Fehlfarben, im Vordergrund: Peter Hein. Hinten v.l.n.r.: Michael Kemner, Thomas Schneider, Frank Fenstermacher, Kurt Dahlke, Saskia von Klitzing © Neal McQueen
Fehlfarben, im Vordergrund: Peter Hein. Hinten v.l.n.r.: Michael Kemner, Thomas Schneider, Frank Fenstermacher, Kurt Dahlke, Saskia von Klitzing © Neal McQueen

»Ich mach Punk als Erinnerung an früher«

Mitte Oktober kehren die Fehlfarben mit ihrem neuen Album »?0??« zurück. Im Interview mit skug spricht Peter Hein, Sänger und Texter der Band, über die Hürden auf dem Weg zum Release, den Präsidentschaftskandidaten Marco Pogo und das Weiterleben des legendären Debüts »Monarchie und Alltag«.

Immer noch erscheint wöchentlich neue Musik, die eigentlich viel früher unter die Leute hätte kommen sollen. Etwa »?0??«. So lautet der nicht so leicht flutschende Titel des neuen Albums der Fehlfarben, das sich nun in die lange Liste der pandemiebedingt verspäteten Tonträger einreiht. Fehlfarben-Sänger Peter Hein bleibt trotz aller Unberechenbarkeiten ganz alter Hase, ihn habe das Hin und Her mit Produktion und Veröffentlichung kaltgelassen, sagt er im Interview. Der 1957 in Düsseldorf geborene Hein war 1979 Mitbegründer der Fehlfarben. Nach dem Debütalbum »Monarchie und Alltag« (1980), das als Meilenstein des deutschen Punk gilt, verließ er die Band jedoch und gründete kurz darauf die bis heute bestehenden Family Five. Nach zwei weiteren Alben lösten sich die Fehlfarben 1984 auf, Anfang der 1990er fand die Band – samt Hein – wieder zusammen. Das neue, insgesamt zwölfte Album »?0??« erscheint am 14. Oktober bei Tapete Records. Ab 7. Oktober befinden sich die Fehlfarben auch auf Tournee, am 10. November 2022 gastieren sie in der Wiener Arena.

Fehlfarben: »?0??« (Tapete Records)

skug: »?0??«, so heißt das neue Fehlfarben-Album. Viele Fragezeichen für so einen kurzen Titel. Was sind die zentralen Fragen, denen Sie nachgehen?

Peter Hein: Wenn man die Punkte weglässt, werden aus den Fragezeichen Zweien. Und so ergibt sich als Titel das Erscheinungsjahr, damit hängen Fragen zusammen wie: Wann gibt’s die Platte? Wird das Ding überhaupt jemals wirklich rauskommen? Das ist der simple Hintergrund. Wir hatten schon im Laufe des Jahres 2018 beschlossen, dass was Neues hermuss. 2019 haben wir erste Demos gemacht. Für Anfang 2020 hatten wir das Aufnehmen und die Veröffentlichung geplant. Aus bekannten Gründen ging das nicht.

Wie hat diese Unsicherheit auf Sie abgefärbt?

Auf mich persönlich überhaupt nicht. Mich lässt das alles kalt. Aber für uns als Band war es schon Thema. Das letzte Album war fünf, sechs Jahre her. Dazwischen habe ich zwei Family-Five-Platten gemacht (Heins zweite Band, Anm.). Wie gesagt, wir hatten zwar ein paar Demos, aber eigentlich nichts im Kasten. Das Aufnehmen neuer Lieder ist bei uns ohnehin immer etwas schwieriger als bei einer Band, die jeden Montag probt, weil wir quer über Deutschland und Österreich verteilt sind. Und dann wurd’s noch schwieriger. Es war ein ziemliches Hin und Her, bis wir uns mal treffen konnten.

In der Zeit waren eher digitale Treffen en vogue.

Ja, aber da laberst du nur blöd herum. Oder du hörst von den anderen nur: »Siehst du mich? Verstehst du mich? Oh, jetzt bist du weg!« Richtig arbeiten kannst du da nicht. Musik machen schon gar nicht.

Im Video zu »Europa«, der Vorab-Single des neuen Albums, treten zahlreiche Stars auf. Genauer gesagt, in Deep-Fake-Manier wird ihnen der Songtext in den Mund gelegt. Karl Marx, Brad Pitt, Ursula von der Leyen, Jürgen Klopp, um nur einige zu nennen. Wie kam die illustre Runde zustande?

Diese Leute sind einfach ein Querschnitt durch irgendwas. Und die meisten sind ja aus unserer Zeit, also etwas älter. Bei allen, die jünger aussehen als dreißig, habe ich keine Ahnung, wer das ist. Ich hab’ mich beim Video rausgehalten, hab nur einmal gesagt: Könnt ihr nicht ein paar mehr Leute nehmen, die wir kennen? Oder auch ein paar Frauen? Ich interessiere mich ja eigentlich nie für die Videos. Aber sollen sie machen. Ich möchte dafür jedenfalls nicht viel Geld ausgeben.

In »Brot ohne Spiele« beklagen Sie, der Musik fehle heutzutage der Krach. Nun ist es so: Ungefähr so lange, wie es die Fehlfarben gibt, gibt es Stimmen, die Gitarren- bzw. Rockmusik für tot erklären. Und natürlich gibt es sie trotzdem immer noch. Welche Rolle spielt Punkrock auf dem Musikmarkt?

Punkrock ist immer noch irgendwie als Nische zu sehen, aber vermutlich auf dem Vinylmarkt einigermaßen gut vertreten. Genau kann ich es nicht sagen, ich kauf’ da nichts, hör’ auch nichts davon. Ich mach’s nur ab und zu selbst – so als nette Erinnerung an früher. Allerdings sehe ich keinen Zusammenhang zwischen Punkrock und dem, was wir heute machen. Außer dass wir, als wir noch kleine Stinker waren, mal Punk gemacht haben, besser gesagt: machen wollten. Aber wir haben das ja gar nicht so richtig gekonnt. Und eigentlich hatten wir als Fehlfarben die Schienen für den Zug des Punk schon rausgerissen.

In Österreich kandidiert Marco Pogo, seines Zeichens Sänger der Band Turbobier und Vorsitzender der Bierpartei, bei der Bundespräsidentenwahl. Ist das Punk?

Solche Sachen gibt’s seit Ewigkeiten. In Deutschland gab’s die Anarchistische Pogo-Partei, die gründete sich irgendwann in den 80ern und war ein Versuch, die Assi-Punk-Szene in eine organisierte Form zu bringen. Eigentlich ganz geschickt: Bei einem gewissen Erfolg hätten sie sich ihren Bierkonsum tatsächlich vom Steuerzahler bezahlen lassen können, weil es ab einer bestimmten Stimmenzahl ja Geld vom Staat für eine Partei gibt. Das war aber schon Teil dieser Punk-Welle, die mich null tangiert hat. Eine Art Sympathie hatte ich dennoch dafür. Später gab’s diese »Titanic«-Geschichte mit der Partei Die Partei. Das ging auch in die Richtung: Wir übernehmen die Politik. Aber, ganz ernsthaft, was man so mitbekommt, macht die Bierpartei in Wien, wo sie ein paar Mandate auf Bezirksebene hat, bessere Politik als die meisten anderen. Marco Pogo – beziehungsweise Dominik Wlazny, wie er ja heißt – gehört ohne Frage zu den Gescheitesten der Kandidaten.

Manche sehen in der Kampagne Wlaznys einen Demokratieverfall.

Ja, das ist natürlich ein Riesenblödsinn. Ich finde, Wlazny geht die Sache ernster an als die anderen, den Amtsinhaber Alexander Van der Bellen vielleicht ausgenommen. Er entstammt nicht irgendeiner Talkshow, und er macht keine Immobiliengeschäfte nebenher. Das Argument seiner Kritiker lautet ja: Der tritt an, obwohl er eh keine Chance hat, und nimmt nur anderen – also im Prinzip Van der Bellen – Stimmen weg. Ich frage mich, wo ist da das Demokratieverständnis? Aber um darauf zurückzukommen: Das, was Wlazny macht, hat nichts mehr mit Punk zu tun. Eher ein Fall von: Aus Spaß ist Ernst geworden. Und außerdem ist er beruflich meines Wissens nach wie vor praktizierender Arzt. Da kannst du auch nicht permanent besoffen sein.

Peter Hein © Jannik Eder

Apropos besoffen, auf dem neuen Album heißt es in »Tanz auf der Straße«: »Tanz auf der Straße bis morgens um vier / bis zur Ekstase, dafür sind wir hier«. Sieht so etwa Ihr gegenwärtiges Leben aus?

Ne, natürlich nicht. Um vier Uhr morgens muss ich höchstens mal aufstehen und pissen gehen. Das sind sentimentale Erinnerungen. Ein bisschen haben wir da bei »Dancing in the Streets« geklaut, aber das haben schon ganz andere getan. Und wir haben das Lied in einer Lockdown-Phase gemacht, wir dachten uns: Lasst uns all das wieder zurückholen, zumindest die Erinnerungen.

Hatte Ekstase in Ihrem Leben ausreichend Platz?

Ja, absolut. Aber jetzt, wo es wirklich wieder möglich ist, bis um vier oder sonst wann zu tanzen, möchte ich gar nicht mehr mitmachen. Da würde ich zusammenklappen und mir würden die Gelenke auseinanderfliegen.

Im Lied »Der letzte Traum« singen Sie dann – no na – über Träume. Welcher Traum sollte sich für Sie im Leben noch erfüllen?

Fortuna Düsseldorf wird nochmal deutscher Meister. (lacht) Nein, um ehrlich zu sein, bin ich bei dem Lied nur Interpret, ich war mit der Ursprungsidee gar nicht befasst. Mit der Träumerei tue ich mich generell schwer. Das Ausbreiten dessen, was man zu erreichen wünscht – ich kann das nicht so ernst nehmen. Mir persönlich geht es okay, eigentlich alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich bin da nicht großkotzig. Mir reicht’s, wenn wir hie und da eine Platte machen können. Und auf der können wir uns dann wieder über alles Mögliche beschweren.

Denkt man an Fehlfarben, denkt man an das den deutschen Punkrock so prägende Debüt »Monarchie und Alltag« von 1980. Bis heute wird in der Popkultur darauf referenziert, im vergangenen Mai erschien nun ein »Songcomic«, in dem elf Zeichner*innen und Illustrator*innen die Lieder in Bilder umwandeln. Wie erklären Sie sich die bis heute anhaltende Sogwirkung von »Monarchie und Alltag«?

Warum die Leute das so einmalig finden, kann ich nicht sagen, aber: Sie werden vermutlich recht haben. Wir hatten »Monarchie und Alltag« so gut gemacht, wie wir damals konnten. Aber wir haben es nicht so groß gedacht, wie es in der Rezeption geworden ist. Das Lustige ist, dass das Album nach all der Zeit, bei all den Interessenwechseln immer noch so gut ankommt. Da gibt’s inzwischen mehrere Generationen von Kritikern, die voneinander abschreiben, dass »Monarchie und Alltag« so toll ist. Find ich prima!

Ergeben sich für Sie durch die Bearbeitung des Werks, beispielsweise in Comicform, andere Perspektiven darauf?

Das Comic hab ich nicht so richtig verstanden, muss ich gestehen. Aber so ist das halt: Man hört oder sieht Sachen, und dann entstehen Bilder im Kopf, die ganz anders aussehen können als bei dem, der fürs Original verantwortlich ist. Wenn ich eine Platte höre, will ich ja auch nicht die Gedanken und die Botschaften von demjenigen, der die Platte gemacht hat, empfangen und dann ausführen – sondern ich möchte daraus machen, was ich will: mich darüber freuen, dazu tanzen, heulend in der Ecke liegen, Bierflaschen schmeißen. Darum geht’s. Und die Zeichner sind junge Leute, die ein paar Dinge von »Monarchie und Alltag« eben anders sehen als ich. Das Problem war eher, dass wir bei der Anfrage zum Comic dachten, darin soll es um unsere Story als Band gehen. Und am Schluss ging’s doch wieder nur um die alte Sache.

»Monarchie und Alltag. Ein Fehlfarben-Songcomic.« Herausgegeben von Gunther Buskies und Jonas Engelmann. Ventil Verlag, 2022

Sie leben seit einigen Jahren in Wien. Inwiefern schlägt sich das in Ihrem Schaffen nieder?

Ich habe inzwischen in zwei, drei Stücken so Ausdrücke drin wie »Es geht sich aus« …

… »Geh’ scheißn«, hab ich an einer Stelle gehört.

Richtig. Insofern schlägt sich das tatsächlich nieder. Aber sonst halt ich mich mit Grobheiten zurück, zum Herumschimpfen fahr’ ich lieber nach Berlin. Ich will ja hier noch in Ruhe zum Bäcker gehen können.

Jedenfalls schlägt einem aus Ihren Liedern oft ordentlicher Grant entgegen. Und Grant hat ja auch in Wien ein fixes Zuhause.

Ja, den Grant hab’ ich quasi schon mitgebracht, also von dem her passt es ganz gut.

Zitat aus »Ich kann es kaum erwarten«: »Ich wohne in dem Land, wo Nazis blühen / wie Bäume, unten braun und oben grün« – ein Bezug zur Wahlheimat?

Tja, so ist es, genau da wohne ich. Das ist im Großen und Ganzen für mich Österreich.

Link: http://www.fehlfarben.com/

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