Punk und Hardcore, still alive and well. Hier soll es nicht um skug-Lieblinge der 1990er-Jahre wie Minutemen, Dead Kennedys oder Black Flag gehen, sondern um ein Festival, das die Stile mit anderen Mitteln fortschreibt. Die musikalische Bandbreite des Seewinkel Noise Factory Festivals, am 16. und 17. Juni in der Arena Wien, ist riesig und die Blüte an kuriosen Bandnamen relativ massiv. Die Synth-Punker*innen The toten Crackhuren im Kofferraum sind toll, weil sie etwa mit Witz Männer in die Schranken weisen, zum Beispiel im Song »Bau mir nen Schrank« feat. Taby Pilgrim & BLOND. Jodie Faster aus Lille halten die HC-Fahne und Polizei-Dissing hoch, die Petrol Girls zünden rockig mit Sängerin Ren und großartigen Songs wie »Baby, I Had An Abortion«, während Demenzia Kolektiva, ebenfalls mit Vokalistin/Gitarristin, dem Festival-Wort »Noise« gerecht werden. Waving The Guns, der Headliner am Samstag, ist eine antifaschistische HipHop-Crew aus Rostock und in der Aftershow Party danach mixt Björn Peng Gitarrenpunksamples und Wave-Synthies zu einem Genre, das kurzerhand Dark Rave getauft werden könnte. Einige Acts mehr gälte es vorzustellen, doch viel gewichtiger sind die Urheber, die Menschen hinter der Kulisse des Seewinkel Noise Factory Festivals. Ein E-Mail-Interview mit Daniel und Christopher vom Verein Seewinkel Noise Factory.
skug: Wie verlief eure musikalische Sozialisation? Wie wird man vom Fan zum Veranstalter?
Daniel: Musikalisch bin ich ziemlich breit aufgestellt, was mich jedoch am Punk immer fasziniert hat, war die Möglichkeit sich frei entfalten zu können. Punk stellt für mich eine subkulturelle Szene dar, in der sich ohne Dogmen und spirituellen Bullshit ein Weg raus aus unserer konsumorientierten Welt erschließt.
Dies zog wohl auch eine Vereinsgründung mit sich?
Christopher: Der Seewinkel ist eine eintönige, ruhige Region im Burgenland, in der es außer Feldern, Scheißdörfern und einem See nichts gibt, zumindest heute. Vielleicht mögt ihr es kaum glauben, aber es gab in den 2000er-Jahren auch mal eine Punkszene mit gar nicht so wenigen Bands und Konzerten. Da sich die Leute nach und nach in Luft aufgelöst haben, versuchten wir hier mit der Gründung des Vereins im Jahr 2011 entgegenzuwirken, das örtliche Bild und die Geräuschkulisse zu verändern und so der burgenländischen Tristesse den Mittelfinger zu zeigen.
Erfolgten die Ursprünge in einem Fabriksgebäude im Seewinkel? Mittlerweils steigt die bereits achte Auflage. In der Wiener Arena sind sicher mehr Leute zu generieren als am Neusiedler See. Seit wann und warum habt ihr das Festival in der Arena etabliert?
Daniel: Lustig, dass du das fragst. Das Ding mit dem Fabriksgebäude hören wir nicht zum ersten Mal. Aber der Name bezieht sich eher auf das, was wir machen. Wir achten darauf, ordentlich Noise auf unsere Bühnen zu bringen.
Christopher: Die Veranstaltungen im Seewinkel fanden einige Jahre auch gut Anklang und das Feedback war durchaus positiv. Irgendwann bzw. vielleicht auch generationsbedingt flaute das Interesse der Leute trotzdem ab und unsere Aktivitäten verlagerten sich dann doch in die Stadt. Die Ambitionen blieben aber die gleichen.
Der Kern des Festivalsteams umfasst vier Personen, wie sind die Aufgaben verteilt?
Daniel: Wir organisieren so gut wie alles selbst. Grundsätzlich teilen wir uns alle Tätigkeiten nach persönlichen Ressourcen auf.
Christopher: Natürlich gibt es Dinge, die aufgrund der Einfachheit oder Erfahrung mal mehr, mal weniger bei jemand Bestimmtem angesiedelt sind. Nach über 100 Konzerten und 8 Festivals sind wir aber ein mehr als eingespieltes Team.
Vermutlich seid ihr auch auf freiwillige Helfer*innen angewiesen, was könnt ihr diesen bieten, ohne Bezahlung?
Christopher: Bei normalen Konzerten bekommen wir das zu viert meistens ganz gut hin. Aufgrund der Größe und Dynamik eines Festivals sind wir natürlich zum Teil auf unsere Freund*innen und Bekannten angewiesen, die gerne mit anpacken. An dieser Stelle nochmal ein Danke an alle Beteiligten, die stets ihre Zeit und Hilfe anbieten – ihr seid großartig!
Die Sounds, die ihr präsentiert, stehen für Punk mit Haltung, durchaus mit musikalischer Variationsbreite. Wer von den Bands des diesjährigen Line-ups lehnt sich deiner/eurer Meinung nach am weitesten hinaus?
Christopher: Es ist gar nicht die Frage, wer sich am weitesten aus dem Fenster lehnt. Wir versuchen, beim Festival ein bisschen Abwechslung reinzubringen, ohne den Rahmen zu sprengen. Wichtig dabei ist uns ein Grundkonsens. Wir glauben, dass uns dies heuer sehr gut gelungen ist.
Etwas überraschend findet sich auch eine HipHop-Gang im Line-up. Was zeichnet Waving The Guns (ich erinnere mich an ein NWA-Konzert mit Maschinengewehr-Choreografie in der Arena) aus?
Christopher: Waving the Guns stehen für Hass und gute Laune, High Fives und Ohrfeigen, Kopfnicken und Nein-Sagen. Rap, der politische Haltung und kritische Auseinandersetzung mit Humor und Spaß an der Musik verbindet, ohne sich auf irgendwas reduzieren zu lassen oder irgendwen zu sehr in Selbstsicherheit zu wiegen.
Es wird auch eine Buchpräsentation geben. Mit Lesung? Bitte um Näheres dazu!
Daniel: »Punk as F*ck« heißt das gute Werk. Das Buch thematisiert, dass die Punkszene bis heute sehr männerdominiert ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass patriarchale Strukturen der Mainstream-Gesellschaft reproduziert werden. Das wollen viele FLINTA-Personen in der Szene zu Recht nicht mehr akzeptieren – sie fordern daher mehr Reflexionsbereitschaft und das Recht auf Mitgestaltung ein. Das bedeutet Veränderung auf persönlicher, aber auch struktureller Ebene. Und wir wollen Teil dieser Veränderung sein!
Christopher: Ronja Schwikowski, eine der beiden Herausgeberinnen, wird das Buch präsentieren, daraus vorlesen, generell über die aktuelle Lage sprechen und was ihr/wir als Veranstalter*in, Band, Location usw. machen könnt, um ein Zeichen zu setzen.
Zählt zum Rahmenprogramm noch Weiteres, auf das ich vergessen hätte? Auch das Catering? Dass die Seewinkel Noise Factory veganes Essen anbietet, finde ich wichtig im Schnitzelland Österreich. Handelt es sich um rein vegane Speisen oder wird auch anderes angeboten?
Daniel: Ja, wir haben, wieder einmal auch einen Friseur*innensalon, da könnt ihr euch umstylen oder euren Iro wieder aufpeppen. Die letzten Jahre haben wir ausschließlich veganes Essen angeboten. Da dieses Jahr jedoch ein externer Caterer kochen wird, gibt es auch nicht-vegane Speisen am Festivalgelände.
Ich erinnere mich an die Straight-Edge-Bewegung im US-Hardcore, die gegen Drogenkonsum agitierte. Nüchtern bleiben, auch ohne Alkohol. Ein derartiger Dogmatismus ist euch wohl wesensfremd?
Daniel: Wie schon vorher erwähnt, stehen wir nicht so auf Dogmen. Das Wichtigste für uns ist, dass wir einen Platz für alle schaffen. Das bedeutet jedoch auch, dass wir Arschlöcher nicht willkommen heißen, ob die dann nüchtern sind oder nicht, ist uns dabei relativ egal.
Christopher: An dieser Stelle finden wir es auch noch wichtig, auf unser Awareness-Konzept hinzuweisen. Leider reicht ein Appell an die Feiernden nicht immer, dass ein respektvoller Umgang untereinander erwünscht ist und Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit auf der Veranstaltung keinen Platz haben. Wir möchten die Kultur des Wegsehens und Verharmlosens durchbrechen und Betroffenen wirklich helfen, indem wir auf dem Festivalgelände eine Unterstützungsstruktur aufbauen.
Nun sind wir alle auf den Geschmack gekommen. Nicht Bierernst, sondern brachialer Humor kennzeichnet das Festival. Bleibt noch das Dreschen der Schlussakkorde. HC Baxxter, der wie Björn Peng am Samstag den freitäglichen Rausschmeißer gibt, ist eine subversive Anspielung auf den Scooter-Frontmann HP, macht auf Synthie Punk und ist etwa in der »Definition von Glück (feat. Beckx)« definitiv gut drauf. Lust statt Frust! Deshalb: Let’s go Seewinkel Noise Factory Festival.
Link: https://www.instagram.com/seewinkelnoisefactory/
Tickets:
https://arena.wien/Home/Programm-Detail/concert-id/46612