Egal ob Revolte oder seelischer Schmerz: Jungs scheinen immer schreien zu müssen, mit Haut und Haar und mit der Gitarre. Ob die nun früher einmal Tocotronic hießen oder heute 1000 Robota. Ganz anders die drei Frauen von die Heiterkeit. Hier regiert nämlich, anders als der Name es vermuten lässt, extreme Abgeklärtheit und Gelassenheit. Beispielhaft dafür und für das ganze Album ist gleich der erste Song, »Alles ist so neu und aufregend«. Der Text an sich eine euphorische Hymne an ein ganz neu erlebtes Leben: »Alles ist so neu und aufregend / Blumen pflücken am Kanal / Alles ist so neu und aufregend / Bier trinken in der Bar.« Die Musik allerdings so unaufgeregt wie ein Spaziergang im Wald. Die Gitarren schrammeln beinahe lustlos vor sich hin, das Schlagzeug gibt den Takt ohne Firlefanz, selbst der kurze Rock-Ausbruch kommt gedämpft daher. Der Gesang schließlich könnte emotionsloser nicht sein. Auch die restlichen Songs bleiben im Midtempo, entspanntes Gitarrengeschrammel begleitet den zurückhaltenden, manchmal zarten Gesang von Stella Sommer. Das eine Mal trifft so textlicher Größenwahn auf musikalisches Understatement, wie im nonchalanten »Baby, wein? mir keine Träne nach« oder im tröstenden »Komm in meine Arme«. Das andere Mal speist die Ahnung von einer Unausweichlichkeit der Zukunft eine eigentümliche Ruhe, wie in »Für den nächstbesten Dandy« oder in »Alle Wege«. Das erinnert ein wenig an die Abgeklärtheit, mit der Tilman Rossmy auf »Unten« seine Liebesgeschichten vortrug. Und es ähnelt den Lassie Singers in ihren lethargischen Momenten, etwa wenn sie von ihrem »Zukünftigen Ex-Freund« sangen. Ansonsten aber sind Die Heiterkeit ziemlich allein auf weiter Flur. Mit ihrem Schrammel-Grunge, der mal nach Hamburger Schule, mal nach amerikanischen Slacker-Bands klingt, scheinen Die Heiterkeit zudem ziemlich aus der Zeit zu fallen. Obwohl ihre Herangehensweise so zeitgemäß wie neuartig ist, könnte es also passieren, dass sie mit ihrem Sound gut fünfzehn Jahre zu spät kommen. Zu wünschen ist ihnen das allerdings nicht. Denn in der Unaufgeregtheit dieser Band liegt nicht nur die zutiefst menschliche Antwort auf unsere hysterische und hektische Zeit – gerade jetzt, wo sich die Maschine trotz, oder besser wegen all der Hektik heiß gelaufen hat. Ihr Sound und ihr Konzept bildet auch einen Gegenentwurf zu den Heerscharen aufrührerischer, jugendlich-ungestümer (natürlich nicht nur) Jungsbands. Sie erteilen damit jenen Künstlermythen eine Absage, nach denen ein solcher möglichst authentisch seinen Schmerz und sein Unbehagen in die Welt hinaustragen sollte.
Die Heiterkeit
»Herz aus Gold«
Nein, Gelassenheit
Text
Hardy Funk
Veröffentlichung
21.11.2012
Schlagwörter
92
Die Heiterkeit
Nein, Gelassenheit
Staatsakt
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