Bildende Kunst, Musik, Film und Literatur stehen in einem luftleeren Raum und sind unabhängig von Gesellschaft und historischem Status Quo zu betrachten und zu bewerten. Große Kunst macht aus, dass sie zeitlos schön ist und sich nicht an Weltlichem, Vergänglichem aufhält. Und wenn sie es dann doch tut, so gibt es ja noch immer die sogenannte Ästhetik, die über allem Inhalt steht, von ihm getrennt, und zur Not inhaltliche Mängel aufwiegt. So darf man zum Beispiel auch Frauen verachten, Genozide leugnen oder selbst daran teilgenommen haben. Solange die Figur des Schriftstellers und des Menschen klar trennbar sind, ist also kein Problem zu sehen.
#metoo
Nachdem es Ende 2017 der Hashtag »me too« zu enormer Aufmerksamkeit brachte und Frauen dazu ermutigte, sexuelle Übergriffe und Gewalt an die Öffentlichkeit zu bringen, fiel die Verleihung des Literaturnobelpreises 2018 ins Wasser. Jean-Claude Arnault, Ehemann eines mittlerweile ausgetretenen Akademiemitglieds, wurden u. a. Übergriffe auf Frauen und sexuelle Belästigung vorgeworfen, was dann das Komitee zur schlauen Entscheidung brachte, erstmal das Kinderzimmer aufzuräumen, bevor gefeiert wird. Die Preisvergabe wurde aufs folgende Jahr verschoben.
»Die politische Korrektheit hat eine krachende Ohrfeige erhalten, eine Niederlage erlitten«, so freut sich ein Literaturmensch des deutschen Fernsehens, der auch nicht müde wurde, Ex-SS-ler Günter Grass oder Martin »Schluss mit Erinnerungskultur« Walser zu hofieren. Opfer und Angehörige der Shoah dürften dieses grenzdebile Verhalten mittlerweile gewohnt sein, traurig macht es jedoch allemal. In Zeiten des neu erstarkenden Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Faschismus macht es natürlich Sinn, politische Korrektheit, also den Versuch, sich so auszudrücken, dass man die Würde anderer Menschen nicht verletzt, anzuprangern. Man selbst ist einfach viel zu geil für sowas. Die amerikanische PEN-Vereinigung ist da offensichtlich wesentlich vernünftiger und kritisierte die Entscheidung auf ihrer Seite deutlich.
Edgelord Peter
Über #metoo sagte Peter Handke in einem Interview: »Ich kann es nicht mehr hören. Die Frauen, die da die Männer anflammen, und dann beschweren sie sich.« Nun, die Aussage, solche Argumente bekäme man ja fast nur von weißen alten Männern, ist mittlerweile schon recht abgenutzt. Schön wäre es, wenn alte weiße Männer wie Handke einen nicht ständig dazu bringen, es zu wiederholen. Ganz vergessen schon die Vorwürfe von seiner einstigen Lebensgefährtin Marie Colbin, die ihm nicht nur Machthungrigkeit vorwirft, sondern ebenso Gewalttätigkeit, die sie am eigenen Leibe erfahren musste. Mit seinem Bergschuh soll er sie in den Bauch getreten haben, mit der Faust ins Gesicht geschlagen, sodass sie zu Boden stürzte. Umso bizarrer, dass das Nobelpreiskomitee nach dem ganzen Elend im letzten Jahr so unglaublich reagiert und eine Person wie Handke preiskrönt.
Nur zur Erinnerung: Mit dem Literaturnobelpreis wird ein Mensch geehrt, nicht sein Werk. Das Geld und den Ruhm bekommen nicht seine Bücher. Seine Öffentlichkeit und die Macht, die er mit seiner Stellung als gefeierter, angesehener Schriftsteller besitzt, hat Handke mehrfach dazu benutzt, um für Kriegsverbrecher in die Bresche zu springen. Das ist mit Sicherheit nicht sein ganzes (literarisches) Werk, aber Grund genug, um den Preis nicht einer Person zu geben, die sich bei ihrem Versuch, eine andere als die »westliche« Sicht auf die Jugoslawienkriege zu geben, völlig verirrte.
Die österreichische konservative Tageszeitung »Die Presse« meint: »Hat Peter Handke den Nobelpreis verdient? Ästhetisch auf jeden Fall!« Vielleicht meinten sie damit bloß Texte wie »Wunschloses Unglück« oder »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter«. Aber gehört dazu auch »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien« oder gar die Grabrede für Slobodan Milošević? Die muss ja ästhetisch sehr schön gewesen sein. Schwamm drüber. Viel schlimmer: Nun haben auch alle Überlebenden und Angehörige der Massaker von Srebrenica keinen Grund zu feiern. Für alle die nämlich dürfte das alles wie ein Schlag in die Magengrube sein. Alle diejenigen, die nicht müde werden, zu behaupten, man würde ihnen etwas wegnehmen wollen, wenn man eigentlich bloß das Verhalten von Menschen kritisiert, dürfen dagegen aufatmen: Peter Handke wird auch dieses Jahr nicht verboten, er bekommt sogar einen Preis. Endlich ein Preisträger, auf den man in Österreich stolz ist, zwinker.