verteilungsdebatten als radikal und neidgetrieben framen. Auch Christoph Wiederkehr spricht wie seine Chefin den Jargon, den die mündige Bürgerin, der mündige Bürger von heute verstehen: »Österreich braucht kein Klein-Klein, sondern große Schrauben!«, teilt er dem Fernsehpublikum in der ZiB mit.
Was meinen die alle?
Es oblag dann Christian Stocker, damals noch ÖVP-Generalsekretär und mittlerweile zum Chef der Volkspartei hochgestolpert, den Elefanten im Raum beim Namen zu nennen. Andreas Babler und sein Team hätten mit »linken Gedanken« wie Vermögensbesteuerung seinen Capo Nehammer traurig und Frau Meinl-Reisinger wütend gemacht. Oder in Stockers Neuauslegung der deutschen Sprache: »Die SPÖ hat eine Politik verfolgt, die in linken Gedanken mit Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern, einnahmenseitiger Sanierung des Budgets verbunden war.« Jeder, der die NEOS kennt, wusste, dass dieses Thema, dessen Name nicht genannt werden darf, die Verhandlungen zum Scheitern bringen würde.
Als einziges Sachthema, das sie zum Ausstieg aus den Verhandlungen bewogen habe, gab Meinl-Reisinger (und das gleich vier Mal) die Anhebung des Pensionsalters auf 67 Jahre an (ein leidenschaftlich gehegter Wunsch des Wahlvolkes, das seine statistisch erhöhte Lebenserwartung nicht auf der faulen Haut verbringen will, so diese der Statistik gehorcht und karzinomfrei bleibt). Doch ihr rhetorischer Tintenfischschwall hatte Sinn und Methode: Die NEOS-Chefin weiß genau, dass bislang alle Umfragen zum Thema Vermögenssteuer eine Zustimmung der österreichischen Bevölkerung zwischen 70 und 80 % aufweisen. In den 1960ern, zur Zeit der ÖVP-Regierungen von Bundeskanzler Klaus, betrug die Vermögensbesteuerung 4 %. Heute sind es 1,4 %.
Das heißt, die SPÖ mit ihren lächerlichen Mini-Restitutionen ehemaligen Raubs am Gemeinwohl will das Tor öffnen für realitätsfremden und ewiggestrigen Klassenkampf, an dessen Ende satanische, stalinistische Experimente auf Kosten freien Unternehmertums und unschuldiger Erben stehen wie in Südkorea (14,2 % des Gesamtsteueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern), Kanada (12,1 %), USA (11,9 %), UK (11,8 %) und der sozialistischen Diktatur Schweiz (7 %) (Quelle: OECD 2021). In der Eurozone toppt nur Lettland Österreich bei der ungleichen Konzentration von Vermögen. Die reichsten 10 % der Haushalte besitzen 56 % des Vermögens. Die untere Hälfte verfügt dagegen nur über 4 % des gesamten Besitzes. Die Vermögensbesteuerung wurde 1993 von der SPÖ-ÖVP-Koalition abgeschafft, die Erbschaftssteuer 2007 ausgesetzt.
Darf die Sozialdemokratie sozialdemokratisch werden?
Irgendwie hat Babler den uralten harmonischen Konsens in ideologischen Fragen gestört. Inhaltlich sind sich die Parteien relativ ähnlich, man mag einander bloß persönlich nicht. Nehammer mag Kickl nicht, hätte ideologisch aber gegen die FPÖ wenig einzuwenden (vom prorussischen und antieuropäischen Kurs einmal abgesehen) und war seinerseits wiederum vermutlich das einzige Hindernis für den ersehnten Honeymoon zwischen Blauen und Schwarzen. Lediglich in der allgemeinen Ablehnung Bablers ist die Personalisierung mit handfesten ideologischen und sachpolitischen Argumenten unterfüttert. Privat mag man ihn irgendwie süß finden, inhaltlich ist er untragbar. Ein mächtiger Block seiner eigenen Partei findet ihn weder süß noch inhaltlich tragbar. Mit dem Versuch, die Sozialdemokratie sozialdemokratisch zu machen, hat er sein politisches Todesurteil unterzeichnet. Wir lösen das Problem selbst, werden die SPÖ-Mobsters bei einem der letzten Geheimtreffen der Capi di Austria beruhigt haben.
Um Österreich zu retten (im allgemeinen Politverständnis: »damit wos weitergeht«), müssten die Parteien bloß ihre Obmänner verstecken oder absägen, um Meinl-Reisingers Visionen von »Reform, Leuchtturm, Nachhaltigkeit etc.« umsetzen zu können, ein Directoire aus Kunasek-Mikl-Leitner-Doskozil etwa, da würde die Chemie auch ideologisch stimmen, jene Abwärtsschraube der Schande aus Neoliberalismus mit nationalistischem und fremdenfeindlichem Antlitz zum Schutze der Korruption, Umverteilung nach oben und all der Ressentiments, die heutzutage wahlbestimmend sind. Nehammer könnte dann mit Othmar Karas und Reinhold Mitterlehner eine linksliberale Zierpartei mit christlichem Antlitz gründen. Wichtig ist, dass jetzt »Klein-Klein« verhängnisvoll wäre, was die österreichische Bevölkerung braucht, sind »große Schrauben«, die man auch feste anzuziehen weiß.
Ausgleichende Gerechtigkeit: Würde die Wahlfähigkeit der Österreicherinnen und Österreicher an eine Prüfung des politischen Verstandes und der politischen Bildung geknüpft werden, schnitten eine beträchtliche Zahl der Leute mit Uni- und Maturaabschluss, die liberale und grüne Intelligentsia, nicht besser ab als der FPÖ-wählende Mob, dem sich diese so überlegen fühlen. Auch sie halten ihre Medienpolitologen mit deren bewährter Mischung aus Astrologie, Image-Exegese und Babler-Bashing für Weise des Landes, echte politologische Analysen für populistisches Radikalengewäsch und nicken wie zu einem jazzgeschwängerten Jandl-Gedicht einhellig, wenn Worte fallen wie: Zukunft, Nachhaltigkeit, Demokratie, Reformen, Vision, Leuchtturm, nix Klein-Klein, große Schrauben …
Richard Schubert gibt es mitsamt neuem Buch »Lord Byron – der erste Anti-Byronist« im Café Siebenstern live zu erleben am 13. Februar 2025 ab 20:00 Uhr. Infos unter: https://www.facebook.com/events/610766094639283/