© Adam Dekan
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Proaktive Selbstsabotage

Zwischen l’image and image spannt das imagetanz-Festival mit der Performance »House of Hyperculture« einen weiten Bogen mittels der künstlerischen Aufarbeitung der Präsenz alltäglicher Irritationen.

Ob mit dem James-Webb-Weltraumteleskop ein Blick auf den Ursprung des Universums gelingt oder ob das Thematisch-Werden des verdrängten Klassenkampfs tatsächlich den Kunstgenuss mindert, sind Fragen, denen sich der Autor und Performance-Künstler Fabian Faltin stellt und die er in sein Werk einfließen lässt. Mit skug spricht er über seine neue Performance, in der er nach Vorbild der »Collab Houses« der Influencer*innen in Wien im brut nordwest – einer zwischengenutzten Industriehalle in der Brigittenau – einen Raum schaffen will, in dem Subkulturen zu einer »Hyperculture« verschmelzen. Selbstverständlich gehört zur Hyperkultur das Lesen von skug genauso dazu wie das von Conan Doyle.

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skug: Welche Bedeutung hat deiner Meinung nach das imagetanz-Festival für die Szene in Wien?

Fabian Faltin: Das imagetanz-Festival schafft es, die doch recht kleine Blase der Wiener Performance-Szene zu durchbrechen und mit einem wahrlich hyperkulturellen Programm auch ein viel breiteres Publikum an Bord zu holen. Allerdings müsste man das auch erst soziologisch untersuchen. Die Mischung von Stars und Newcomer*innen – lokal und international – begünstigt jedenfalls unvorhersehbare Entdeckungen und charmante Begegnungen.

Deine Claim-artige Selbstbeschreibung lautet: »Theoretisch konsequent. Energische Praxis. Professionell unberechenbar.« Welche Bedeutung hat das imagetanz-Festival für dich als Performer?

Vorletztes Jahr gab es beim imagetanz-Festival eine Performance, die mich bis heute beschäftigt: »Panflutes and Paperwork« von Ingrid Berger Myhre and Lasse Passage. Ein minimalistisches Stück, mit lauter absurden Herausforderungen: Zungenbrecher sprechen, komplexe Patterns klopfen, absurde Choreografien tanzen. Das war für mich eine wegweisende Arbeit, die mir Mut gemacht hat, an das zu glauben, worum es mir – bei aller Ernsthaftigkeit – im Leben vor allem geht: Humor, Verspieltheit und proaktive Selbstsabotage. Übrigens beschäftigt mich jedes Jahr aufs Neue die hyperkulturelle Verwirrung, ob man »Image« nun Englisch oder Französisch aussprechen soll. Geht es hier um un image, ein tatsächliches Bild der Lage? Oder geht es um ein Selbstbild, unser Image, das wir gerne nach außen projizieren?

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Was reizt dich an Performance-Kunst im Allgemeinen?

In letzter Zeit kam es öfters vor, dass ich direkt nach den Proben im brut für das Stück »House of Hyperculture« mit Kleinkindern im Zoo und am Spielplatz unterwegs war und dann auch einen Schlaganfallpatienten besuchte. Ich fand es frappierend, wie sehr wir uns im Studio damit beschäftigen, künstlich jene Irritationen zu erzeugen, die im Kindergarten und in der häuslichen Pflege einfach Normalität sind: Stottern, surreale Gespräche, Krabbeln, Rasseln, emotionale Ausbrüche, Schweigen. Während es im Theater um Rollenspiel geht, widmet sich die Performance-Kunst der Präsenz als solcher. Mittlerweile reizt mich vor allem diese Ehrlichkeit und Nacktheit.

Du arbeitest gerne auch kollektiv. Warum machst du diesmal die Performance »House of Hyperculture« gemeinsam mit Adam Dekan?

Ursprünglich sollte Adam Dekan das »House of Hyperculture« akustisch wahrnehmbar machen. Er ist nämlich nicht nur ein großartiger Musiker und Sounddesigner, sondern jemand, der auch nicht davor zurückscheut, performativ zu arbeiten. Wie eine Orgel in der Kirche, oder das Ächzen eines Parkettbodens sollte er die Stimme des Hauses sein. Aber unsere Zusammenarbeit ist seither komplett ausgeufert. Ich habe ihn mehrfach in Bratislava besucht, wo er in einer sehr interessanten, selbstverwalteten Kulturkooperative wohnt, »Nova Cvernkova«, ein slowakisches »House of Hyperculture«, das mich sehr inspiriert hat. Die ehemalige Chemieschule ist ein Schlüsselort für die Kulturszene in Bratislava: mit Konzerten, Kulturshopping, sechs Stockwerken voller Ateliers, Studios und Start-ups. Trotzdem kennt das in Wien kaum jemand. Wir haben auch viel über gegenseitige Vorurteile zwischen dem reichen Westen und dem postkommunistischen Osten und unsere unterschiedlichen Familiengeschichten, Träume und Sackgassen gesprochen. Diese Suche nach Identität wird nun auch in die Performance einfließen, genauso wie unser gemeinsames Interesse an YouTube-Tutorials und Quantenphysik und unsere immense Bewunderung für das James-Webb-Teleskop.

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Wie ist dir ursprünglich die Idee zu »House of Hyperculture« gekommen?

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie wir in den letzten zwanzig Jahren von den Subkulturen der 1990er-Jahre zu der digitalen Hyperkultur der Gegenwart gekommen sind. Als Teenager in den 1990ern waren ich und meine Freunde stets auf der Suche nach subkultureller Andersartigkeit und Zugehörigkeit in einer Community – das konnte Mountainbiken sein, Techno-Partys, Kunst oder Literatur. Höchst inspirierende Erfahrungen, von denen wir bis heute zehren. Inzwischen läuft dieses Spiel aber auf einer obsessiv gesteigerten Frequenz, in einem halbvirtuellen Raum, wo Kultur, Konsum und Produktion immer enger und komplexer vernetzt sind. Allein in der letzten Woche habe ich in Wien Kimchi gegessen und Giraffenfleisch verkostet, ich war in der Savoy Bar und einem Montessori Kindergarten, habe traditionelle finnische Hirtenrufe und Aphex Twin gehört. Ich habe eine queere Performance gesehen, eine kritische Dokumentation über Aluminium in Impfstoffen, und bin medizinisch bestens versorgt mit mRNA und einer neuen Ultraschall-Zahnbürste. Bizarrerweise war das alles zugleich auch Arbeit. Im Urlaub geht es genauso weiter. Meine diversen Freund*innen reisen nach Namibia, nach Sizilien oder zum Neusiedlersee. Wir lesen Sherlock Holmes, Selbstmanagementbücher und natürlich skug. Anything goes, solange es zur eigenen Identität passt und dich als weltoffenen, ambitionierten, subtilen und originellen Menschen profiliert. Aller Diversität zum Trotz kommt es heute mehr denn je auf den feinen Unterschied an.

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Und wie bist du nun auf dieses Hyperkultur-Haus als Performance-Setting gekommen?

Ich erfuhr von den sogenannten Collab Houses, wo sich Tiktoker*innen und Influencer*innen in Villen einmieten und ein fiktives, von A bis Z kuratiertes Luxusleben führen – etwa wie im House of Hype in Los Angeles. Ich dachte, wir könnten nach diesem Vorbild in Wien ein House of Hyperculture gründen, wo unser globaler, hyperkultureller Lifestyle an einem einzigen Ort ausgelebt wird. Ein Ort, wo Hyperkultur greifbar und erzählbar wird. Zugleich ein Nicht-Ort, der an den Grenzen von Zeit, Raum und sozialer Klasse kratzt. Ein weltoffener, aber zugleich auch sehr enger Raum.

Das globale Dorf mit seinen inhaltlichen Leerständen zieht zur Nachverdichtung in eine kulturell generalsanierte Autofiktionen-Architektur …

Unlängst diagnostizierte eine Künstlerin bei mir den »Soziologievirus«. Wenn man beginnt, über Klasse nachzudenken, verliere man ja jede Freude an der Kunst. Und niemand kann über seinen eigenen Schatten springen. Aber stimmt das wirklich? Zumindest steckt in all dem sehr viel performatives, humoristisches und satirisches Potenzial; für mich persönlich die beste Art, Grenzen zu durchbrechen. Als Performance gedacht, könnten wir uns in einem solchen fiktiven Haus auch mal selbst in den Spiegel schauen. Bekannterweise gibt es seit Längerem eine intensive Auseinandersetzung mit Themen wie Identität, Gender und Rassismus. Mit unseren unterschiedlichen Positionen in diesen Debatten performen wir aber auch Klassenzugehörigkeit und kulturelle Distinktion. In der Hyperkultur der gebildeten Mittel- und Oberschichten ist Klasse eindeutig der »elephant in the room«. Durch Bildung, Konsum, Partnerwahl, Körperpflege, Geschmack und »Gefühl« grenzen wir uns ständig voneinander ab. Selbst wenn man ökonomisch sehr prekär lebt, was in der Kunstszene ja oft der Fall ist, kann man trotzdem Millionär*in sein. Man ist eben Millionär*in des kulturellen Kapitals.

Fabian Faltin ist Autor, Performer und Lehrer in Wien. Seine spekulative und ortspezifische Performance-Kunst behandelt mit Vorliebe soziologische Themen und ist in der österreichischen Provinz ebenso zuhause wie auf internationalen Festivals. Mehr Infos unter: www.fabianfaltin.com

Adam Dekan ist Multiinstrumentalist, Klangschöpfer, Hedonist, Forscher und ewiger Student in Wien und Bratislava. Musikprojekte: Nourish My Fame, Triple Sun, Nuku, Gladia Moony. Bühnenmusik für Daphna Horenczyk, Katarína Brestovanská u. a.Vormals Kurator des Stage Visegráds Club Program für Electronica, House and Techno in den V4-Staaten. Mehr Infos unter: www.adamvolt.com

imagetanz 2022, das Festival für Neues aus Choreografie und Performance, findet von 4. bis 26. März 2022 im Brut Wien statt: https://brut-wien.at/de/Programm/Festivals/Festivals/imagetanz-2022

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