Das Donaufestival in Krems wartet seit jeher mit neuartigen avantgardistischen künstlerischen Kreationen auf. Viele Jahre zeichneten Festivalleiter Thomas Zierhofer-Zin und sein Team dafür verantwortlich; seit 2017 findet der Coup unter fachkundiger Expertise von Thomas Edlinger & Co seine Fortsetzung. Formidable künstlerische Transformationsprozesse, Ver- und (Selbst-)Entfremdung findet man daher auch heuer unter dem Festivalmotto »Community of Aliens« zuhauf. Man trifft auf philippinische Gottheiten, tyrannische Formen des »Othering«, radikale queere Bildfindung, Parallelisierung von Roboteraufständen in Südlondon, Geisterfiguren und schlussendlich eine Gemeinschaft der Ungewählten – dies alles in den Performances von »VOID« von Joshua Serafin, in der österreichischen Erstaufführung »Song Sing Soil« von Eglė Budvytytė und Marija Olšauskaitė, in »SPAfrica« von Studio Julian Hetzel und Ntando Cele, im Mixed-Reality-Projekt »Like a Ray in Search of its Mirror« von Sylvia Eckermann und Gerald Nestler, in der 3D-Animation »Robots Of Brixton« von Kibwe Tavares sowie in der Videoarbeit »Whiteface« von Candice Breitz. Letztgenannte hält zudem die Lecture »Some of My Best Friends are White« am Sonntag, dem 21. April 2024 im Kino im Kesselhaus. Aufgrund von begrenzten Kapazitäten wird bei den fünf erstgenannten Events um Reservierung von Zählkarten ersucht. Das umfangreiche Musikprogramm wartet mit den legendären The Jesus & Mary Chain (erster Tag bereits ausverkauft!) sowie den weiteren Headlinern Autechre, Ben Frost, The Necks und Dopplereffekt auf. Independent-Diamanten findet man mit den Acts Gazelle Twin, Jenny Hval, Deena Abdelwahed, Clipping., Evian Christ sowie Anika. Und aufstrebende Independent-Schätze nennen sich Aunty Rayzor, Kabeaushé, Meuko! Meuko! oder PÖ. Allesamt schwere Empfehlungen!
Weekend 1, Freitag, 19. April 2024
Die musikalische Eröffnung des Festivals findet wie alljährlich in der Minoritenkirche statt. Kuratiert von Mariana Berezovska präsentieren die syrisch-ukrainische Artistin Diana Azzuz (Video) & Nazanin Noori (live) das Projekt Rybachka. Turntablism demonstriert das Trio von Maria Chavez, Mariam Rezaei und Victoria Shen in praktisch allen Spielarten, es wird gesampelt, geloopt und gescratcht. Eaeres nennt sich die experimentelle Wiener Doom-Metal-Band bestehend aus Katrin Euller, Leonie Leder, Karolina Preuschl und Ursula Winterauer. Die heimische Formation strebt nach ultimativer Katharsis. Publikumswirksamster Hauptact des Festivals ist das Mitte der Achtziger für ihren lieblichen Psychedelic-Ohrwurm »Just Like Honey« sowie für gegenläufige Feedback-Orgien bekannt gewordene schottische Independent-Rock-Duo The Jesus & Mary Chain. Vierzig Jahre später bringen sie zudem das brandneue Album »Glasgow Eyes« mit. Ein aktuelleres Highlight stellt die in Frankreich angesiedelte tunesische Produzentin Deena Abdelwahed mit ihrer düsteren sowie tanzbaren Fusion arabischer Klänge mit modernen House- und Industrial-Beats, »Jbal Rrsas«, dar. Mit hinterhältigen Beats und abstrakten Dance-Music-Kollagen beendet die aus Taipei stammende Produzentin Meuko! Meuko! die erste Festival-Nacht in Retro-Futuristik.
Weekend 1, Samstag, 20. April 2024
Intime Transformationen präsentiert die in Berlin ansässige Produzentin Grand River am Klavier, untermalt von elektronischen Samples, angefertigt mit Cello, Orgel und Gitarre. Mitunter gehen Künstler*innen vor, Ian Mugerwa alias Dawuna ging nach der Veröffentlichung seines Meisterwerks »Glass Lit Dream« in Therapie. Introvertierter R’n’B mit gehörigen Improvisationsanteilen. Die exzellente norwegische Sängerin und Komponistin Jenny Hval kommt aus der Black-Metal-Szene. Nun arbeitet sie sich an Heiner Müllers »Hamletmaschine« mittels interdisziplinärer Musikperformance »I Want To Be A Machine« ab. Einmal mehr ist Elizabeth Bernholz aka Gazelle Twin mit ihren famosen exorzistischen Industrial-Ritualen zu Gast. Aktueller Release: »Black Dog«. Clipping., das experimentelle HipHop-Trio aus Los Angeles, wartet auf dem Album »Visions of Bodies Being Burned« mit einem brutalisierten Afrofuturismus auf. Mitunter rackert sich ihr Grant aber auch via funktionellere Dance-Grooves ab, wie z. B. im J-Kwon-Cover »Tipsy«. Trance-Repetition und Krautrock-Motorik nehmen bei Föllakzoid auch auf dem fünften Album »V« eine zentrale Rolle ein. Logischerweise messerscharfe Afro-House-Grooves und westafrikanische Beats aus R’n’B präsentiert die unerschrockene nigerianische HipHop-Kosmopolitin Aunty Rayzor, die treffend formuliert: »My pen is my razor and the razor is me.«
Weekend 1, Sonntag, 21. April 2024
Das australische Avant-Ambient-Trio The Necks baut seine Improvisationen seit vier Dekaden auf Motivrepetitionen in Dark Jazz auf. Aktuelles Album: »Travel«. Die bilinguale Singer/Songwriterin Mayssa Jallad studierte Architektur an der American University of Beirut. Im Folk-Jazz-Konzeptalbum »The Battle of the Hotels« verarbeitete sie ihre Magisterarbeit (»Beirut’s Civil War Hotel District: Preserving the World’s First High-Rise Urban Battlefield«). Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen von Nicos drittem Album »Desertshore« (1970) präsentieren Anika und das Solistenensemble Kaleidoskop ihre atemberaubende Version des einzigartigen Liederzyklus.
Weekend 2, Freitag, 26. April 2024
Den utopischen Befreiungsfantasien des Afrofuturismus gehöre Techno, meint der in der zweiten Festivalwoche den Klangraum der Minoritenkirche eröffnende Speaker Music (DeForrest Brown, Jr.) in seinem Buch »Assembling a Black Counter Culture«. Schwarzer Techno á go go. Zudem hält er am darauffolgenden Samstag die Lecture »Spaceship Earth 2.0« im Kino im Kesselhaus. Der aufstrebende Affine-Records-Act Kenji Araki beschwört Hyperpop-Geister mit dem Album »Hope Chess«. Mit einer Dancefloor-Sause, in der auch das esoterisches Potenzial des Techno nicht zu kurz kommt, warten SOS Gunver Ryberg & Sybil Montet in ihrem Projekt »Weaving Fields« auf. Mit einem reduzierten Drum-Kit und diversen Samplern findet NAH für seinen DIY, der auf rasantem Avant Jazz, HipHop und Electronica basiert, sein Auslangen. Auf seinem neuen Album »Scope Neglect« stellt der australische Noise-Musiker Ben Frost seine Gitarre wieder zentral. Frost ist hier im Live-Setting mit Greg Kubacki & Tarik Barri zu sehen. 33EMYBW & Joey Holder (AV Live) favorisieren traditionelle chinesische Chöre und experimentelle Electronics. Die härteste Kost des Festivals legt diesmal der ursprünglich aus Liverpool stammende DJ, Songwriter und Producer Evian Christ vor. Aktuelles Album: »Revanchist«.
Weekend 2, Samstag, 27. April 2024
Der nun in Berlin lebende russische Soundkünstler Andrey Guryanov sampelt diverse Nationalhymnen und finalisiert in seinen Klanglandschaften explosive Störgeräusche. Abermals zu Gast beim Donaufestival ist die mittlerweile das London Contemporary Orchestra leitende Galya Bisengalieva. Ihr aktuelles Album »Polygon« benannte sie nach dem Atomwaffentestgelände ihres Geburtslandes Kasachstan. Maya Shenfeld + Pedro Maia stellen ihr audiovisuelles Projekt »Under the Sun« vor. Shenfeld bedient analoge Synthesizer und verarbeitet Field Recordings; visualisiert wird der erschütternde Liederzyklus von Filmemacher Pedro Maia. Traditionelle nordafrikanische Beats verschwimmen im Acid-Dancefloor von Klangkünstler Ahmed El Ghazoly aka ZULI & Omar El Sadek, die ihr Werk »λ (lambda)« A/V aufführen. Die Autonome Musik des legendären britischen Electronica-Duos Autechre wird gelegentlich als »abstrakt« und dann wiederum als »intelligent« taxiert. Sean Booth (»Jede Musik basiert auf Mathematik«) und Rob Brown dürfte beides recht sein. Eine reizvolle hypnotische Showtime, inspiriert von Prince bis Bollywood, fabriziert der via Nyege-Nyege-Production aufstrebende Berlin-based Kenyan-born Artist Kabeaushé. Aktuelles Album: »Hold On To Dear Life, There’s A Blcak Boy Behind You!« Ebenfalls aus dem Nyege-Nyege-Kreis stammt die afrikanische Dancefloor-Stimme von Pauline Bedarida aka PÖ, die mit einem eklektischen DJ-Set aufwartet und von Dancehall über Funk zu Footwork spinnt.
Weekend 2, Sonntag, 28. April 2024
Geradezu ideal für den Klangraum der Minoritenkirche fertigt Dylan Henner Ambient Loops und bedächtige Klangflächen an. Neue EP »The Shepherds«. Kaleidoskopartige Klangskulpturen stellt das Trio HUUUM her. Debütalbum: »Accidental Meetings«. Dopplereffekt, das legendäre Projekt aus Detroit, 2014 am Titelblatt von skug #97, veranschlagt seit drei Dekaden eine Synthese von Maschinen und Mensch und stellt damit eine treffende Version des Festivalmottos dar.
Weitere Infos zum Programm und Tickets unter: https://www.donaufestival.at