Adolf Schandl gibt bereitwillig Auskunft © kurtmayerfilm
Adolf Schandl gibt bereitwillig Auskunft © kurtmayerfilm

Jenseits des Skripts für die »schiefe Bahn«

Biographische Skripte und ästhetischer Takt: Kriminologische Bemerkungen zu Susanne Freunds Dokumentation »I’m a bad guy«.

Susanne Freunds Film über den Bankräuber und Geiselnehmer Adolf Schandl eröffnet eine biographische Perspektive auf das Leben eines Menschen, der aufgrund schwerer Verbrechen 40 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hatte. Es entsteht ein irritierend wirkendes Bild eines betagten, doch sehr agilen Menschen, der bis zur Verklärung auf ein Leben voller Gewalt, Verletzung und Flucht zurückblickt und auf eine Zukunft schaut, in der er eine Reise nach Australien organisieren möchte. Filme folgen Skripten, die ihren Aufbau und die darin erzählten Geschichten organisieren. Das tun Biographien auch, ein Umstand, den sich die narrative Psychologie zunutze macht, um Lebenswege, die in oder aus der Kriminalität führen, zu verstehen und auf dieser Basis zu erklären.

Adolf Schandl in seiner aktiven Zeit im Jahr 1972 vor Gericht © kurtmayerfilm

Jenseits bekannter Muster
Aus kriminologischer Sicht ist Schandl zunächst interessant, weil er nicht in eines der zwei Grundmuster passt, für die sich die Forschung meistens interessiert: Er ist weder jemand, der als Jugendlicher Straftaten begeht und irgendwann, spätestens Mitte 30 damit aufhört, wenn die Zwänge des Alltags und wichtige Bezugspersonen im Verbund mit der eigenen Persönlichkeitsentwicklung die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen. Noch ist er jemand, der früh auffällig wird, die Schule verweigert und nie in einem geordneten Leben ankommt, in dem er einem Beruf nachgehen oder eine Familie gründen würde. Das sind die vier bis fünf Prozent an Menschen, denen die Integration in das soziale Leben nie gelingt und die mehr oder weniger ihr ganzes Leben in einer Art Zick-Zack-Bewegung in kriminelle Zusammenhänge geraten und wieder Abstand davon nehmen, sich aber nie davon lösen.

Schandl ist anders. (Und Kriminalität ist – wie auch Krankheit – ein Individualphänomen, das sich nicht auf zwei Grundtypen reduzieren lässt.) Er hatte einen Beruf gelernt und ausgeübt, als er im Alter von 31 Jahren Straftaten beging und sich damit sprichwörtlich aus dem bisherigen sozialen Leben hinaussprengte. Man kann diese Darstellung als Tatsache nehmen: Ein schwerer Schicksalsschlag hat seinen Lebenslauf entgleisen lassen. Man kann ihn auch als Plot einer Erzählung auffassen, mit der sich Schandl – zunächst – vor einem Kameramann/einer Kamerafrau – erklärt und Rechenschaft gibt. Geschichten, die ein Leben und damit die eigene Person trotz offensichtlichen Scheiterns rechtfertigen sollen (etwa wenn man in der Psychiatrie oder im Gefängnis landet), funktionieren oft nach dem Muster der »sad tale«, der traurigen Geschichte. Das ist auch ein von Schandl eingeführtes Grundmuster. Aber es gibt auch ein anderes Muster: Seine Taten sind außergewöhnlich, er ist eine Legende, er war immer anders als der übliche tätowierte Häfenbruder, von dem er sich abheben möchte. Im Kern ist er also ein Held, wenn auch ein böser, ein »bad guy« wie es der Titel der Dokumentation nahelegt.

Schandl ist heute ein liebenswürdiger und gesunder alter Herr. Er wäre ein wunderbarer Darsteller für eine Erfolgsgeschichte aus Sicht der Gesundheitsvorsorge: So fit kann man mit 82 Jahren sein – ein Bier ist hin und wieder drinnen! Der Rückblick auf sein Leben ist jedoch gerade deswegen irritierend, weil er nicht einem Skript folgt, das man oft erwartet, wenn man mit Menschen spricht, die früher kriminell waren. Ein solches Skript führt über Läuterung und Einsicht von der Kriminalität weg. In diesen Geschichten werden Teile der Person für sozial inakzeptables Verhalten (Egoismus, Gewalt, Grausamkeit) verantwortlich gemacht, die aber nicht Teil des »wahren« Selbst sind. Dieser im Grunde gute Personenkern ist durch widrige Umstände und unglückliche Ereignisse lediglich verschüttet worden. Aber die Person war in der Lage, sich von den Fehlern der Vergangenheit zu befreien und ihren wahren Kern wiederzuentdecken. Wenn man den Skript-Gedanken sehr radikal interpretiert, würde man behaupten: Die Person erfindet sich in Form des wahren, doch verschütteten Selbst neu und tritt hervor wie der Phönix aus der Asche.

Schandl, durchaus bereit sich an die eigene Nase zu fassen © Lukas Beck

Das eigene Leid vor Augen
Das ist nicht die Geschichte, die Schandl erzählt. Sein Kern ist und bleibt ein »bad guy«. Aber mit so einer Geschichte muss man sprichwörtlich am Rand der Gesellschaft leben. Es ist schwer, sie sonst glaubhaft zu machen. Schandl erzählt nämlich nicht nur irritierende Geschichten, in denen er für seine Straftaten Rechenschaft gibt: Er erzählt von Unrecht und Bedrohung, die ihm widerfahren sind. Er würde ohne Pardon Gewalt ausüben, wenn er in die Ecke gedrängt wird – das ist in seinen Augen völlig gerechtfertigt. Wenn er als Mittäter eine höhere Strafe bekommt als die Haupttäter, dann kann doch etwas nicht stimmen. Das ist die eine Seite.

Er berichtet aber auch, dass es die große Liebe in seinem Leben nie gab. Wenn er auch geheiratet hat und aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, so hat er heute weder Freunde noch mag er Kinder. Australien ist in diesem Zusammenhang eine Utopie, ein romantischer Ort im Irgendwo außerhalb des Alltags, so idealisiert wie unerreichbar. Diese Variante der Loslösung von einer kriminellen Vergangenheit, indem man sich als Einzelgänger am Rand der Gesellschaft positioniert und in Ruhe gelassen werden möchte, ist auch eine mögliche Geschichte. Sie funktioniert nach dem Muster des Fremden im Sinne Georg Simmels. Das ist derjenige, der heute kommt und morgen bleibt und am Rand der Gesellschaft leben kann. Immerhin ist das »kriminelle Potienzial« noch da, aber es ist ruhiggestellt, wenn auch unter der Aufsicht Gottes, der im Alltag des Mannes präsent ist.

Der Rückblick auf die eigene kriminelle Vergangenheit ist aus dieser Perspektive für ein Publikum, das meistens in die Gesellschaft gut integriert ist, merkwürdig und erscheint widersprüchlich, mitunter irritierend. Aber diese Erzählung unterstützt Schandl darin, als Außenseiter und zugleich »unter Leuten« zu leben. Schandl macht diese Erzählung glaubhaft, vielleicht weniger für das Publikum, als für sich selbst, und der Film geht taktvoll mit seiner Geschichte um. Ganz unwidersprochen bleibt der Rückblick nicht, aber er wird auch nicht durch die Möglichkeiten filmischer Skripte in Frage gestellt oder gar zerstört.

Am 13. Mai 2018 um 17:00 Uhr findet im Votivkino eine Sondervorstellung von »I’m a bad guy« mit anschließendem Publikumsgespräch in Anwesenheit der Regisseurin Susanne Freund und des ehemaligen Kriminalisten Max Edelbacher statt.

Christopher Schlembach ist Soziologe und arbeitet (unter anderem) zur Soziologie des abweichenden Verhaltens. Früher – im Rahmen von Studien am Kuratorium für Verkehrssicherheit – ging es um Einbrecher, Bankräuber oder Internetbegtrüger. Heute stehen eher »deviante Gesellschaften« im Vordergrund und das ideologische Denken (Marxismus, Rassenlehre), das sie beherrscht.

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