Die neue Konzeptscheibe »Das Grauen, Das Grauen« von grim104 erzählt grausige Storys, die sich am Ende als die Genese von Graf Grim entpuppen. Unfassbar düster, wütend und hochästhetisch erzählt er von Geschichten aus der Jugend und Unterwelt, ob mit harten Trap-Beats hinterlegt oder bloß in Form eines schön vorgetragenen Gedichts. Er spricht über sich, über deutsche Zustände, über das Grauen, das in ihm wächst und irgendwann über ihn hinaus. Es ist nicht nur äußerst spaßig, dem Horror zuzuhören, es macht auch sehr zufrieden. Denn leicht kann man sich mit dem identifizieren, und umso besser, wie gut verpackt er uns den Alltagshorror serviert.
skug: Der Hype um Zombies in all ihren Facetten hat wohl endlich ein Ende. Hast du nun ein Revival der Vampir-Rezeption eingeleitet?
grim104: Das wird sich zeigen. Ich habe allerdings das Gefühl, dass sich Vampire und Zombies im Moment sich popkulturell ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Vielleicht wird es auch Zeit für ganz neue Player, Dämonensultan beispielsweise. Oder die schwarze Ziege der Wälder mit den tausend Jungen.
Im Song »Rotkohl« vom ZM besingt ihr das Elend, die Hölle des Kleinstadtlebens. Jetzt ist die Hölle für dich in Berlin, in der Großstadt verortet. Läuft es am Ende auch auf dasselbe hinaus?
Nein. Berlin hat, genauso wie die Kleinstadt, ja durchaus auch das Potenzial zu einem waschechten Paradies. Die Hölle entfaltet sich erst so richtig, wenn man für ein verficktes 40-m²-Kabuff 900 Euro Miete zahlen soll und im Badezimmer ist Teppich verlegt worden.
Die Figur Kurtz aus Conrads »Heart of Darkness« ist im Urwalddschungel auf der Suche nach seiner eigenen Identität dem Wahnsinn anheimgefallen. Ist selbiger Dschungel für dich Berlin, die Stadt der scheiternden Existenzen?
Hm, zumindest gibt es genügend Leute, die irgendwo zwischen den beiden Polen Start-up-Gründung und Ayahuasca-Selbsterfahrungstrip bei irgendeinem Uwe im dornigen Gestrüpp ihrer Seele verlorengegangen sind.
Auch auf »Abel 19« erfährt man von einer Begebenheit, die so nach Dorf klingt. Und gleichzeitig ist es der Punkt, wo du dich in Graf Grim verwandelst, der durch Berlins Unterwelt zieht. Gibt es ein vergleichbar initiatives Erlebnis, das dich dazu gebracht hat, deine Heimat/dein Herkunftsdorf zu verlassen oder woanders nach dem Glück zu suchen?
Ach, auf einer Party totgeschlagen werden, dass kann einem leider wahrscheinlich an jedem Ort der Welt, wo es Partys mit mehr als einem Gast gibt, passieren. Aber diesen Initialmoment gab es nicht, nur sehr viel Spuckepfützen in Bushaltestellen, die einen irgendwann ersäuft hätten.
In »Das Grauen« sprichst du über den Horror, der einen verfolgt, den Umgang mit der Vergangenheit. Der Horror, das ist auch irgendwie Deutschland, oder?
Auf ʼne Art. »Doch deinem Horror kannst du niemals entkommen / Und je älter du wirst, desto größer und böser / Wird es, das Monster am Horizont«.
Viele finden das Leben zu kurz, doch ein Vampir will auch niemand sein. Was glaubst du macht dieses Morbide, Horrormäßige heute wieder so interessant?
Ich glaube, dass es mehrere Gründe gibt. Zum einem bieten alle Horrorfilme, alles lustvoll Schauderhafte eine softe, sichere Annäherung an Todesangst und echte Gefahr, ein bisschen wie Bungeejumping vom Sofa aus. (Macht man überhaupt noch Bungeejumping oder kriege ich gleich ein »OK BOOMER!« an den Kopf geworfen?) Und dann ist es natürlich eine Möglichkeit, sich in Zeiten von Selbstoptimierung und Selbstvermarktung bei Insta und Co., wo ja möglichst viel #healthylifestyle und #acaibowl propagiert wird, mit der eigenen Vergänglichkeit und dem letzten, großen Rätsel, dem Tod, zu beschäftigen.
grim104 lehrt uns am 11. Jänner 2020 im Wiener Flex das Fürchten: https://www.facebook.com/events/2118972825077315/