Petra Cvelbar
Petra Cvelbar

Freigeist zwischen den Tönen: Mia Zabelka

Die E-Violonistin Mia Zabelka, die schon als Kind Yehudi Menuhin oder Stephane Grapelli liebte, erzählt im skug- Interview exklusiv von ihrer Familiengeschichte - reisenden jüdischen Musikern über Generationen, von denen einige während der Shoah ermordet wurden.
Original in skug #100, 10-12/2014 

Weil es ihren Eltern während des Nationalsozialismus so schlecht erging, wollten sie, dass Mia die Musik macht, die ihr Freude bereitet. Noch heute fiedelt »es« auf der Bühne mit Lydia Lunch und Zahra Mani von Medusa’s Bed durch sie hindurch. Stattgefunden hatte das Interview im Rahmen des Festivals Polska skug A Radikal anlässlich der einhundertsten Ausgabe von skug im Oktober 2014.

skug: Ist der Anspruch unseres Festivals Polska skug A Radikal, nämlich die Musik der zweiten und dritten Generation nach der Shoah zu thematisieren, für Sie aufgegangen? Machte es Sinn, diese Debatte für Österreich zu eröffnen?
Mia Zabelka: In den 1970er, 1980er Jahren war das Thema Nationalsozialismus gar nicht so wichtig wie heute. Jetzt werde ich im Ausland viel häufiger darauf angesprochen, auch wenn ich meine Herkunft nicht offenlege. Heutzutage erhält man in ausländischen Medien manchmal den Eindruck, dass alle Österreicher und Deutsche Nazis wären. Insofern ist die Auseinandersetzung wichtig. Wir Österreicher hatten nicht so wie die Deutschen den Druck der Amerikaner in Richtung Aufarbeitung. Wir haben uns als arme Mitläufer dargestellt, deswegen ließen uns die Amerikaner in Ruhe. Was ich im Nachhinein betrachtet schlecht finde, weil es bei uns unter der Oberfläche sehr stark brodelt.

Und die Seite der Opfer? Wie sieht deren Position aus?
Es ist zwar erfreulich, aber nicht damit getan, dass jetzt einige neue Mahnmäler erstellt wurden. Auch das Jüdische Museum ist natürlich eine tolle Einrichtung, aber ein Museum alleine kann nur zum Teil helfen, die ganze NS-Thematik aufzuarbeiten. Es herrscht ein etwas schlampiger Umgang vor und deswegen brodelt es immer noch überall.

Wie sehen Sie die Generationenfolge? Ich habe den Eindruck, dass der National- sozialismus wie eine in der Vergangenheit eingeschlossene »Perle« gesehen wird, als ob es keine Kinder und keine Kindeskinder der beteiligten Generation gegeben hätte.
Es ist ein unglaublich schwieriges Thema. Es ist auch nicht der richtige Weg, jetzt einfach die Nachfolgegenerationen zur Verantwortung zu ziehen, denn es gibt natürlich keine kollektive Schuld. Die Nachfolgegenerationen der Opfer sind nach wie vor völlig traumatisiert, denke ich – oder weiß ich. Und irgendwie heimatlos, denn es wurde ja alles ausgerottet. Es gibt kaum ein richtiges Freigeisttum mehr. Keine Liberalität mehr, es ist alles weg. Entweder sind die Freigeister ausgewandert oder sie sind ermordet worden. Für mich besteht eine riesige Wunde, und die klafft nach wie vor.

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 Studiosession Medusa’s Bed; David Višnjic

Steven Lee Beeber stellte u. a. in seinem Buch »The Heebie-Jeebies at CBGB’s: A Secret History of Jewish Punk« die Theorie auf, dass die Kinder der Ûberlebenden der Shoah großteils Punks wurden, zumindest in den USA, um sich gegen die Eltern abzugrenzen, aber gleichzeitig doch gewisse Themen weiter zu behandeln. Wie sehen Sie das?
Ich bin in den 1970er Jahren mit der Post-Hippie-Bewegung aufgewachsen, ich hörte Frank Zappa, Sun Ra und das Mahavishnu Orchestra, Miles Davis, Captain Beefheart und diese Geschichten.

Haben Sie sich früher schon einmal musikalisch auf Ihre Herkunft bezogen?
Inhaltlich noch nicht, obwohl ich natürlich weiß, dass viele Violinisten, und nicht nur in meinem musikalischen Bereich, jüdischer Abstammung sind; so wie etwa Yehudi Menuhin oder Itzhak Perlman. Stefan Grapellis Spiel wurde in der NS-Zeit als entartete Musik bezeichnet – Grapelli war einer der besten Jazzgeiger überhaupt.

Glauben Sie, dass Ihre Geigenwahl etwas mit Ihren Vorfahren zu tun hat?
Meine Geigenwahl? [lacht] Sie meinen die E-Geige? Ich spiele auch akustische Geige, das ist eine tschechische, eine Josef Ruzicka … und die E-Geige als Protest gegen das Establishment. In den 1970er Jahren gab es im Jazz viel mehr Offenheit, heute spielt kaum ein Musiker mehr Trompete mit Delay wie Miles Davis, E-Violine wie Jean-Luc Ponty oder E-Gitarre wie Jimi Hendrix! Mit dieser Freiheit! Heutzutage spielt sowieso selten ein Musiker mehr E-Geige. Es gibt eine Retro-Bewegung, im Moment ist akustische Musik wieder »in«. Also geht es eher in eine bürgerliche Richtung. Klassisch.

Wann haben Sie sich für die Geige entschieden?
Meine Mutter war Pianistin und wir sind immer ins Konzert gegangen. Im Wiener Musikverein habe ich nur die erste Reihe der Musiker gesehen, weil ich noch so klein war und dort saßen die Geiger. Das interessierte mich total, wie man mit einem Stück Holz, einem Stab mit ein paar Rosshaaren darauf – ich habe ja nicht gewusst, dass das Bogen heißt – wie man mit einem Holz sozusagen Töne erzeugen kann. Meine Eltern wollten, dass ich Klavier lerne, aber ich sagte mit sieben Jahren: »Nein, dieses Instrument …« [deutet auf die imaginäre Geige in der ersten Reihe und lacht]. Das war einfach die Neugierde, wie man damit Klänge produziert, ich habe mir das nicht vorstellen können. Beim Klavier war es nachvollziehbarer, bei Blasinstrumenten auch.

Haben Sie jüdische Geiger im Konzert gesehen oder auf Schallplatte gehört?
Als Kind habe ich die schon immer gehört, ich hatte so einen kleinen Schallplattenspieler, mit Radio noch, und im Koffer, zum Aufklappen nach oben. Als Kind habe ich meine klassischen Heroen, wie z. B. Menuhin, sehr viel gehört, und ab zwölf, dreizehn Jahren habe ich selber in Jazzrock-Bands gespielt. Meine Eltern haben das gefördert und mir haben eben speziell die Geiger mit jüdischen Wurzeln sehr gefallen. Ich habe mir die nicht bewußt ausgesucht, sondern mir hat die Musik vom Spielen her gefallen.

Waren Ihre Großeltern auch Musiker?
Meine Familie Zabla [Zabelka ist die weibliche Fassung des Namens, Anm.] ist slowakisch-polnisch-jüdisch. Das waren jüdische Intellektuelle und Musiker. Die Liebe zur klassischen Musik war in der Familie schon sehr stark verankert. Die Familienmitglieder sind immer wieder herumgezogen. Sie kamen ursprünglich aus Krakau, dann ist ein Teil der Familie nach Temice gezogen, das ist ein kleiner Ort in Mähren an der slowakischen Grenze.

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 Mia Zabelka mit Vater; privat

Können Sie etwas mehr vom familialen Hintergrund Ihrer Musk erzählen?
Mein Vater ist 1922 geboren, er war sechzehn, als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist. Viele Familienmitglieder sind ermordet worden. Er und seine Geschwister wurden auf verschiedene Arbeitslager verteilt und haben überlebt. Für meinen Vater war das eine »grausliche« Zeit. Die Kinder haben zwar überlebt, aber für ihn war die ganze Jugend ruiniert. Er wollte studieren, das ging dann nach dem Krieg nicht mehr. Er ist nach Wien zurückgekehrt und eine jüdische Firma stellte ihn sofort ein. Er war mathematisch sehr begabt und leitete dort dann das Rechnungswesen. Musik war seine Leidenschaft. Meine Mutter unterrichtete als Pianistin, konnte aber davon nicht leben. Mit der Musik haben sie sich sozusagen emotional über Wasser gehalten. Meine Mutter war tschechisch-französischer Herkunft, also Hugenottin [lacht]. Meine Großmutter mütterlicherseits hat über Hitler gesagt: »Jemand, der mit Panzern einzieht, das bedeutet nichts Gutes!« Sie versteckte ihre jüdische Freundin in ihrer kleinen Wohnung im neunten Wiener Bezirk. Meine Mutter lebte auch dort. Die Leute hatten zum Teil schon Courage, man kann nicht eine ganze Generation verurteilen.
Es gibt eine lustige Geschichte: Die Familie konnte sich kein Klavier leisten und daher zeichnete meine Mutter in der Kriegszeit, beseelt von der Musik, die Tastatur auf ein Blatt Papier, kaufte sich Noten und hat so [spielt mit den Fingern auf dem Tisch] Klavier gelernt. Als sie dann bei der Firma Friedman arbeitete, kaufte sie sich von dem ersten Geld einen Flügel. In die kleine Wohnung stellte sie ihren Flügel hinein und konnte schon diese Stücke spielen. Es waren ja unglaubliche Zeiten.
Mit Zahra Mani gemeinsam erarbeiteten wir das Stück »Dora, Woman of the Ruins«. Wir machten Interviews mit Zeitzeuginnen, hauptsächlich eigentlich mit meiner Tante Dora, einer Freundin meiner Mutter, die uns unglaubliche Geschichten erzählte. Dora war auch in einem Arbeitslager. Da sind die Leichen herumgelegen und die Leute sind über die Toten gestiegen, um sich für Brot anzustellen. Dazu haben wir ein Stück als Installation konzipiert und ein Radiostück für das ORF Ö1 Kunstradio.

Um auf das Festival im fluc zurückzukommen: In Polen sind von mehreren Millionen nur noch 30.000 Juden übrig, und die Warschauer Frauenband Drekoty setzte sich bei ihrem Auftritt mit der Musik des ermordeten Komponisten Gideon Klein auseinander. Joshua Korn von What’s Inside A Girl hingegen macht Trash Pop und liebt Lady Gaga: Sehen Sie die Notwendigkeit?
Dass man sich mit der Shoah auseinandersetzt? Ich glaube, das passiert auf einer unbewussten Ebene. Das muss nicht direkt sein. Es kann aber schon einen Zusammenhang geben. Zum Beispiel dieses Immer-zwischen-den-Tönen-Stehen. Das ist, glaube ich, schon sehr charakteristisch und ich mag das auch sehr gerne. Das beherrschte Stephane Grapelli perfekt. Auch Amy Winehouse konnte das.

Dieses Spielelement finde ich sehr wichtig. Lady Gaga spielt ja ebenfalls mit Identi- täten, der Brite Joshua Korn mit Sex-Identitäten.
Das sehe ich auch so. Deswegen spiele ich auch elektrische Geige, denn mit der akustischen fühle ich mich sozusagen völlig nackt auf der Bühne. Wie ein Schauspieler im Theater. Völlig unverstärkt, rein akustisch. Mit der elektrischen Geige kann man sich sehr gut maskieren. Mit Klang. Man kann verschiedene Identitäten annehmen, verschiedene Kostümierungen.

Haben Sie Vorbilder?
Ich werde immer mit Laurie Anderson in Zusammenhang gebracht, aber die »New York Times« schrieb einmal: »Laurie Anderson is a great storyteller and Mia Zabelka tells great stories with her music …« [lacht]. Ich spiele ja auch akustische Geige mit internationalen Improvisationsmusikern. Die spielen mitunter auch akustische Instrumente und die Reaktion, die Kommunikation, erfolgt viel schneller und direkter als in der Elektronik. Weil das Spiel feiner und nuancenreicher ist, kann man schneller in Kontakt treten.

Wie erklären Sie sich ihren starken Bezug zu Lydia Lunch? Im Beeber-Buch »The Heebie-Jeebies at CBGB’s« gibt es viele Beispiele, wie sich MusikerInnen gegenseitig anziehen – etwa Debbie Harry und Chris Stein, in einer Form von Trauma-Attraktion. »Trauma Bond« nannte das Lydia Lunch im skug-Interview.
Für viele Amerikaner – und das verstehen wir falsch -, sind Deutsche, Österreicher und Italiener nach wie vor Faschisten. Das gilt nicht für Musiker wie zum Beispiel Eliott Sharp, der viel unterwegs ist. Christina Nemec lud Lydia Lunch zum ersten phonofemme-Festival ein. Zahra und ich waren gerade beim Soundcheck und Lydia betritt den Raum – eben so, wie Lydia den Raum betritt [lacht] – und sagt mit tiefer Stimme »I like that sound!« [lacht]. Das war der Beginn von Zusammenarbeit und Freundschaft. Ich mag einfach ihre körperliche Präsenz und Energie auf der Bühne, das überträgt sich gegenseitig. Ihre Sprache ist höchst musikalisch, ihre Stimme ist Melodie, als ob sie ein Instrument spielen würde – sie wirkt quasi intravenös aufs Publikum [lacht]. Je wohler sie sich fühlt, desto mehr beginnt sie zu improvisieren, sich auf uns einzulassen – mit diesem automatic writing. Aber es ist schwieriger mit Sprache, mit Text zu reagieren als mit Musik. Aber das wäre sicher der nächste Schritt, mit dem Text auch auf die Musik zu reagieren.

Beim Konzert von Medusa’s Bed wirkte es für mich so, als ob noch eine andere Figur mit dabei wäre und spielen würde. Als ob ein anderer Mensch mit auf der Bühne wäre, jemand aus der Vergangenheit – im übertragenen Sinn gesprochen.
Jemand aus meiner Familie aus der Vergangenheit? Durchaus möglich [lacht]. Das ist nicht mein Vater, sondern diese Figur muss viel weiter zurückliegen. Ich habe auch den Eindruck, dass ich quasi außer mir bin, wenn ich spiele.

Für mich sah das aus wie eine Figur, die wie verrückt fiedelt, und sich auf altmodische Weise verbeugt, wie ein begeisterter Musiker aus einer längst vergangenen Zeit.
Das ist durchaus vorstellbar. Weil ich oft auch gar nicht weiß, wo das herkommt, was ich auf der Bühne mache. Was ich aber faszinierend finde beim Spielen, dass diese Musik aus mir herauskommt. Das sind so archetypische Bewegungen.

Wie kamen Sie zu ihrem Musikstil? Spielte Rebellion gegen die Eltern eine Rolle?
Meine Eltern haben mich sehr gefördert und mir die Freiheit gelassen. Ich bin sehr froh, dass ich nicht so ein typisches Philharmonikerkind bin, mit ganz spezieller Musikschule und Matura am Musikgymnasium. Sie sagten einfach, »Mach‘ das, was dir Spaß macht«. Auch wenn ich immer in der Jazz Spelunke gespielt habe – das war vis-à-vis des Rüdigerhofs, die gibt es heute nicht mehr -, hatten sie überhaupt nichts dagegen. Sie kamen zwar nie zu diesen Konzerten, aber sie ließen mir das und sie drängten mich nicht zur klassischen Musik. In der Schule war die klassische Musik nicht »hip« [lacht], dann spielte ich die Musik, die mir und meinen Freunden gefallen hat. Das war viel spannender.

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Mia Zabelka; privat

Aber muss man nicht auch gegen nette Eltern protestieren?
Meine Eltern waren wirklich sehr, sehr nett. Ich mußte mich nicht bewußt abgrenzen, weil ich immer den Freiraum hatte. Sie ließen mich Komposition studieren, sie sagten einfach, »Mach‘ was dir Freude macht, du wirst deinen Weg schon finden«. Wahrscheinlich deswegen, weil sie selbst so viel gelitten haben, wollten sie, dass ich etwas mache, was mich freut. Ich hatte nie den Eindruck, dass ich gegen sie rebellieren muss. Außer vielleicht aufgrund der Tatsache, dass sie mich zuviel in Schutz genommen haben. Damals begann ich zu reisen und war viel im Ausland und grenzte mich räumlich ab.
Diese Lust am Reisen als Musikerin, auch die hat eine lange Geschichte in unserer Familie. Ich bin eine reisende Musikerin, wie früher die Roma und Sinti und die jüdischen Musiker gereist sind. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich unterwegs bin, deswegen ist auch dieser Heimatbegriff sehr schwierig. Ich weiß nicht, wo ich zu Hause bin. Es ist nicht Wien, nicht die Steiermark, nicht mehr Polen oder Tschechien – musikalisch zu Hause fühle ich mich überall, am ehesten in London. Zahra Manis Familie stammt aus London bzw. Pakistan. Sie hat unser Projekt eigentlich initiiert, nahm die CD auf und mixte. Der Name Medusa’s Bed stammt von Lydia, frei nach Medusa’s Head eben.

 


 

Konzerttermine Mia Zabelka

27.02.2015, MZ & Philippe Petit (PP), Macao
28.02.2015, MZ & PP, Hongkong
01.03.2015, Medusa’s Bed, Medusas on Air, ORF Ö1 Kunstradio
01.03.2015, MZ & PP, Adelaide
02.03.2015, MZ & PP, Sydney
03.03.2015, MZ & PP, Melbourne
21.03.2015, MZ & Willers & Kneer, Berlin
bis 28.3.2015, Berlin-Leipzig Tour mit Trio Willers & Kneer & Zabelka
18.04.2015, MZ & Svetlana Maras, Kunsthaus Horn
23.04.2015, MZ & PP & Alexei Borisov (AB), DOM Moskau
25.04.2015, MZ & PP & AB, Yaroslavl City Teplo Gallery
26.04.2015, MZ & PP & AB, St. Petersburg GEZ 21

Home / Musik / Artikel

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
15.02.2015

Schlagwörter


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