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Bilderbuch

»Feinste Seide«

Maschin Records

Das Koordinatensystem dieser Band muss neu bestimmt werden. Nach Jahren des üblichen Indie-Rockerdaseins schossen Bilderbuch mit »Plansch« und vor allem »Maschin« während der letzten Monate in geradezu außerweltliche Höhen. Zumindest nach den Maßstäben der Alpenrepublik. Alle lieben nun Bilderbuch, und das aus gutem Grund. Mit seiner aktuellen EP »Feinste Seide« gelingt dem Quartett das Kunststück, mit niveauvoller Musik nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim einfachen Partyvolk zu punkten. So handelt es sich bei den erwähnten Songs »Maschin« und besonders bei »Plansch« ganz eindeutig um nicht nur musikalisch bestechende, sondern auch um textlich vielschichtige Stücke, die man nebenbei halt ganz lässig besoffen mitplärren kann. Wer dahinter nun allerdings die ersten Triebe eines semikomödiantischen Sellout vermutet, liegt völlig falsch. Bilderbuch versprühen zwar eine Menge Witz, halten jedoch die Komik und die Ironie in ihrer Musik stets an der kurzen Leine, beziehungsweise unterwerfen diese dem Diktat eines zum Popgewissen gehörenden und dessen Katechismus fortschreibenden Spiegelkabinetts, welches besagte Ingredienzen unablässig anknabbert. Statt vorrangig doof zu sein und erst in zweiter Linie polierte Kritik zu üben (Deichkind, anyone?) bedienen sich Bilderbuch vielmehr eines von dir und mir geteilten popkulturellen – das Wort sei verziehen – Wertekanons und verunstalten diesen mit Spurenelementen aus Musik- und Lebensstilen denen wir eher nicht zu nahe kommen wollen. Daraus entsteht zwangsläufig ein Widerspruch, der sowohl textlich als auch musikalisch (hier liegt die Raffinesse!) seinen Niederschlag findet. Die feine Klinge steht Bilderbuch auf »Feinste Seide« dabei besser als die plakative Gegenüberstellung von Gegensätzen. Drücken einem die Mittzwanziger ihre Vexierbilder zu tief in das Stickeralbum der Klischees (Textprobe aus dem Titeltrack: »Ich lese Proust, Camus und Derrida, mein Schwanz so lang wie ein Aal«) kommt das ein wenig bemüht rüber. Der Hinweis auf die Länge des Phallus ist dennoch von Bedeutung, bildet er doch einen Brückenkopf zur Großmannssucht in Teilen des modernen Hip Hop. Damit solche Türschildpirouetten auch jeder mitbekommt, klingt der entsprechende Song tatsächlich nach lupenreinem Hip Hop. Was heißt er klingt so, es ist Hip Hop! Während früher die Indie-Riffs in alle Richtungen ausströmten aber nirgends ankommen wollten, machen heute fette Beats, AutoTune und protzige Gitarrensoli klar, dass Bilderbuch ohne Schamesröte Dinge ausprobieren, die im kleingeistigen Indie-Betrieb eigentlich pfui sind. Mit großer Eleganz enttarnt die Band, dass es letztlich dieser kleingeistige Indie-Betrieb ist, der eigentlich pfui ist. Und der Erfolg gibt ihnen dabei Recht.

Home / Rezensionen

Text
Gabriel Mayr

Veröffentlichung
10.02.2014

Schlagwörter

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