Es gleicht einer gewissen Ironie des Schicksals, dass ein Film mit dem sehr wirksamen Titel »Große Freiheit« drei Tage vor einem weiteren Lockdown in die österreichischen Kinos gekommen ist. Es verstärkt aber zugleich auch sein Echo um einige Frequenzen und lässt auf eine diskursreiche Kinozeit post Lockdown hoffen. Der Streifen von Sebastian Meise, der bereits auf der Viennale 2021 gelaufen ist und ganz generell international schon einiges an positiver Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, beeindruckt dabei in vielerlei Hinsicht, die in bezeichnender Weise den langen Weg der Endkriminalisierung von Homosexualität in den Mittelpunkt seiner Erzählung stellt. Die österreichisch-deutsche Co-Produktion behandelt dabei die eigene Geschichte in einer geschickten Dramaturgie, die den Bogen von 1945 bis 1968 spannt und trotz des reduzierten räumlichen Settings großen Raum für die wirklich berührenden zwischenmenschlichen Geschichten eröffnet.
§ 175 hinter Gittern
Ein geschichtliches Faktum ist, dass der § 175 bis 1968 in Deutschland dazu befugte, Menschen, die der »Ausübung homosexueller Praktiken« bezichtigt oder der »Perversität« verdächtigt wurden, potenziell hinter Gitter zu bringen. Ein Detail dieser historischen Realität, die jedoch kaum bekannt ist, war, dass Personen, die bereits vor 1945 durch die Nazis aufgrund ihrer Homosexualität in Konzentrationslagern eingesperrt und gefoltert wurden, kurz nach der Befreiung durch die Alliierten direkt ins Gefängnis überführt wurden, wo sie die Restzeit ihrer »Strafe« absitzen mussten. Ebendas ist nämlich die Geschichte des ersten der beiden Protagonisten, Hans Hoffmann (Franz Rogowski), der sich 1945 – von einer Unfreiheit in die nächste manövriert – plötzlich mit Viktor Bix (Georg Friedrich) in der Zelle eines staatlichen Gefängnisses wiederfindet. Letzterer macht kein Geheimnis daraus, wie sehr er sich von Hans’ »Neigungen« abgestoßen fühlt, und findet trotz seiner Widerstände Mitgefühl zu dem komplett konterkarierenden Charakter Hoffmanns, der ihn im weiteren Verlauf des Filmes immer wieder in überraschender Weise in seiner eigenen sturen Weltsicht vor den Kopf stoßen wird.
Stille Begegnungen
Eine der kinematographisch interessantesten Dinge an Meises Film ist, wie viel die Auslassungen im Dialog der beiden Protagonisten sowie aller anderen Randcharaktere an Resonanzraum ermöglichen, in dem die*der Zusehende sich trotz der Distanz zur eigentlichen Erzählung irgendwo wiederfinden kann. Obwohl die Geschichte eine klare Linie hat und auch nicht damit spart, viele historische Details in subtiler Weise einfließen zu lassen und sichtbar zu machen, so ist der Film im Succus doch auch eine Erzählung über Liebe, die eine gewisse Allgemeingültigkeit hat. Das Gegensatzpaar aus Hans und Viktor – dem Deutschen und dem Österreicher, dem schuldlosen Gefangenen und dem »richtigen« Verbrecher, dem sensiblen, aber vor Lebenslust strotzenden Träumer und dem resignierten, aber prinzipientreuen Realisten – ist dabei das maßgebliche Scharnier, das die beiden Welten trotz ihrer Ambiguitäten irgendwo auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Besonders hervorzuheben ist dabei die Glanzleistung der beiden Schauspieler, die mit so wenigen Worten Begegnungszonen erschaffen, in deren Stille sich ganz große Diskursmöglichkeiten ergeben. Sei das in der Szene, in der Viktor Hans seine KZ-Nummer übertätowiert und es so zu einer ersten Intimität zwischen den beiden kommt, oder die Szenen, in denen Hans Viktor durch einen kalten Entzug hilft und in seinem stärksten Rückfallmoment sein letztes Rauschgift die Toilette hinunterspült. Viktors »ruppige« Art wird durchgängig konterkariert und gleichzeitig ausgeglichen durch die »Weichheit« von Hans’ Figur und es liegt schlussendlich in der letzten Szene des Filmes, dass die »große Freiheit« der Liebe der beiden endgültig unter Beweis gestellt wird. Aber keine Spoiler an dieser Stelle.
»Wer die Liebe verbietet, verbietet das Leben«
Für die eben beschriebenen Auslassungen, die dennoch so viel Raum zulassen, muss an dieser Stelle noch auf Thomas Rieder verwiesen werden, der das Drehbuch für »Große Freiheit« schrieb und maßgeblich an der Ideenfindung desselben beteiligt war. Beim Filmgespräch im Top-Kino erzählte er über seine eigene Überraschung, die er bei der Recherche erlebte, und rückte auch jetzige Ausgrenzungserfahrungen in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Eigentlich wurde die Idee für den Film laut seinen Erzählungen nämlich durch die Diplomarbeit eines Freundes ausgelöst, der sich mit der Thematik der »Darkrooms« beschäftigte. So stieß er in dessen weiterer Auseinandersetzung dann relativ unabsichtlich auf die Grauzone, die sogar von der Generation, die selbst sogenannte »175er« waren, kaum mehr angesprochen wird, wobei sich jede*r daran erinnert. Somit bekommt der Film auch gerade in diesen Zeiten, in denen die Rechte von LGBTQ-Personen in vielen Ländern wieder stärker in die Mangel genommen werden, eine besondere Aktualität und verweist dabei auf eine Sichtbarkeit, die eigentlich selbstverständlich sein sollte. Denn wie Rieder selbst postuliert: »Wer die Liebe verbietet, verbietet das Leben.«
Österreichischer Kinostart war der 19. November 2021.